Das Stück „Ein Glücksding“ am Theater der Jungen Welt (TdJW) Leipzig verwebt die Geschichte zweier 14-jähriger Jungen miteinander, eine spielt im Kyjiw des Jahres 1941 und eine im heutigen Leipzig. Dargestellt werden sie durch lebensecht wirkende Puppen.
Juri ist mit seiner Mutter vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflüchtet und lebt erst seit kurzem in Leipzig. In seiner Beschäftigung mit dem Holocaust und seiner eigenen Familiengeschichte gerät er in der Inszenierung in eine Art surreale Zwischenwelt, wo er dem ebenfalls 14-jährigen Motja begegnet. Der hat 1941 das Massaker von Babyn Jar überlebt, so wie die Puppenspielerin Dina, die er auf seiner Flucht trifft, auf der er umkommt.
12-Jährigen von Holocaust und Krieg erzählen?
1941, das war die Zeit, als die Deutschen die Aggressoren waren. Innerhalb von zwei Tagen wurden fast 50.000 jüdische Menschen im Tal von Babyn Jar bei Kyjiw ermordet.
Kann und sollte man 12-Jährigen von einem Massaker so unglaublichen Ausmaßes erzählen? Dramaturg Jörn Kalbitz findet, grundsätzlich könne man auch so jungen Menschen zutrauen, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen: „Man muss sich jedoch Gedanken darüber machen, wie man davon erzählt.“
Auftragswerk der russisch-jüdischen Autorin Lena Gorelik
Das sei auch der Arbeitsauftrag an die Autorin Lena Gorelik gewesen, so Kalbitz: „ein Stück zu schreiben, dass zwei Zeitebenen – die Erinnerung an Verbrechen von vor über 80 Jahren und die Lebenswelt von jungen Menschen heute, die ja auch nicht im luftleeren Raum leben – miteinander zu verbinden“.
Dass es Motja wirklich gab, davon erzählen Zeitzeugnisse der Puppenspielerin Dina Pronitschewa, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Prozessen über das Massaker von Babyn Jar berichtete, wie Kalbitz weiter erläutert. Diese Dokumente seien Grundlage für Goreliks Stück gewesen ebenso wie Interviews mit Menschen aus der Ukraine, die heute in Kyjiws Partnerstadt Leipzig lebten.
Inszenierung inspiriert von surrealen Fantasy-Welten
Da ist viel Material zusammengekommen für die Leipziger Inszenierung mit zwei Puppen und ihre drei Spieler, Regisseurin Martina van Boxen bringt sie trotz ihrer unterschiedlichen Zeitebenen in einer Art Fantasy-Welt zusammen. „Ich bin ein großer Fantasy-Fan und mag es sehr gerne, wenn es irreal und surreal wird, wenn Sachen passieren, die man gar nicht erklären kann.“
Das korrespondiert mit der durchaus auch Fantasy-affinen Zielgruppe im jugendlichen Publikum, das zwei ihrer Altersgenossen durch ihr jeweiliges Leben begleitet, damals wie heute.
Krieg vernichtet Perspektiven junger Menschen
Puppenspieler Sven Tillmann betont, dass Juri und Motja nicht nur schlimme Dinge erlebten, sondern auch ihre erste große Liebe mit einem Mädchen, das zufälligerweise den selben Namen, Sveta, trage. Sich auf den ersten Kuss und das Zusammensein einzustellen, das aber bleibe Motja komplett verwehrt in seiner Welt des Jahres 1941.
Wie Vergangenes in die Gegenwart wirkt, die Perspektiven junger Menschen durch Krieg auch heute komplett über den Haufen gerannt würden, das sei Thema des Stücks.
Quelle: MDR KULTUR (Wolfgang Schilling, Theater der Jungen Welt Leipzig)
Redkationelle Bearbeitung: op, ks