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Menschen Ein Mann sitzt am Steuer seines Cabrios, Deutschland 1930er Jahre.  Er kann nicht loslassen: Der Mann am Steuer verdirbt die Verkehrswende. © Imago Images

Boris von Heesen widmet sich in seinem Buch den Gründen für die ausbleibende Verkehrswende. Von Hannah Cada

Männer fahren wild Auto und verletzten sich dabei zuhauf selbst und andere obendrein. Mann am Steuer also? Boris von Heesen beginnt sein neues Buch mit pauschalisierenden Aussagen über das Fahr-Verhalten von Männern. Die einen werden schmunzeln und andere werden an mancher Stelle verärgert sein. Zwar mögen die überspitzten Formulierungen von Heesens Geschmackssache sein, die Statistik spricht dennoch für sich. Der gebürtige Frankfurter widmet sich mit „Mann am Steuer: Wie das Patriarchat die Verkehrswende blockiert” der Rolle des Mannes im Verkehr beziehungsweise in der Verkehrswende. 

Folgen einer patriarchalen Gesellschaftsordnung, die in vielen Bereichen zu geschlechterspezifischen Ungleichheiten führen, machen laut von Heesen auch vor der Autotür keinen Halt. Eher umgekehrt. Von Heesens Frau meinte zu ihm etwa pointiert: „Man sieht das Patriarchat vor lauter Autos nicht mehr.” 

Wer im Vorstand sitzt, gibt den Ton an

Die berufliche Vergangenheit des Wirtschaftswissenschaftlers liegt unter anderem bei der Diakonie in Bayern und der Drogenhilfe in Frankfurt am Main. Mit seinen Erkenntnissen über die negativen Auswirkungen durch das Patriarchat, die ganz besonders Männer zu spüren haben, berät er beruflich auch Männer in persönlichen Krisen. In der Drogenberatung war er wiederholt damit konfrontiert, dass die überwiegende Mehrheit der Betroffenen, Männer waren – und immer noch sind. Die geschlechterspezifische Schieflage in traurigen Statistiken, der sich von Heesen widmet, inkludiert auch, dass beispielsweise 94 Prozent der Gefängnisinsassen in Deutschland Männer sind, über 80 Prozent der Verkehrsunfälle mit Verletzten aufgrund eines alkoholisierten Hauptverursachers Männern zu Schulden kommen oder, dass mehr Männer unter Glücksspiel- oder Drogensucht leiden. 

Von Heesen legt dar, dass in Bereichen des (Automobil-)Verkehrs fast überall Männer das Sagen haben. Gab es schon eine Verkehrsministerin in Deutschland? Nein. Wer sitzt im Vorstand von Volkswagen, Mercedes-Benz, BMW? Immer mehrheitlich Männer. Und wie geht es der Gestaltung unseres Mobilitätsystems heute? 291 000 Verkehrsunfälle mit verletzten oder getöteten Menschen im Jahr 2024, Autobahnen im Großteil ohne Tempolimit, eine Autowirtschaft, die sich viel zu spät auf die erneuerbaren Energien umstellt und überhaupt eine Lobby, die immer und immer wieder gegen sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen wettert, die so bitter nötig sind und eben auch die Autos betreffen. 

Die aktuelle Verkehrspolitik hat verheerende Auswirkungen auf Männer, Frauen, alle Menschen und Tiere überhaupt. Aber all das nun auf Männer zu schieben, wäre etwas übertrieben, oder nicht? Zwar geht der Ton des neu erschienenen Buches doch teils in die Richtung: „Macho Männer wollen schnelle, laute Autos.“ Wobei an dieser Stelle gesagt werden muss, dass der Autor ausdrücklich die Provokation als Mittel nutzt, um damit öffentliches Interesse anzuregen. 

Wäre also die Verkehrswende gerettet, wenn man alle Vorstände der Autokonzerne und alle Ministerien weiblich besetzt? So einfach sei es natürlich nicht. Dennoch ist von Heesen davon überzeugt, dass Frauen zur Vernunft beitragen würden, wenn beispielsweise wieder ein neues Auto mit 1000PS auf den Markt gebracht werden soll. Eine Idee, die nur von einem Mann kommen könne, meint der Autor in einem Interview mit der Wiener Wochenzeitung Falter im Juli.

Das Buch

Boris von Heesen: Mann am Steuer. Heyne 2025, 288 S., 18 Euro.

Keineswegs soll mit dem Buch vermittelt werden, Männer seien das Problem und sie sollten ihrer Machtpositionen entzogen werden. Naja, auch – aber nur so weit, dass gleich viele Frauen mitbestimmen dürfen. Vielmehr möchte von Heesen darauf aufmerksam machen, dass die geschlechtsspezifischen Rollenbilder unserer Gesellschaft auch Männern nicht guttun. 

Die Autonormativität, also die „unhinterfragte Normalität, mit der Autos unsere Mobilität dominieren” ist ein Phänomen unserer Zeit, welches mit diesem Buch, untermauert mit vielen Fakten, scharf kritisiert wird. Aber wie kommen wir da heraus? „Hierfür müssen wir aber an die ungesunden männlichen Stereotype ran. Behutsam, wertschätzend, ohne anzuklagen und stets lösungsorientiert.“ So könne auch die Verkehrswende gelingen.

Seine These, warum sich Männer nicht um dieses Thema und damit mehr Verkehrssicherheit bemühen, ist: „Die meisten Männer wurden und werden immer noch in einer patriarchalen Gesellschaft sozialisiert, in der eigene Schwächen und Fehler eher verdrängt oder abgespalten werden.“ Das sei abgesehen von der Verkehrsstatistik, wie bereits erwähnt, auch in der (Gewalt-)Kriminalität oder der Gesundheit der Männer merklich. Nicht zuletzt plädiert er stark für ein Tempolimit. Rund 300 Personen sterben jährlich auf deutschen Autobahnen, wobei nach Schätzungen diese Zahl mit einem Tempolimit um ein Drittel reduziert werden könnte. Allein direkt Menschenleben zu retten wäre ein ausreichendes Argument. Die positiven Auswirkungen auf die deutsche Klimabilanz muss von Heesen da gar nicht erwähnen.  

Das Buch veranlasst einen über einen weiteren Bereich, der von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern betroffen ist, nachzudenken. Der Autor möchte ausdrücklich einen politischen Diskurs über den Mann am Steuer entfachen.