„Musik hält jung“, sagt Erich Boß und schmunzelt. Seine 80 Jahre sieht man dem Balinger nicht an. Die vergangenen 65 Jahre hat er dazu genutzt, Tonträger aller Art zu sammeln. Sie stehen nun in einem extra Raum in seiner Wohnung. Zusammen mit einem 35 Jahre alten Yamaha-PF-800-Plattenspieler und einer kombinierten Kenwood-Sony-Anlage. Die Musik tönt dann aus MB-Quart-Boxen. „Nach meiner letzten Zählung besitze ich genau 3610 Langspielplatten“, verrät er nicht ohne Stolz. Dazu kommen rund 2500 Singles und etwa genau so viele Compact-Discs.
Die beeindruckende Sammlung sehen Sie oben im Video unseres Reporters.
In seinem Musikraum stehen die schwarzen Scheiben – und allerlei Erinnerungsstücke an die Zeit, in denen der Rock’n’Roll gerade den Kinderschuhen entwachsen war. Nein, bedauert er, bei dem legendären Auftritt von Bill Haley am 29. Oktober 1958 auf dem Killesberg war der damals 15-Jährige nicht mit dabei. Seine Eltern seien der Ansicht gewesen, dass er noch zu jung sei für diese wilde Musik. So ganz daneben lagen sie mit ihrer Einschätzung nicht – ging doch viel Mobiliar zu Bruch.
Dabei hatte sein Vater die Lust des Filius an der Musik mit dem Geburtstagsgeschenk zum 13. Wiegenfest erst richtig angeheizt. Der junge Erich erhielt 1958 seine erste Single „Kari waits for me“ von den „Teddies und Ralf Paulsen“. Natürlich hat die schwarze Scheibe heute einen Ehrenplatz in der Sammlung. 1960 hat sich Erich Boß dann seine ersten 3 Langspielplatten gekauft. Und zwar von den „Spotnicks“, den „Shadows“ und von Duane Eddy. Nach und nach sammelte der Balinger alles, was nicht niet- und nagelfest war.
Auf dem Sofa: Erich Boß und Brenda Lee. (Foto: Privat)
Doch es blieb nicht allein beim Kauf der schwarzen Scheiben. Erich Boß‘ Hobby wurde bald zur Leidenschaft. Er wollte die Werke seiner Idole nicht nur auf den Plattenteller legen, er wollte sie live hören – und die Stars kennenlernen. Mit dem Gitarristen Ricky King, der mit Stücken wie „Verde“ und „Le Reve“ Millionenseller hatte, verbindet ihn eine lange Freundschaft. „Erst gestern haben wir wieder miteinander telefoniert“, erklärt er.
Konzerte auf der ganzen Welt
Erich Boß besuchte Konzerte auf der ganzen Welt. So war er zweimal bei den Rolling Stones, bei Johnny Cash, den er zusammen als legendäres Duo mit seiner Ehefrau June Carter-Cash gehört hat, bei der Blues Band, bei Bonnie Raitt, Johnny and the Hurricanes, Tammy Wynette, Marty Robbins, Paul McCartney and the Wings oder Roy Orbison. Er war unterwegs in Großbritannien, der Schweiz, Frankreich, den USA, Australien, den Niederlanden und Belgien, um Konzerte zu besuchen.
Erich Boß traf Cliff Richard. (Foto: Privat)
Der heute 80-Jährige, der bis 2005 als Schriftsetzer beim Druck- und Verlagshaus Hermann Daniel gearbeitet hat, ist heute noch stolz auf sein Berufsleben. „Ich war 46 Jahre lang beim Zollern-Alb-Kurier. Das war eine schöne Zeit“, sagt er rückblickend. Er habe früher Banjo, Gitarre und Drums gespielt, verrät er. Auch heute noch macht Erich Boß selbst Musik – als ältester Bass des Bisinger Gospelchors.
Jerry Lee Lewis die Hände geschüttelt
Der Balinger kann viel erzählen. Beispielsweise von Brenda Lee, Rockabilly-, Country- und Pop-Sängerin aus den USA, einer guten Freundin von Elvis Presley. Sie traf Erich Boß 1995 nach einem Konzert in London. Er kämpfte sich zum Backstage-Bereich durch und fand sich plötzlich zusammen mit dem Star auf dem Sofa wieder. Auch anderen Stars, wie beispielsweise der Rock’n’Roll-Ikone Jerry Lee Lewis, schüttelte er die Hände. Joe Cocker traf er nach einem Konzert in Stuttgart, ebenso die Beach Boys, die in der Schleyerhalle auftraten.
Ein besonderes Verhältnis hatte er zu Olivia Newton-John. Erich Boß war 10 Jahre Vorsitzender eines Fanclubs der Pop-Sängerin und traf viermal mit ihr zusammen.
Erich Boß mit Hank Marvin, dem Gitarristen der „Shadows“. (Foto: Privat)
Wenn man Boß als einen der größten Fans von Cliff Richard bezeichnet, widerspricht er nicht. Richard Weize, graue Eminenz der legendären Bear Family Records, rief den Balinger einmal spätabends an und fragte, ober er nicht Fotos von Cliff Richard habe. Der Balinger schickte sie ihm und ist nun auf einer Box von Cliff Richard, einer echten Rarität übrigens, verewigt.
