Seit 1. September ist die Feldstraße neben Hauptverkehrsader Marl-Herten auch Umleitungsstrecke nach Recklinghausen: Alles muss über eine altersschwache Brücke.
Es ist für die Busse der Vestischen nach der Sperrung der Kaiserstraße und der Uhlandstraßenbrücke nur eine Woche später quasi die Umleitung der Umleitung. Nicht nur die Busse quälen sich nun oft im Stau über die nur 7,50 Meter breite Fahrbahn der Feldstraßenbrücke. Bis Weihnachten soll das so weitergehen. Auch deutlich mehr Lkw und Pkw als sonst fahren jetzt über das Nadelöhr auf dem Weg zwischen Herten-Mitte, -Langenbochum und Marl sowie auf der Umleitungsstrecke Herten – Recklinghausen.
Der bauliche Zustand der Brücke sieht derweil für das Auge eines Laien besorgniserregend aus: Beide Brückengeländer auf der Südseite sind gerissen und weisen einen etwa vier Zentimeter breiten, horizontalen Spalt auf. Und die Betonwand, die die Brückenkappe provisorisch stabilisieren soll, hängt, ebenfalls auf der Südseite, in der Luft. Auch hier zeigt sich ein drei bis vier Zentimeter breiter Spalt, allerdings vertikal.
Das sieht nicht gut aus: Die Beton-Spange, die seit 2021 die Brückenkappe absichern soll, hängt an einer Seite inzwischen in der Luft – genau am Übergang von der Straße zur Brücke.© Joachim Schmidt
Fragt man bei der Stadt Herten nach, ob die alte Brücke den Mehrverkehr der Umleitung noch verkraftet, verweist diese auf die Landesbehörde Straßen.NRW. Diese müsse sich um die Sicherheit kümmern: Die Feldstraße ist eine Landesstraße.
Tatsächlich macht man sich Straßen.NRW keinerlei Sorgen über die Stabilität der Brücke, schaut aber auch nicht öfter als einmal im Jahr nach. Die Behörde hält es nicht für nötig, ihre Brücke etwa durch ein engmaschiges Monitoring zu überwachen, wie Straßen.NRW-Sprecherin Petra Vesper bestätigt.
Die Feldstraßenbrücke mit ihrer Beton-Absicherung aus Fahrtrichtung Marl und Herten-Langenbochum gesehen. Voraussichtlich bis Weihnachten ist sie mit starkem Umleitungsverkehr zusätzlich belastet.© Joachim Schmidt
Dabei kann so ein wöchentliches Monitoring erstaunliche Wirkung zeigen. So hatte ein Gutachter im Auftrag der Stadt Herten den Zustand der Uhlandstraßenbrücke in Herten-Disteln zunächst noch mit ausreichend bewertet. Dann, nachdem nur eine Woche lang wegen der Sperrung der Kaiserstraße täglich 215 Linienbusse über die kleine Brücke fahren mussten, bewertete er den Zustand mit 3,8. Zuvor, ohne den Umleitungsverkehr, fuhren hier nur 28 Busse täglich. Die kleine Brücke hielt der Mehrbelastung nicht stand. Der zuletzt festgestellte Brückenzustand besagte: Kurzfristig keine Einsturzgefahr, mittelfristig unsicher. 3,8 – in Schulnoten übersetzt – heißt „ungenügend“ bis „5 minus“, denn Brückenprüfer vergeben nur die Noten 1 (sehr gut) bis 4 (ungenügend).
Gerissen und verrostet ist das Brückengeländer auch auf der Ostseite der Feldstraßenbrücke in Blickrichtung Herten-Disteln.© Joachim Schmidt
Und wie sieht es auf der größeren Feldstraße aus? Mehr Autos als gewöhnlich, das bedeutet mehr als 10.000 Fahrzeuge täglich. Wie viel genau, hat niemand gezählt. 10.000 – das ist der von Straßen.NRW für 2027 erwartete „normale“ Verkehr. Jetzt fahren hier zusätzliche Autos – und in Ermangelung anderer Ausweichrouten schickt die Vestische einen Großteil ihrer Bus-Karawane über die Brücke. Sechs Buslinien fahren regulär durch das Nadelöhr, fünf weitere kamen durch die Doppel-Sperrung der Brücken in Herten-Disteln hinzu: zusammen mehr als 400 Linienbusse am Tag. Ein Problem?
Nein, das sei Straßen.NRW bekannt, sagt Petra Vesper. „Die Mehrbelastung der Brücke durch die schweren Gelenkbusse und die vermehrte Anzahl steht nicht im Widerspruch zur Belastungsklasse und dem Zustand des Bauwerkes.“
Diese Zuversicht überrascht, denn den Zustand des Bauwerks hatten Brückenprüfer bei der turnusmäßigen Hauptuntersuchung, die alle sechs Jahre erfolgt, zuletzt auf 3,0 gesetzt, was in Schulnoten etwa „4 minus“ bedeutet.
Die Behörde sah sich 2021 sogar gezwungen, den Geh- und Radweg auf der Westseite der Brücke mit einer sogenannten Betongleitwand abzusichern. Das ist die Beton-Spange, die jetzt an einem Ende in der Luft hängt. Auch ein Brückenneubau war zu dem Zeitpunkt schon in Planung. Dieser sollte ursprünglich längst laufen, wurde aber wegen Abstimmungsproblemen mit der Deutschen Bahn auf 2027/28 verschoben.
Die Brücke soll also noch knapp zwei Jahre durchhalten. Zu ihrer augenscheinlichen Vorschädigung teilt Petra Vesper nur mit, dass Straßen.NRW „keine Kenntnis über eine Vorschädigung der Brücke hat, die ihre Tragfähigkeit einschränkt“. Zuletzt wurden trotz der schlechten Note von 3,0 „ausweislich des Prüfberichtes keine Mängel festgestellt, die Einfluss auf die Standsicherheit des Bauwerks haben“. Die Behörde will die Brücke darum weiterhin nicht unter besondere Beobachtung durch einen Gutachter stellen. Alle sechs Jahre gebe es ohnehin zwischen den Hauptprüfungen eine „einfache Prüfung“ und in den Jahren ohne Prüfung eine „Besichtigung“.