AUDIO: Umfrage zum Thema „Beratungsklau“ (1 Min)
Stand: 23.09.2025 11:44 Uhr
Einer repräsentativen Umfrage zufolge lässt sich jeder und jede Dritte im Fachhandel beraten, bestellt dann allerdings online. Verhindern lässt sich das kaum. Fachhändler in Schleswig-Holstein müssen mit „Beratungsklau“ leben.
Verschiedene Räder vorführen, Sattel einstellen, für die Probefahrt noch mal Luft nachpumpen: Eine Beratung im Fahrradladen kostet Zeit. Dass die in Anspruch genommen, die Ware aber dann vermutlich im Internet bestellt wird, erlebt Achim Geller-Brünjes jeden Tag aufs Neue. „Es ist superärgerlich“, sagt der Inhaber des Lübecker Fahrradgeschäfts Zweirad Wöltjen.
Vielleicht wird nicht gesehen, was wir leisten. Dass das Personal ein Fachpersonal sein muss. Dass es Geld kostet, hier einen Warenbestand hinzustellen.
Achim Geller-Brünjes, Inhaber von Zweirad Wöltjen
Auch Lars Kewitz kennt das Phänomen. Ihm gehört eine Modeboutique in der gediegenen Lübecker Hüxstraße. „Ein junger Mann hatte eine Jacke probiert und darum gebeten, sie eine Größe kleiner zu bestellen“, erzählt er. „Als ich sagte, dass ich dafür eine Vorauszahlung bräuchte, schaute er mich mit großen Augen an: Er wollte sie ja nur anprobieren, bestellen würde er sie eh online.“
Konflikt: Geld sparen oder Einzelhandel unterstützen?
In einer repräsentativen Befragung des Marktforschungsportals „YouGov“ im Auftrag der deutschen Presseagentur hat jeder und jede dritte Befragte angegeben, sich schon mal im Fachhandel beraten lassen zu haben, um dann den Artikel online zu bestellen. Auch Nachfragen bei Passantinnen und Passanten in der Lübecker Hüxstraße machen deutlich: „Beratungsklau“ ist eine verbreitete Geldsparstrategie.
Passantin Kristin Floruß aus Hannover habe sich mal zu Outdoorartikeln und Sportschuhen beraten lassen, dann aber im Internet geordert. „Weil ich die fachliche Expertise haben wollte.“ Online habe sie für die Schuhe rund 50 Euro weniger bezahlt. „Ich hab auch schon mal im Klamottenladen probiert und online bestellt“, gibt der Lübecker Vincent Räsch zu. Vor allem Hosen kaufe er jedoch am liebsten im Geschäft. Um den Handel in der Stadt zu unterstützen – und weil er die Beratung schätzt. In seinem Lieblings-Hosenladen wisse man sofort, welche Größe er braucht.
Umfrage: Jeder und jede Zweite lehnt „Beratungsklau“ eigentlich ab
Die YouGov-Umfrage hat auch ergeben, dass jeder und jede Zweite „Beratungsklau“ eigentlich nicht in Ordnung findet. „Grundsätzlich finde ich es nicht gut, dass man die Zeit der Leute in Anspruch nimmt“, sagt auch Kristin Floruß. Vincent Räsch vermutet: Viele wissen, was eigentlich fair wäre, handeln aber dennoch anders.
Man redet es sich schön. Oder sagt: Ich muss halt auch meine Miete bezahlen.
Vincent Räsch aus Lübeck
Laut Wirtschaftspsychologin Dr. Mirjam Braßler zeigt die Forschung, dass tendenziell eher Männer zu „Beratungklau“ neigen.
Ob wir zu „Beratungsklau“ neigen, hängt laut Wirtschaftspsychologin Dr. Mirjam Braßler davon ab, wie wir unser Umfeld wahrnehmen. „Wenn ich das Gefühl habe: Alle machen das, dann legitimiert es mich darin, ‚Beratungsklau‘ auch für mich in Anspruch zu nehmen.“ Das Selbstbild spiele eine wichtige Rolle: Wer sich stark als Person definiert, die fair und nachhaltig einkauft, sich sozial verhält, würde sich nicht so schnell von Gedanken wie „das machen ja eh alle“ beeinflussen lassen.
Maßnahme gegen „Beratungsklau“: Fotoverbot
Anprobieren, dann die Preisschilder mit den Artikeldaten fotografieren und später online vergleichen: In Lars Kewitz‘ Boutique ist das untersagt. „Die Leute müssen sich den Artikelnamen eben merken.“ Viele Kleidungsstücke gebe es online auch gar nicht günstiger, sagt der Inhaber – er halte sich an die Preisempfehlung der Hersteller.
Niedrigere Onlinepreise verleiten manche, den Ladenpreis zu drücken
Bei Fahrrädern hingegen kann der Onlinepreis einen echten Unterschied machen. Ein sportliches Zwölf-Gänge-Gravelbike, gold lackiert: Der Ladenpreis bei Zweirad Wöltjen liegt bei 1.999 Euro. Auf Preisvergleichsportalen findet man das gleiche Modell in einer anderen Farbe für rund 600 Euro weniger.
Manchmal wird Fahrradhändler Achim Geller-Brünjes von Interessenten direkt mit günstigeren Onlinepreisen konfrontiert: „Das sind dann immerhin die Ehrlichen, die uns nicht nur ausnutzen, sondern sagen: Sie sind zu teuer, können wir was machen. Dann können wir darauf eingehen und ein Gegenangebot machen, das unsere Leistung widerspiegelt – oder darauf verzichten.“
Lübecker Fahrradhändler will sich mit Service von Onlineangebot abheben
Weder der Handelsverband Nord noch die Forschung weiß so richtig, ob „Beratungsklau“ zunimmt. Fahrradhändler Achim Geller-Brünjes ist überzeugt: „Es wird zunehmen, es ist jetzt schon spürbar. Und dann müssen wir sehen, wer das wie überleben kann.“
Er und sein Team versuchen, mit Service zu punkten. Und Kundinnen und Kunden damit zu binden, dass die Werkstatt vorrangig im eigenen Geschäft verkaufte Räder repariert: „Nicht jeder kann mit einer Scheibenbremse, Gangschaltung und der Technik beim E-Bike selbst etwas anfangen. Da sind wir gefragt, das ist unser dickes Faustpfand.“
Einige Fachhändler setzen auf eigene Onlineshops
Für den Fahrradhändler sind die Onlineanbieter nicht nur Konkurrenz, sie spielen ihm auch in die Hände. Immer häufiger kämen Kundinnen und Kunden, die sich online Räder ausgesucht haben, diese in seinem Geschäft probefahren möchten und dann auch bei ihm kaufen. Boutique-Inhaber Lars Kewitz hat einen eigenen Onlineshop. Gerade Kundinnen und Kunden, die nicht aus Lübeck kommen, könnten sich vorab zum Beispiel telefonisch beraten lassen und dann in seinem Shop online bestellen.
Und zumindest teilweise kann er „Beratungsklau“ auch sportlich sehen: „Mir ist es lieber, ein Kunde kommt zu mir in den Laden, informiert sich und bestellt dann online, als wenn er gleich online bestellt.“ So habe er wenigstens die Gelegenheit, im persönlichen Gespräch mit seinem Service zu überzeugen. Damit der Kunde oder die Kundin womöglich wiederkommt – und seine Boutique mit vollen Taschen wieder verlässt.
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