Balinger Musikszene in den 1960er-Jahren
Doch nicht nur in der internationalen Musik ist der 80-Jährige zu Hause. Wenn er sein Schatzkästchen zur Balinger Szene der 1960er-Jahre öffnet, purzeln dort echte Juwelen heraus. Wer kennt beispielsweise noch die „Speeders“ aus Ludwigsburg, die in der Eberthalle aufgetreten sind? Die „Teddyboys“ aus Frommern haben im Hotel Württemberger Hof zum Tanztee gespielt, „Ecki and his Rolling Stars“ aus Hechingen und die „Starlets“ um den früheren Bären-Wirt Uli Stegmaier waren eher in Festhallen unterwegs.
Erich Boß mit Paul Jones, dem Sänger von Manfred Mann. (Foto: Privat)
Neben der Musik ist das Reisen eine große Leidenschaft von Erich Boß. Dabei hat es ihm der australische Kontinent besonders angetan. Im kommenden Februar fliegt der 80-Jährige zum nunmehr 13. Mal in das große Land und tourt an der Westküste entlang. Klar, tritt er auch dort in musikalische Spuren. Denn der Balinger kennt mit Martin Cilia einen der einflussreichsten Protagonisten der Surf-Music. Da steht ein Besuch auf dem Programm.
Unzählige Male in England
Aber auch in Schottland fühlt sich Erich Boß zu Hause. Dort war er bereits siebenmal. Die karge Landschaft der Highlands hat es ihm genauso angetan wie die großen Städte Edinburgh oder Aberdeen. Und dann wäre da noch England. Im November zieht es ihn wieder auf die Insel. Wie oft er in Liverpool oder London war, kann der Balinger gar nicht mehr ganz genau sagen. „Meine Aufenthalte in England zähle ich schon gar nicht mehr“, verrät er. Die Erinnerungen aber, die er beispielsweise an Liverpool hat, kann ihm niemand mehr nehmen. Die Beatles stehen da ganz oben an. Die legendäre „Penny lane“, die die „Fab four“ besungen haben, hat er natürlich besucht. Die „Abbey Road“ in London stand auch schon auf seinem Besuchsprogramm.
Es gibt Stars, die Erich Boß gerne kennengelernt hätte, die aber bereits verstorben sind. Der Balinger hat ihre Gräber besucht. So war er natürlich in Graceland im amerikanischen Bundesstaat Tennessee, wo Elvis Presley seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Dort habe er zwei tränenüberströmte Fans darum gebeten, ein Foto von ihm zu schießen, erzählt er. An Buddy Hollys Grab in Lubbock/Texas war er wie an der letzten Ruhestätte von Eddie Cochran auf dem Forest Lawn Cemetery in Cypress/Kalifornien.
Experte bei Spartensender
Sein Wissen über die Musik gibt der Balinger zwischenzeitlich auch im Internet-Radio zum Besten. Beim Radiosender KTL-Radio aus Kempen am Niederrhein war er schon viermal Gesprächspartner von Moderator Helmut Schmitz in dessen samstagabendlichem Format „Hörbar“. Bei Radio Freudenstadt gestaltet er als DJ schon mal ganze Sendungen allein. Dort kommen dann auch Chansons seiner Lieblingssängerin Françoise Hardy und der Rock’n’Roll der „Searchers“, von denen er schon mindestens 20 Konzerte besucht hat, zu ihrem Recht
Erich Boß vor einem Teil seiner Schallplattensammlung. (Foto: Daniel Seeburger)
Trotz seiner Umtriebigkeit fehlt Erich Boß etwas in seinem Leben. Vor 7 Jahren verlor er seine Frau Irmgard. Vor 4 Monaten starb sein Sohn Klaus an einer heimtückischen Krankheit. Trotz der beiden schweren Schicksalsschläge ist Erich Boß ein lebenslustiger und umtriebiger Mensch geblieben. Er ist täglich in der Stadt unterwegs, besuchte beispielsweise sämtliche Konzerte des Balinger Kulturfestivals aus dem Marktplatz.
Rarität aus dem Giftschrank
Erich Boß öffnet seinen „Giftschrank“. Dort ist zwar kein Gift drin, dafür aber Scheiben, die er nur mit größter Ehrfurcht anfasst. Sie sind im Raritäten-Kabinett gesammelt. Er zeigt die letzte LP von Elvis Presley. „Moody Blue“, heißt die. Das Vinyl ist nicht schwarz, sondern blau. Auf dem Cover steht ein wichtiger Hinweis: „Not for sale“. Unverkäuflich, heißt das. Es ist eine Demonstrations-LP, die nie in den Handel gekommen ist. Nur 300 Pressungen sind davon weltweit im Umlauf. Wie er an dieses Diamanten gekommen ist? Erich Boß schmunzelt – und schweigt.