Vermutlich würde der 1. FC Nürnberg mit dieser Logik nicht durchkommen. Einen Versuch wäre es zwar wert, doch es ist eher nicht zu erwarten, dass die Einrichtungen, die den Fußball beaufsichtigen, einem solchen Antrag stattgeben würden. Zugegeben, es wäre auch ein bisschen frech, wenn der Club allen Ernstes darum bitten würde, die ersten Saisonspiele zu annullieren und damit aus der Wertung zu nehmen. Ein Argument hätte der Zweitligist allerdings auf seiner Seite: Erst jetzt, im Spätsommer oder – je nach Definition – im Frühherbst, ist der 1. FC Nürnberg der 1. FC Nürnberg. Und deshalb fängt die Saison für den Club auch erst jetzt an.
Der Kader war derart spät zusammengestellt worden, dass die ersten Pflichtspiele im Grunde noch Vorbereitungsspiele waren, Tests wie das 13:0 gegen den 1. FC Hersbruck und das 7:2 gegen die Sportfreunde Schwäbisch Hall Anfang Juli. Das Problem war nur, dass es ab Anfang August schon um Punkte ging und plötzlich kein einziges Spiel mehr 13:0 oder 7:2 ausging. Stattdessen lauteten die Nürnberger Ergebnisse 0:1, 0:1, 5:6 nach Elfmeterschießen, 1:2, 0:0 und 1:2. Der Club gewann also kein einziges der ersten sechs Spiele – im Gegenteil: Er blamierte sich im DFB-Pokal gegen den Viertligisten FV Illertissen und holte in fünf Punktspielen exakt so viele Siege, wie der 1. FC Hersbruck Anfang Juli Tore schoss (null). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass alle Blicke in den vergangenen Wochen auf Trainer Miroslav Klose gerichtet waren. Kriegt er die Kurve? Hat er eine Strategie? Weiß er, was zu tun ist, um die Mannschaft auf den rechten Pfad zu führen?
Das waren die Fragen, die sich stellten, und nach dem 2:1 am Samstagabend gegen den VfL Bochum lässt sich erst einmal sagen: Ja. Ja. Und ja. Nürnberg hat die Kurve bekommen – auch und gerade weil Klose gute Entscheidungen getroffen hat. Er setzte erstmals auf ein 4-3-3 und richtete sein Team derart mutig und offensiv aus, dass es 20 Torschüsse zustande brachte und nach den 90 Minuten auch Bochums Trainer David Siebers von einem „verdienten Sieg“ für den Club sprechen ließ.
„Ich hatte das Gefühl, dass im letzten Drittel noch ein bisschen mehr Entschlossenheit da war“, sagt Klose
Schon das 1:0 durch Julian Justvan war überfällig (68.). Als Ibrahim Sissoko kurz vor Schluss aber das 1:1 per Elfmeter erzielte (86.), sah es so aus, als würde der Club seinem Ruf als ausgewiesener Depp mal wieder alle Ehre machen. Das Spiel hielt allerdings noch eine letzte Pointe bereit: Adriano Grimaldi, erst am letzten Tag der Transferperiode verpflichtet und nun gegen Bochum in der 89. Minute eingewechselt, traf noch zum finalen 2:1 (90.+2). Hinterher sagte Klose: „Ich hatte das Gefühl, dass im letzten Drittel noch ein bisschen mehr Entschlossenheit da war.“ Für die Vielzahl an Torchancen habe seine Mannschaft zwar „zu wenig Tore“ erzielt; dass es aber trotzdem etwas wurde mit dem ersten Sieg, sei „unheimlich wichtig“ gewesen.
Obendrein war das 2:1 über Bochum auch der erste Heimsieg seit einem halben Jahr. Damals gewann Nürnberg 3:0 gegen die SpVgg Greuther Fürth, die in den jüngsten Frankenderbys allerdings auch so schlecht spielte, dass sie mit solchen Auftritten vermutlich auch gegen Hersbruck und die Sportfreunde Schwäbisch Hall verlieren würde.
Jetzt, gegen Bochum, war der Sieg des FCN derart überzeugend, dass die Fragen nach Klose und seiner Zukunft auf der Trainerbank erst einmal verstummen werden. Schon vor dem Spiel hatte sich der Unmut eher gegen Sportvorstand Joti Chatzialexiou gerichtet, war für Nürnberger Verhältnisse aber generell sehr überschaubar geblieben. Die 90 Minuten am Samstagabend nährten nun die Hoffnung, dass Klose auch in dieser Saison wieder die Knöpfe findet, um das Team auf Kurs zu bringen. Schon vor einem Jahr hatte er nach seinem Fehlstart die richtigen Schlüsse gezogen und den Club im Herbst zur Mannschaft der Stunde erhoben.
Seinerzeit spielte der FCN derart aufregend, dass andere Vereine gar nicht umhinkamen, nach Nürnberg zu schauen. Inzwischen sind die besten Spieler längst gegangen, und Klose muss den nächsten Neuanfang meistern. Eine Aufgabe, die zwar anspruchsvoll ist – aber eines hat das Bochum-Spiel ja gezeigt: Der 1. FC Nürnberg ist jetzt wieder der 1. FC Nürnberg. Die Saison kann also beginnen.