„Ich sehe mir den Gewinner des Intervision Song Contest an, der angeblich ins Leben gerufen wurde, um ’nicht-traditionellen Werten‘ und der ‚LGBT-Propaganda‘ ein Ende zu setzen, und denke mir: Wohin wollt ihr, ihr alten Narren?“, höhnt der russische Polit-Blogger Igor Dimitriew [externer Link] über den Fernsehwettbewerb, den der Kreml als propagandistisches Gegenstück zum Eurovision Song Contest erfand.
Sieger wurde dort am Samstagabend der vietnamesische Sänger Duc Phuc, der russischen Ultranationalisten zu „androgyn“ ist und dem offen gelebte Homosexualität unterstellt wird. In Asien könne man Jungen und Mädchen sowieso nicht immer voneinander unterscheiden, schimpfte Dimitriew, weil sie sich „kostümierten“.
Politologe Alexander Saygin schrieb [externer Link]: „Duc Phucs Sieg wirkt wie ein totales Versagen des Systems, das die Dinge aufgrund schlichter Unkenntnis der Sprache und der kulturellen Feinheiten Vietnams nicht richtig geregelt hat.“ Dessen Berufskollege Alexander Kynew bemerkte erstaunt [externer Link], dass „viele asiatische Künstler“, darunter Duc Phuc, die „Toleranzideen des Eurovision Song Contest“ teilten, weshalb alle Versuche zum Scheitern verurteilt seien, Kultur propagandistisch einzusetzen.
„Tolle Arbeit, Mann“
Wirtschaftskolumnist Dmitri Drise spottete [externer Link], jetzt wüssten die Russen wenigstens, welche Popmusik ihnen der Kreml ans Herz lege: „So sieht also die Alternative zum dekadenten Westen aus.“ Duc Phuc habe ein äußerst erfolgreiches Musikvideo über zwei ineinander verliebte Männer produziert und sich damit als „wenig aufrichtig“ erwiesen, zumal sein Sieger-Song auch noch antichinesische Untertöne gehabt habe, was allerdings nur ausgewiesenen Kennern der vietnamesischen Mythologie und Sprache aufgefallen sein dürfte.
Gleichwohl fällt auf, wie sehr Putin der Song-Wettbewerb auf die Füße fällt, weil russische Beobachter jedes vermeintlich „unpolitische“ Detail, auch die Platzierung der Teilnehmer, als vom Kreml gesteuert wahrnehmen und daraus ihre Schlüsse ziehen.
„Sie wollten also unbedingt ein Gegengewicht zum dämonischen, sodomitischen Eurovision Song Contest schaffen, indem sie ihren eigenen, richtigen und ordentlichen Wettbewerb veranstalteten und zeichneten einen offen schwulen Mann aus Vietnam mit einem Lied über den Kampf gegen die chinesischen Invasoren aus. Tolle Arbeit, Mann“, hieß es dazu auf einem weiteren russischen Polit-Blog [externer Link].
„Signal Moskaus an Peking“
Dass die musikalische Qualität bei Putins „Intervision“ völlig unerheblich war, glaubt auch Polit-Blogger Dmitri Sewrjukow [externer Link]: „Die Wahl eines vietnamesischen Gewinners war durchaus angemessen, da sie die geopolitische Lage am besten widerspiegelt und mit der multipolaren Architektur vereinbar ist. Vietnam und Russland haben im vergangenen Jahr ein strategisches Partnerschaftsabkommen unterzeichnet, Vietnam versteht sich aber auch gut mit den USA. Daher ist ein vietnamesischer Künstler ein viel geeigneterer Kandidat für den Sieg im russischen Intervision Song Contest als beispielsweise ein chinesischer oder indischer Kandidat, ganz zu schweigen von einem Kubaner.“