Nach den Luftraumverletzungen durch russische Drohnen und Kampfjets steht die Nato unter Druck. Putin hat sie genau dort, wo er sie haben wollte. Europa zahlt den Preis für sein jahrelanges Zögern.
Wenn die mächtigsten Politiker des Westens klingen wie Lehrer, die versuchen, einen Streit im Klassenzimmer zu befrieden, ist das ein schlechtes Zeichen für die Sicherheit Europas. Nachdem russische Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen waren, mutmaßte US-Präsident Donald Trump zunächst, es könne sich um einen „Fehler“ handeln, nur um dann hinterherzuschieben, er sei „nicht glücklich“ über „diese ganze Situation“.
Nato-Chef Mark Rutte verlangte von Russlands Diktator Wladimir Putin: „Hören Sie auf, den Luftraum der Verbündeten zu verletzen!“ Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, man werde „jeden Zentimeter der europäischen Grenzen schützen“. Nun könnte man argumentieren, dass es gut und richtig ist, dass die Spitzen von Nato und EU nicht noch Öl ins Feuer gießen, dass sie ruhig bleiben, sich beraten, nicht unüberlegt handeln.
Das Problem ist nur, dass Putin aus Erfahrung weiß, dass Europa genau so reagiert. Und dass er das ausnutzt, um die Lage immer weiter zu eskalieren. Am Freitag hielten sich russische Kampfjets nach estnischen Angaben zwölf Minuten im Luftraum des kleinen Nato- und EU-Landes auf, bevor Flieger der Allianz sie hinaus eskortierten. Man ist versucht, ein „höflich“ anzufügen.
Kritiker verweisen auf 2015, als ein türkischer Abfangjäger einen russischen Bomber abschoss, nachdem dieser trotz mehrfacher Warnungen den türkischen Luftraum verletzt haben soll. Doch das Jahr 2025 ist nicht das Jahr 2015. Ein Abschuss über Estland hätte eine dramatische Kettenreaktion auslösen können.
In diese Falle hat Europa sich selbst manövriert. Während Putin den Angriffskrieg in der Ukraine immer weiter eskalierte, wurde jede Unterstützung für Kiew erst einmal einer genauen Überprüfung unterzogen, ob sie den russischen Machthaber vielleicht provozieren könnte. Dabei haben die vergangenen Jahre gezeigt: „Putin eskaliert niemals, wenn wir der Ukraine helfen. Er eskaliert, wenn wir nicht genug helfen“, wie der frühere litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis treffend zusammenfasst.
Es ist nun leicht, mit dem Finger auf US-Präsident Donald Trump zu zeigen, ihm vorzuwerfen, dass er Putin nicht in die Schranken weist.
Doch zur Wahrheit gehört auch: Europa hat den Moment verpasst, die Ukraine so aufzurüsten, die Sanktionen gegen Putin so zu verschärften, dass er gar nicht mehr anders kann, als die Provokationen einzustellen und sich Gedanken über ein Kriegsende zu machen. Nun aber berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf sein Umfeld, der russische Machthaber sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine militärische Eskalation für Russland der beste Weg sei, um die Ukraine zu Friedensverhandlungen nach Putins Bedingungen zu zwingen.
Europa und der Nato bleibt nichts anderes übrig, als auf dem schmalen Grat zwischen Abschreckung und Deeskalation zu balancieren. Und am Ende ist es vielleicht die Ukraine, die uns rettet. Kiew hat angeboten, die Expertise bei der Drohnenabwehr mit den Verbündeten zu teilen. Gut möglich, dass wir sie bald brauchen.
„