Es ist ein sonniger Samstagnachmittag in Halle (Saale), vielleicht der letzte Sommertag (mit 30 Grad), als sich am Steintor Menschen mit Bannern, Fahnen, Schildern und Fahrrädern versammeln. Viele sind jung, einige sind Eltern, andere bringen Kinder mit, manche sind laut Schild (Für unsere Enkel) auch Großeltern. Viele sind wütend, fast alle wirken entschlossen. Bis zu 1.000 Menschen, so die Angabe der Polizei, beteiligen sich an diesem Tag an der Kundgebung der Klimabewegung Fridays for Future und einer anschließenden Fahrraddemonstration unter dem Motto „Exit Gas, Enter Future“.

Die Route führt quer durch die Stadt – vom Steintor über das Reileck bis zum Riebeckplatz. Doch was wie ein lokaler Protestzug aussieht, ist Teil einer globalen Bewegung: In über 80 Städten in Deutschland und in mehr als 90 Ländern weltweit finden an diesem Tag Demonstrationen statt. Die Klimabewegung ist zurück auf der Straße – und sie hat nicht vergessen, wer für die aktuelle Krise Verantwortung trägt.

Politik der Blockade: Harte Kritik an der Bundesregierung

Im Zentrum der Kritik steht vor allem die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz. Der CDU-Politiker hatte in den vergangenen Wochen wiederholt erklärt, seine Regierung wolle „Verantwortung übernehmen“ – doch in den Augen vieler Klimabewegter ist das Gegenteil der Fall. Ole Horn, einer der Sprecher von Fridays for Future Halle, findet klare Worte: Was derzeit in Berlin geschehe, sei keine verantwortungsvolle Politik, sondern eine „völlig verantwortungslose und unehrliche Politik“.

Der Anlass der Empörung ist vielfältig: Erst in dieser Woche hatte Deutschland bei Beratungen in Brüssel die verbindliche Festlegung neuer EU-Klimaziele torpediert. Während andere Mitgliedstaaten auf ein ambitioniertes Zwischenziel für 2035 und 2040 drängen, setzte sich Deutschland für eine Verzögerung und Aufweichung der Klimastrategie ein – mit Erfolg. Es blieb bei einer vagen Absichtserklärung.

Für die Aktivist*innen ist klar: Kanzler Merz stellt die Klimaziele selbst in Frage, und damit auch die wissenschaftlich gestützten Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung. Besonders scharf fällt die Kritik an den geplanten Investitionen in neue Gaskraftwerke aus. Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) hat den Bau neuer fossiler Infrastruktur angekündigt – in einer Zeit, in der laut Weltklimarat jeder zusätzliche Cent in fossile Energie das verbleibende CO₂-Budget verringert.

Hinzu kommt der Ärger über die geplante Streichung der Solarförderung – ein Schritt, der in einem Land, das ohnehin hinter seinen Ausbauzielen für erneuerbare Energien zurückbleibt, wie eine politische Bankrotterklärung wirkt.

Vertrauensverlust durch Ticketpreis-Erhöhung

Ein weiteres Beispiel für gebrochene Versprechen liefert die angekündigte Preissteigerung des Deutschlandtickets. Ursprünglich hatten Vertreter*innen der Ampelkoalition und CDU-geführter Landesregierungen angekündigt, dass ein Preis von 49 Euro mindestens bis 2029 stabil bleiben solle. Nun wird der Preis bereits 2025 erhöht.

Für viele Demonstrierende ist das nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein symbolisches Problem. Ein bezahlbarer öffentlicher Nahverkehr gilt als Schlüssel für die Mobilitätswende – und damit auch für eine gerechte Verteilung der Klimakosten. Dass gerade hier gespart wird, während neue Subventionen für fossile Energien diskutiert werden, empfinden viele als Zeichen politischer Doppelmoral.

Globale Klimakrise: Trump, China und die Rolle Europas

Die Kritik beschränkt sich nicht auf die deutsche Politik. Immer wieder wird in den Reden auf die internationale Dimension verwiesen – und auf die wachsende Zahl von Staaten, die sich aus dem globalen Klimakonsens verabschieden. Eine Rednerin weist besonders auf die Entwicklungen in den USA hin, wo Ex-Präsident Donald Trump erneut als Kandidat für das Weiße Haus bereitsteht und offen den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen fordert.

Trump betreibe eine Politik, die Klimawandel leugne, wissenschaftliche Institutionen diskreditiere und soziale Spaltungen vertiefe. Doch auch in Europa wächst die Sorge: Der Rückzug der EU aus verbindlichen Klimazielen wird nicht nur rechten Parteien zugeschrieben – auch liberale und konservative Kräfte blockieren eine ambitionierte Klimapolitik, so der Vorwurf.

