Queere Bildungsprojekte in Berlin stehen wegen geplanter Haushaltskürzungen vor einer ungewissen Zukunft. Träger sprechen von einer bedrohlichen Versorgungslücke – obwohl die Angebote stark gefragt seien. Von Juan F. Álvarez Moreno
Für mehrere queere Bildungsangebote wie die Sensibilisierungsworkshops an Schulen könnte es in Berlin etwas eng werden: Die Förderung für die Träger solcher Angebote ist im Berliner Haushaltsentwurf für die Jahre 2026 und 2027 nicht geklärt. Manche Projekte werden dort nicht mehr genannt, teilweise könnten niedrigere oder gar keine Fördergelder fließen. Einige Träger befürchten deshalb das Aus für bestimmte queere Bildungsangebote.
Dabei geht es unter anderem um Workshops an Schulen, Fortbildung für Lehrkräfte und Beratung für queere Schülerinnen und Schüler. Erklärte Ziele sind die Prävention und der Schutz vor Diskriminierung oder Mobbing, die Sensibilisierung und Aufklärung über queere Lebensrealitäten sowie die Unterstützung von Fachpersonal. Gefördert wurden die Projekte bisher durch die „Initiative sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ der Bildungsverwaltung sowie durch die Antidiskriminierungsstelle des Landes (LADS), die bei der Sozialverwaltung angesiedelt ist.
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Es geht um Hunderttausende Euro
Konkret fehlen im Haushaltsentwurf die Mittel für die Kompetenzstelle intersektionale Pädagogik (132.200 Euro), den Kinder- und Jugendbereich der Inter*Trans*Beratung Queerleben der Schwulenberatung (115.900 Euro) sowie die Aufklärung und Sensibilisierung zu queeren Themen vom LSVD Berlin-Brandenburg (308.725 Euro). Außerdem sollen 100.000 Euro für Aus- und Fortbildung an das neue Berliner Landesinstitut für Qualifizierung und Qualitätsentwicklung an Schulen (BLIQ) übertragen werden.
Für andere queere Bildungsprojekte sind rund 500.000 Euro im Entwurf des Haushaltsplans vorgesehen. Möglicherweise sollen damit die Projekte „Queerformat“, „Queer@school“ und „Youthwork“ gefördert werden, die im aktuellen Entwurf – anders als in den Vorjahren – nicht gesondert aufgelistet sind. Verglichen mit der bisherigen Finanzierung gäbe es laut dem Verein Lambda allein für diese Projekte eine Versorgungslücke von etwa 112.000 Euro. „Das bedeutet Stellenabbau bei ohnehin prekären Arbeitsverhältnissen und zu hoher Nachfrage“, sagte Marie Springborn von Lambda rbb|24. „Wir finden es besorgniserregend, dass queere Bildungsprojekte keinen klaren und sicheren Raum in der Landesförderung haben.“
Die Bildungsverwaltung teilte auf Anfrage mit, dass queere Bildung auch künftig eine Rolle im schulischen Kontext spielen werde. „Über konkrete Förderentscheidungen oder gar das Ende einzelner Projekte zu spekulieren, greift der Arbeit des Abgeordnetenhauses unzulässig vor und ist irreführend“, schrieb ein Sprecher. Konkrete Fragen zu gekürzten oder gestrichenen Fördermitteln und deren Folgen blieben unbeantwortet.
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Träger: Nachfrage „enorm“ gewachsen
„Allein im schulischen Bildungs- und Sensibilisierungsbereich verlieren wir Zuwendungen im sechsstelligen Bereich“, teilte der Geschäftsführer des queeren Vereins LSVD Berlin-Brandenburg, Florian Winkler-Schwarz, auf Anfrage mit. Die LADS werde diesen Bereich ab 2025 nicht mehr fördern; er müsste von der Bildungsverwaltung aufgefangen werden. Diese habe aber bereits im vergangenen Jahr die Finanzierung für das Konsultationsangebot des Vereins gestrichen.
„Queere Bildungsarbeit ist Gewaltprävention“, sagte Winkler-Schwarz weiter. Der Abbau von Vorurteilen und die Stärkung queerer Menschen verhinderten Übergriffe, schafften Sicherheit und dienten der Suizidprävention. Die Nachfrage nach Schulworkshops sei in den vergangenen Jahren „enorm“ gewachsen, so Winkler-Schwarz. „Angesichts steigender Zahlen von queerfeindlichen Übergriffen in Berlin braucht es einen Ausbau dieser Bildungs- und Präventionsangebote, nicht deren Kürzung.“
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Studien deuten auf positive Auswirkungen hin
Im Bildungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses Mitte Juni hatte sich Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) für die Förderung queerer Bildung ausgesprochen. „Queere Bildung ist ein zentraler Bestandteil demokratischer und diskriminierungsfreier Bildungsarbeit“, sagte Günther-Wünsch damals. Das Land habe im Schulgesetz die Akzeptanz von Vielfalt und den Schutz von Diskriminierung als Bildungsziele festgeschrieben.
Grüne und Linke kritisierten im Ausschuss die Kürzungen. Es würden Projekte „plattgemacht oder massiv gekürzt“, sagte der Grünen-Abgeordnete Sebastian Walter. Der Senat habe ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem. Die AfD stellte hingegen den Sinn von queeren Bildungsangeboten infrage. Die Pädagogik solle eigenständig sein, so der AfD-Politiker Tommy Tabor. „Das bedeutet, dass sich die pädagogischen Inhalte nicht von fremden Bereichen wie Politik oder gesellschaftlichen Lobbygruppen bestimmen lassen sollten.“
Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass queere oder LGBTQ-inklusive Bildungsmaßnahmen mit einem besseren emotionalen Klima, weniger Diskriminierung und geringeren psychischen Belastungen einhergehen. Eine US-Studie kam zu dem Ergebnis, dass inklusive Sexualerziehung mit geringerem Risiko für depressive Symptome und Suizidgedanken verbunden ist [pmc.ncbi.nlm.nih.gov]. Laut einer EU-weiten Studie führen inklusive Bildungsmaßnahmen zu weniger Gewalt gegen queere Jugendliche und zu mehr Lebenszufriedenheit, da sie seltener gemobbt oder belästigt werden [pubmed.ncbi.nlm.nih.gov].