Dass Deutschland reich an Kilos ist, liegt am historischen deutschen Flickenteppich – durch Preußen und Bayern gab’s schon mal zwei Kilo-Kopien. Durch die deutsche Teilung in BRD und DDR kam noch mal eine dazu. „Wenn man diese Einheiten dann immer mit dem Original vergleicht, und das hat man früher für das Kilogramm gemacht, muss man immer das Kilogramm in Paris aus dem Schrank holen.“ Also aus besagtem Hochsicherheitstrakt im Internationalen Büro für Maß und Gewicht (BIPM).
Gewichtsverlust des Ur-Kilos: 50 Mikrogramm in 130 Jahren
„Wenn das dann aus dem Schrank draußen war, hat man es gemessen und dadurch hat mit der Zeit dieses Kilogramm gegenüber den Kopien ein bisschen an Gewicht verloren.“ Möglich ist auch, dass eingeschlossene Gase mit der Zeit ausgetreten sind. Eine Einheit kann sich also abnutzen, beim Kilo waren es fünfzig Mikrogramm in hundertdreißig Jahren. Für Weight Watchers wäre das unzureichend, für Präzisionsmessungen ist es aber zu viel.
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Und in diesem Fall besonders ungünstig, denn das Kilogramm ist eine der sieben Basiseinheiten, zu denen auch Meter und Sekunde gehören. Auf denen basiert sozusagen die irdische Physik, weshalb das Ur-Kilo im Frühjahr 2019 von den Vertragsstaaten der Meterkonvention in den Ruhestand geschickt wurde – und gleich zwei Nachfolger bekommen hat, erklärt Cornelia Denz. „Das eine ist eine Art elektromagnetische Waage, bei der man auf den einen Arm das Wägestück bringt, auf der anderen Seite mit elektromagnetischen Effekten wiegt.“
Die zweite Variante klingt noch komplizierter: Statt nach Paris zu fahren, werden Atome innerhalb eines Atomgitters gezählt – in Braunschweig macht man das mit einer nahezu perfekten Silizium-Kugel: „Man erstellt dann eine Kugel aus Silicium, die exakt einem Kilogramm entspricht, weil man weiß, wie eben so das Atomgitter des Siliciums ist und wie viel dann eben ein Mol wiegt.“ Die beiden Methoden befinden sich in einem gesunden Konkurrenzkampf und führen dazu, dass die neue Kilogramm-Referenz noch präziser ist als das betagte Ur-Kilo an der Seine.
Wir wünschen uns, dass das GPS auf den Zentimeter genau ist.
Prof. Dr. Cornelia Denz
über optische Uhren
Das alles funktioniert, weil das Kilo an die Planck-Konstante gekoppelt ist – eine unverrückbare Naturkonstante, die eigentlich bestimmt, wie winzig Energie-Portionen sein können, die von Licht transportiert werden. Beim Meter ist das alles etwas leichter zu verstehen: Den Ur-Meter hat das gleiche Schicksal ereilt wie das Ur-Kilo. Statt eines Stabs hält man sich hier an die Lichtgeschwindigkeit als Naturkonstante, um Längen exakt zu definieren. Denn die Lichtgeschwindigkeit ist unverrückbar, immer gleich und vor allem: Sie nutzt sich nicht ab.
Optische Uhr: Seit dem Urknall höchstens eine Sekunde zu spät
Während Kilogramm und Meter also in Sack und Tüten sind, geht es im Übrigen derzeit darum, wie genau – also wie sehr genau – eigentlich eine Sekunde gemessen werden kann. Eine Sekunde definiert sich aus der Frequenz eines Cäsium-133-Atoms. (Genaueres lässt sich an dieser Stelle schwer vermitteln.) State of the art sind mikrowellengetriebene Caesium-Atomuhren, die sich in Sachen Genauigkeit maßgeblich vom handelsüblichen Quartz-Wecker abheben: „Die arbeiten so genau, wie die Mikrowelle den Takt vorgeben kann“, erklärt Cornelia Denz, „die geht in dreißig Millionen Jahren ungefähr eine Sekunde nach.“ Alle Achtung. Aber Präzisionsmesserinnen und Präzisionsmessern reicht das nicht: „Wir arbeiten schon aber an der nächsten Generation von Uhren, die dann mit optischen Übergängen gehen. Dann kann man sagen: Seit dem Urknall gehen diese Uhren bis heute höchstens eine Sekunde nach.“
Obacht! Metrologie ≠ Meteorologie
Wenige Buchstaben, großer Unterschied: Metrologie ist die Wissenschaft des Messens, Meteorologie die des Wetters.
Beim nächsten Treffen der Metrologie-Staaten wird entschieden, ob die optische Uhr die – hüstel – ungenaue, aber verlässliche Mikrowellenuhr ablösen wird. Für Cornelia Denz liegen die Vorteile auf der Hand: „Sie macht viele Zeiten genauer, die wir an der Börse brauchen und um Prozesse zu steuern.“ Zum Beispiel GPS-Navigation. „Wir wünschen uns, dass das GPS auf den Zentimeter genau ist. Das würde mit optischen Uhren dann der Fall sein.“ Mit denen ließe sich dann auch gleich noch genauer messen, wie viele Mikrogramm pro Sekunde das Ur-Kilo wieder abgenommen hat.