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Seite 1Die Welt von gestern
Seite 2″Seine Durchlaucht Fürst Albääär dor Zwooohde“, sagt der Bürgermeister
Fürst
Albert von Monaco zieht Menschen an wie ein schwarzes Loch Materie. In
konzentrischen Kreisen umringen sie ihn, während er betreten in ein Glas mit
gelber Flüssigkeit schaut. Ist es Chardonnay, ist es Bier oder ist es
Apfelsaftschorle? Unklar. Klar ist aber: Der Mann möchte, dass man ihn an
diesem Nachmittag in Leipzig als eine Art Statist wahrnimmt. Am allerliebsten
wäre ihm wohl sogar eine Rolle ohne Worte, doch den Gefallen tut man ihm nicht,
denn natürlich ist er ein Superpromi, dessen sonst die Paparazzi an der
Hafeneinfahrt von Saint-Tropez mit gigantischen Objektiven harren.
Aber
hier ist nicht Saint-Tropez, hier ist Leipzig-Lindenau, ein ehemaliger
Arbeiterstadtteil der sächsischen Großstadt, der das Glück hat, eine wichtige
Sehenswürdigkeit zu besitzen. Es ist das sogenannte Capa-Haus, also das
Gebäude, in dem der amerikanische Soldat Raymond J. Bowman am 18. April 1945
hinter seinem Maschinengewehr saß und von einem deutschen Scharfschützen per
Kopfschuss hingerichtet wurde. Ein sinnloser Toter, die Schlacht um Leipzig war
schon in den frühen Morgenstunden des 20. April für die Deutschen verloren.
Kurz nachdem Bowman von der Kugel seines Feindes getroffen worden war, schoss
der berühmte Kriegsfotograf Robert Capa Bilder des Toten. Die Fotos gingen unter
dem Titel Last Man To Die um die Welt, prangten auf dem Cover des Magazins
Life. Heute ist im Capa-Haus ein kleines Museum, das an die Ereignisse
erinnert.
Die
Befreiung Leipzigs jährt sich zum 80. Mal. Deshalb sind alle hier, inklusive
Albert. In Weimar und Buchenwald gab es schon Gedenkveranstaltungen, das
Gedenken zieht jetzt, den historischen Weg der Alliierten nachzeichnend,
Richtung Berlin, wo das Kriegsgedächtnis im Mai seinen Höhepunkt finden wird.
Doch was ist das eigentlich: Gedenken? Gedenken an den Krieg – in diesen
Zeiten? Wie macht man das, sodass es richtig ist und was ist richtig?
© ZEIT ONLINE
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Der
Fürst macht es zunächst einmal mit seiner Anwesenheit richtig. Er nippt am
Getränk und spricht nicht. Noch sind die gedenkenden Gäste im Inneren des
Capa-Hauses unter sich. Der Fürst verleiht ein paar Zertifikate und spricht
seinen einzigen lauten Satz des Tages: „You may take pictures.“
Das Politische Feuilleton
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Gemälde von Donald Trump:
Er ist auferstanden
Er
ist ausgerechnet in Lindenau, of all places, weil eine monegassische NGO für
Friedensarbeit auch heute und auch hier ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Der
Fürst ist Schirmherr der NGO, aber natürlich veredelt er grundsätzlich das
Kriegsgedenken mehr, als jeder lokale Sachsenstar es vermocht hätte, er veredelt
es so sehr, dass Ministerpräsident Michael Kretschmer bei seiner Ankunft am
nämlichen Ort erst einmal draußen vor der Tür warten muss wie der normale
Bürgerliche, der er ist. Mitglieder der Leipziger Stadtregierung huschen auch
unter den Gästen herum. Beeindruckend, wie selbst Sozialistinnen einen Knicks
andeuten und die Augen schüchtern niederschlagen, wenn Son Altesse, His Serene
Highness, wenn Seine Durchlaucht gemessenen Schritts an ihnen vorbeigeht.
Der Bundesrepublik gebricht es eigentlich an Zeremoniell
In
Sachen Garderobe hat Albert sich offenbar mit seinen Bodyguards abgesprochen:
Wir tragen edles Blau, bleiben bei den Schuhen aber bei leisen proletarischen
Gummisohlen, damit wir nicht so auffallen. Selbst von den Bodyguards geht eine
ganz unbürgerliche Würde aus, sie sind als Fremdkörper unmittelbar zu
identifizieren, man kann sie am ehesten mit jenen quadratschädeligen, aber
scharf eleganten Männern vergleichen, die auf den Papst aufpassen.
Der
englische König, zum Beispiel, hat ein so großes Land zu umsorgen, dass er die
Hilfe seiner Familienmitglieder benötigt, um alle seine Royal Engagements
wahrzunehmen. Monaco aber ist nicht groß, Monaco ist ein öder Felsen mit einer
schönen Panoramastraße nach Frankreich und einem protzigen Hafen, dessen Flair
maßgeblich davon abhängt, ob Tag oder Nacht ist. Albert, Sohn der
Schauspielerin Grace Kelly und von Fürst Rainier von Monaco, hat vielleicht gar
nicht so viel zu tun, sodass er, anstatt zu Hause herumzualbern, seine fürstliche Rolle auch im Ausland
ausfüllen kann, als Leihmonarch für eine Republik wie die deutsche. Der
gebricht es ohnehin an Zeremoniell und dass Albert in einem Leipziger Kiez der
Befreiung Europas vom Faschismus gedenkt, verleiht der Sache einen Grad an
Erhabenheit und Dringlichkeit, die sie ohne ihn nicht gehabt hätte. Der
fürstliche Besuch sagt ja: Das hier ist wichtig, schaut hin!