Auf diesen besonderen Moment freut sich Namy Nguyen jedes Mal aufs Neue: Vorsichtig öffnet sie die Tür des Keramikbrennofens und betrachtet die glänzenden Einzelstücke. Ganz in Ruhe genießt sie den Anblick – nur sie allein. „Ich bin immer wieder erstaunt, was für tolle Ideen die Besucher haben“, sagt 42-Jährige.

Manchmal kann sie ihr Glück gar nicht richtig fassen. Weil so viele Zufälle dazu führten, dass sie Anfang 2024 das Keramikmalstudio in Kaulsdorf übernommen hat. Und dann denkt sie wieder: „Es war auch meine innere Stimme, die mich dazu brachte, denn es ist genau das, was ich immer wollte“, erzählt Namy, die in Vietnam geboren wurde und seit 1992 in Deutschland lebt.

Denn gebastelt hat sie immer gern. Früher nur nebenbei: Erst kam der nervenaufreibende Job als Sozialpädagogin bei einem freien Träger der Jugendhilfe, dann die Familie, zu der inzwischen vier Kinder gehören. Als sie vor zwei Jahren für einen ihrer Söhne eine Geburtstagsbeschäftigung suchte, entdeckte sie die kleine Werkstatt im Wilhelmsmühlenweg.

Das Besitzerpaar, das 1994 das Keramikstudio aufbaute, verabschiedete sich in den Ruhestand und Namy übernahm. Ihre Vorgängerin Ingrid Schreib lernte sie an und Namy war von sich selbst überrascht. „Weil mir nichts schwerfiel, es war, als hätte ich nie etwas Anderes gemacht.“

Wenn sie an die bevorstehenden Wochen denkt, kribbelt es ihr ein bisschen in den Fingern. Denn Herbstzeit ist Bastelzeit und die Hauptsaison beginnt. Jede Menge Interessierte haben sich angemeldet, viele Kurse sind ausgebucht.

Es kommen Familien, Senioren und immer mehr junge Menschen. Ihre älteste Besucherin war 83 Jahre alt. Und die meisten haben konkrete Vorstellungen, was sie gestalten möchten und bringen sogar Fotos mit.

Manche sind anfangs etwas überfordert, weil ihnen die Wahl aus mehr als 500 Keramikrohlingen sichtlich schwerfällt. Denn in den Regalen drängeln sich Tassen, Teller, Schalen, Dosen und Krüge in verschiedenen Formen und Größen. Im Nebenraum stehen die Farben, auch da muss jeder erst das Passende finden.

„Wie Yoga, nur ohne Schwitzen“

Gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Christine kümmert sich Namy um die Besucher. „Wir nehmen uns für jeden Zeit, leiten an, geben Tipps und helfen“, erklärt die Kaulsdorferin. In diesen ersten Minuten geht es im Laden immer recht laut und turbulent zu.

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Erst wenn jeder an seinem Platz sitzt und mit Pinsel oder Stift hantiert, wird es ruhig. Einfach Kopf abschalten und malen. „Eine Dame hat mal gesagt, das ist wie Yoga, nur ohne Schwitzen“, erzählt die Chefin und lacht.

Nach etwa zwei Stunden sind die meisten fertig mit ihrer Keramik. Tassen, Teller und Co. bleiben im Laden zum Brennen und können nach zehn Tagen abgeholt werden.

Dass das Bemalen von Keramik im Trend liegt, ist auch an den Werkstätten zu beobachten, die es mittlerweile überall in Berlin gibt. „Es ist so beliebt, weil es einfach ist und du hast super schnell ein tolles Ergebnis“, bestätigt Namy. Manche kreierten bei ihr schon ein ganzes Service.

Handarbeit wieder im Trend

Laut einer Studie der Uni Mainz beschäftigen sich immer mehr junge Menschen mit einem kreativen Hobby: Keramik selber bemalen steht ganz oben auf der Agenda. Namy sieht solche Handarbeiten auch als ein Gegengewicht zur digitalen Welt, obwohl das Endergebnis dann oft mit der virtuellen Welt geteilt wird.

Namy’s Keramikstudio

befindet sich im Wilhelmsmühlenweg 6, in 12621 Berlin- Kaulsdorf. Weitere Informationen unter keramikbemalen.com

Soziologen sprechen dann von einem „sozialen Ansteckungseffekt“. Der entsteht, wenn der Feed voll ist mit Videos und Fotos über das Keramikmalen. Wer das sieht, denkt, „das möchte ich auch mal ausprobieren“.

Mit vielen Stammbesuchern hat Namy inzwischen „echte Freundschaften geschlossen“. Auch zu Schulen im Bezirk gibt es eine enge Verbindung. Eine Psychologin nutzt „den geschützten Raum“ beispielsweise, um sich mit ihren Patienten in das kreative Tüfteln zu vertiefen, um dann mit neuer Energie in den Alltag zurückzukehren.

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Namy selbst bildet sich ständig weiter. Sie bucht Kurse in Wien, um sich über neue Farbtrends zu informieren. Demnächst will sie die traditionelle japanische Kunst Kintsugi zum Reparieren von Keramik zu erlernen – um sie dann in ihrem Studio anzubieten.