Ein Hoffnungsschimmer sei, so einige Beiträge, das Engagement Chinas, das seinen CO₂-Ausstoß reduziert und massiv auf Elektromobilität setzt. Auch in den USA gebe es mit dem kalifornischen Senator Gavin Newsom einen möglichen künftigen Präsidenten, der wieder stärker auf Klimapolitik setzen könnte.

Fahrradbus als Zeichen: Mobilitätswandel im Alltag

Einen Kontrapunkt zur Kritik an der hohen Politik setzt der Beitrag des Grünen Landtagsabgeordneten Sebastian Striegel, der von einem alltäglichen Projekt aus Halle berichtet: dem sogenannten „Hallenser Fahrradbus“. Seit drei Jahren begleiten Eltern einmal pro Woche Kinder der Saaleschule und der Schule Riesenklein auf dem Fahrrad zur Schule – sicher, gemeinschaftlich, klimaschonend.

Das Konzept basiert auf dem in Barcelona etablierten Modell „Bicibus“. Die Idee: Kinder sollen Mobilität als etwas erleben, das nicht gefährlich ist, sondern gemeinschaftlich, freudvoll und sicher. Striegel macht klar, dass solche Projekte nur funktionieren, wenn die Stadtpolitik mitzieht. Doch in Halle sei das Verhältnis zwischen Auto- und Fahrradverkehr weiterhin unausgewogen. Fahrradfahren sei in vielen Straßen schlicht zu gefährlich – gerade für Kinder.

Besonders kritisch äußert sich Striegel über die steigenden CO₂-Emissionen in Sachsen-Anhalt. Trotz aller politischen Rhetorik gehe der Ausstoß nicht zurück, sondern nehme sogar wieder zu. Für ihn ist klar: „Wir sind in diesem Land in die falsche Richtung unterwegs.“

Kritik an Halles Oberbürgermeister: Symbolpolitik statt Klimaschutz

Die Demonstration spart auch die kommunale Ebene nicht aus. Besonders scharfe Kritik richtet sich gegen Halles Oberbürgermeister Dr. Alexander Vogt, der im Wahlkampf mit Klimaschutzpunkten gepunktet hatte – nach Einschätzung der Bewegung jedoch keine dieser Ankündigungen ernsthaft umgesetzt hat.

Der Aktivist Hauke kritisiert Vogt scharf: Dieser täusche die Öffentlichkeit mit Symbolpolitik – etwa mit dem „grünen Wohnzimmer“ auf dem Marktplatz – doch strukturelle Maßnahmen wie der Abbau von Parkplätzen, die Ausweitung des Radwegenetzes oder der Ausbau des ÖPNV blieben aus. „Ein grünes Wohnzimmer ist kein Klimaschutz“, so der Vorwurf.

Hauke fordert weitreichende Maßnahmen: Den Stopp von Einfamilienhaus-Bauten, die komplette Elektrifizierung des Verkehrs, ein Moratorium für neue Parkhäuser und den Aufbau eines Klimarats für Halle – statt wirkungsloser „Runder Tische“, wie sie in der Saalestadt mehrfach gescheitert seien. „Scheiße wars“, so sein Fazit dazu.

Verzweiflung und Kampfgeist: „Wir dürfen nicht aufgeben“

Die Reden sind oft wütend, manchmal bitter – aber sie enden selten ohne Hoffnung. Hauke bringt es in einem emotionalen Appell auf den Punkt: Trotz aller Rückschläge, der Aushöhlung demokratischer Prozesse, der Wiederkehr klimaskeptischer Kräfte – die Bewegung dürfe nicht aufgeben.

„Wenn wir noch irgendeine Hoffnung behalten wollen, dann muss jede und jeder endlich handeln“, so sein Appell. Der Schlüssel zum Wandel sei nicht allein die hohe Politik, sondern die Fähigkeit der Gesellschaft, Klimathemen im Alltag präsent zu halten, politische Debatten zu dominieren und Druck aufzubauen – auf allen Ebenen.

Ein politischer Aufwachmoment

Was bleibt von diesem Tag in Halle? Eine Demonstration, die sich nicht in pauschalen Parolen erschöpft, sondern sich mit klaren politischen Adressen, lokalem Handlungsbedarf und globalem Bewusstsein an die Öffentlichkeit wendet. „Exit Gas, Enter Future“ ist mehr als ein Slogan – es ist ein Aufruf zur politischen Neuorientierung, weg von fossilen Abhängigkeiten, hin zu echter Klimagerechtigkeit.