Wer dieser Tage auf die Wiesn geht, könnte mit etwas Glück auch das Goldmund Quartett treffen. Dass die vier dort regelmäßig gemeinsam waren, kann man jedenfalls dem Booklet ihres neuen Albums entnehmen. Wenn nach einem Jahr Pause im vollen Bierzelt der „Böhmische Traum“ erklinge, sagt Cellist Raphael Paratore, dann sei das „wie ein musikalisches Heimkommen“.

„Dahoam“ heißt die Scheibe denn auch, die pünktlich zum Anstich bei Berlin Classics erschienen ist und alles enthält, was Streichquartette sonst garantiert nie spielen: Jodler und Ländler, Polka und Marsch. Streichquartett und Volksmusik, das ist eine ungewöhnliche Kombi, der Weg für Bläser von Haus aus kürzer, Blechbläser zumal. Kaum ein Trompeter oder Hornist in einem Symphonieorchester, der nicht jugendliche Blaskapellenerfahrung mitbrächte.

Dass die Klassik, rein historisch betrachtet, ohne volkstümliche Einflüsse ein gutes Stück ärmer wäre, beweist das Album jedenfalls, unter anderem mit dem Menuett aus dem G-Dur-Streichquartett op. 64 Nr. 4 von Joseph Haydn, dem „Erfinder“ der gesamten Gattung. Noch Mozart, vertreten mit einem Arrangement seiner Sechs Ländlerischen KV 606 aus dem Todesjahr 1791, schrieb viele Tänze, Schubert sowieso, wie im „Galop“ aus D 735 zu hören.

Doch ab der Romantik verlor das Verhältnis zunehmend seine Unschuld, verraten folkloristische Einsprengsel immer auch die Sehnsucht der Klassik nach einer Ursprünglichkeit und Volksnähe, die sie sich selbst nicht mehr zutraut. Im ausgehenden 19. Jahrhundert erkunden viele Klassiker das Volksgut ihrer Heimat(en), um jeweils eigene musikalische Nationalschulen darauf zu begründen. Vielleicht ist es auch der parallele Aufstieg des politischen Nationalismus, der das Einvernehmen endgültig infrage stellt. Ab spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts jedenfalls verzichten klassische Neutöner fast völlig auf folkloristische Anklänge, schon weil ihnen das Material in der Regel zu tonal ist. Dennoch gibt es immer wieder Ensembles und Musiker, die die Genregrenzen zu überwinden suchen.

Klassisches Streichquartett-Habiat: Das Goldmund Quartett bei „Klassik pur im Isartal“ in der Loisachhalle  in Wolfratshausen.Klassisches Streichquartett-Habiat: Das Goldmund Quartett bei „Klassik pur im Isartal“ in der Loisachhalle  in Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Nun also auch das Goldmund Quartett, das Alpenländisches gern schon mal als Zugabe in Konzerten bot. Schließlich sind Florian Schötz und Pinchas Adt (Violinen), Christoph Vandory (Viola) und Raphael Paratore waschechte Münchner Buam, die bereits seit Schulzeiten miteinander spielen und später alle an der Musikhochschule in der Arcisstraße studierten. Die Liebe zu den bayerischen Bergen verriet schon 2017 das Cover ihrer Debüt-CD mit Streichquartetten von Haydn, die neue wurde vor der idyllischen Kulisse von Schloss Elmau eingespielt.

Das laufende Jahr hat den Vieren schon einige Neuheiten gebracht, die Gründung eines eigenen Kammermusikfestivals in Kloster Irsee ebenso wie die Goldmund Academy, in der die Mittdreißiger nachwachsende Ensembles fördern, zudem schon im Februar eine Platte mit Mendelssohn-Quartetten.

Zeitgenössische Musik hat das Goldmund schon immer gern in seine Programme aufgenommen, aber sicher noch keine von Karl Edelmann, dem Chef der „Altbairischen Blasmusik“, der vieles für die Platte arrangiert hat, von Cornelia Schabarok, Florin Pallhuber oder Herbert Pixner, dem Südtiroler Multiinstrumentalisten, der selbst gern den Grenzgang zur Klassik sucht und hier gleich mit vier Titeln vertreten ist. Das satt wiesengrüne Booklet nähert sich jedenfalls entschlossen nicht-klassischen Neuerscheinungen an, indem es auf die übliche historische Einordnung nebst Komponistenbiografien verzichtet.

Wer beim Auflegen allzu Zünftiges erwarten würde, läge dennoch falsch. Das Goldmund spielt auf dem legendären „Paganini-Quartett“ aus vier Stradivari-Instrumenten, die sie kaum mit auf die Wiesn nehmen werden. Die japanische Nippon Music Foundation leiht sie ihnen als erstem deutschen Streichquartett überhaupt. Intonation, Homogenität, das Wechselspiel der Stimmen, das alles verrät die Herkunft aus der Klassik. Man wahrt, was den Kern alles Klassischen ausmacht, Maß, auch im fein dosierten Rubato. Dennoch spürt man die Vertrautheit der vier mit dem volkstümlichen Idiom. Etwa wenn das Cello in Pallhubers „Vergiss mi net“ die Zither imitiert, in vielen geschärften Bogenstrichen, juchzenden Vorschlägen, springenden Trillern.

Man wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Anverwandlung und Anbiederung, Folk goes Schubert sozusagen. Und im „Böhmischen Traum“, dem Klassiker von Norbert Gälle, darf Raphael Paratore tun, wovon er wahrscheinlich schon lange träumt: Einmal die Tuba geben, buff-buff, buff-buff, immer Quarte abwärts. Bevor zum Abschluss noch gemeinsam gesungen wird, als schellackverrauschter Nostalgie-Gimmick.

Live im Konzert wird das Goldmund das Programm übrigens in nächster Zeit nicht spielen, dafür bleiben Konzertveranstaltergrenzen wohl doch zu unüberwindlich. Aber die eine oder andere Zugabe dürfte sicher drin sein.