Stand: 23.09.2025 15:00 Uhr

Mit der neuen Initiative „Schrott bewahre“ gibt es in Hamburg nun schon die zweite Anlaufstelle für Gebrauchtes und gut Erhaltenes. Die Idee: Bau- und Bastelmaterial eine zweite Chance geben.

von Luna Ragheb und Sharon Welzel

Ob Latten, Rohre oder Planen – auf 200 Quadratmetern bietet der gemeinnützige Verein „Schrott bewahre“ in Hamburg-Hammerbrook allerlei gebrauchtes Material zum Bauen und Basteln. Ebenso wie die Hanseatische Materialverwaltung will auch dieser Verein die Kreislaufwirtschaft voranbringen. „Schrott bewahre“ bewahrt Bau- und Bastelmaterial vor dem Müll und verkauft es weiter – und wird so zu Hamburgs erstem Gebrauchtbaumarkt.

Der Charme gebrauchter Dinge

Zwei Besucher*innen des Second-Hand-Baumarkts  "Schrott bewahre" in Hamburg

Eike (rechts) und ihr Partner sind ganz gezielt in den Second-Hand Baumarkt gekommen.

In einem ehemaligen Büro- und Hotelgebäude in Hamburg-Hammerbrook steht ein Paar mittleren Alters an einem langen Werktisch. Sie kramen in einer grauen Plastikbox. Darauf steht: Konsolen und Kragarme. Eike, eine Frau mit Brille und blond-schwarz gefärbten Haaren braucht etwas ganz bestimmtes: „Ich suche Winkel für ein Regal in meiner Küche.“ Sie ist gerade wieder nach Hamburg gezogen und hat im Internet gezielt nach einem Ort für gebrauchte Ware gesucht: „Am liebsten habe ich Sachen vom Sperrmüll oder Gebrauchtes. Neuware finde ich eher hässlich.“

Allen Materialien eine Chance geben

Tukki Neumann vom Verein "Schrott bewahre" in Hamburg

Tukki Neumann aus dem Gründerteam will, dass alle Materialien wiederverwendet werden können.

Bei „Schrott bewahre“ ist sie fündig geworden. Der Verein sammelt seit Herbst 2024 gebrauchte Bau- und Bastelteile. Sie stammen von Privatleuten, Firmen oder Kultureinrichtungen. Das Ziel: Abfall vermeiden und Ressourcen schonen. Von Schrauben bis Platten, alles finde hier Wiederverwendung, sagt Möbel- und Produktdesigner Tukki Neumann vom Gründungsteam der Initiative. „Wir wollen nicht das System, in dem wir gerade leben, befeuern, sondern allem eine Chance geben. Wenn wir uns nur auf die Materialien fokussieren, die richtig gut laufen, dann unterstützen wir wieder das System, in dem wir gerade leben – und das wollen wir nicht.“

Bildung in Sachen Nachhaltigkeit inklusive

Verschiedene sortierte Holzlatten im Lager des Vereins "Schrott bewahre"

Hier ist alles gut sortiert – wer herkommt, muss sich trotzdem drauf einstellen, zu improvisieren.

Zum Stöbern kann jede und jeder kommen. Wer kauft, zahlt je nach Zustand der Materialien. Fast neue Stücke kosten 75 Prozent des Marktpreises, stark gebrauchte 25 Prozent. Dazu kommt ein sozialer Ansatz: Menschen die in den Bereichen Kultur, Kunst, Umwelt oder Bildung arbeiten, erhalten zusätzlich 50 Prozent Rabatt. Denn der Verein will mehr als ein Secondhand-Baumarkt sein. Als Materialinitiative setzt sich „Schrott bewahre“ dafür ein, auf die klimaschädlichen Folgen der Müllproduktion aufmerksam zu machen, etwa durch Bildungsangebote für Schulen.

Beraten und Denkanstöße zur Veränderung geben

Der Verein wolle die Kreislaufwirtschaft in Hamburg in Schwung bringen, sagt Neumann: „Wenn wir nicht jetzt anfangen, Material oder Müll so stark zu vermeiden, wie es geht, haben wir in Zukunft sehr, sehr große Probleme.“ Dabei weiß Neumann, dass er mit seinem Verein nur ein Baustein ist, aber sein Ziel ist auch, andere zu beraten: „Wir können den großen Playern auf den Fuß treten und ihnen vermitteln, dass es wichtig ist, jetzt in das Thema zu investieren, um größere Probleme in der Zukunft zu vermeiden.“

Umweltsünder Baubranche

Mineraloge Volker Thome im Porträt

Mineraloge Volker Thome ist überzeugt von Initiativen wie „Schrott bewahre“.

Mineraloge Volker Thome betont, wie ressourcenintensiv das Bauwesen ist. Er arbeitet am Fraunhofer-Institut für Bauphysik im Bereich mineralische Werkstoffe und Baustoffrecycling: „Laut Schätzungen verbraucht die Bauwirtschaft global circa 60 Milliarden Tonnen an Material, davon allein 50 Milliarden Tonnen an Bausand.“ Diese Menge an Sand entspricht in etwa einer Mauer mit 30 Metern Höhe und 30 Metern Breite rund um den Äquator. Genutzt wird dieser nicht-erneuerbare Rohstoff etwa für Beton oder auch Fensterglas.

Lösungsansatz Kreislaufwirtschaft hilft auch im Kleinen

Nicht nur das hinterlässt Spuren: Die Baubranche gehört zu den größten Umweltverschmutzern der Welt und verantwortet 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes, betont Thome. Deshalb sieht er Initiativen wie „Schrott bewahre“ als wichtigen Impuls für ein Umdenken: „Jeder kann etwas beitragen. Und jede auch noch so kleine Initiative trägt ihren Teil dazu bei, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Priorität 1 ist Müllvermeidung, gefolgt von einer Wiederverwertung des Mülls, um die Kreisläufe zu schließen.“

Massenware sowie Einzelstücke für Liebhaber

Eike und ihr Partner haben zwar keine passenden Winkel gefunden, dafür eine Wachstischdecke und fürs Küchenregal Bretter aus Holz: „Die kommen an die Wand. Das war mal eine Deko, eine Requisite oder sowas. Ich finde das ziemlich cool, dass das ein bisschen nach Brandholz aussieht.“

Vorreiter: Hanseatische Materialverwaltung

Blick in den Fundus HMV in Hamburg

Auf der Suche nach authentischen Requisiten und viel Inspiration ist man hier genau richtig.

Auch bei der Hanseatischen Materialverwaltung ist man der Kreislaufwirtschaft verpflichtet. Der Fundus im Hamburger Oberhafen verleiht schon seit 2013 Requisiten, Kulissen und Materialien an Kreativschaffende und Künstler, aber auch an Privatpersonen. Ein Spiegelkabinett? Ein rollendes Schiff? Eine übergroße Kirsche? Hier gibt es nichts, was es nicht gibt – alles Dinge, die sonst auf dem Müll gelandet wären. „Nachhaltigkeit bedeutet für uns keinen Verzicht, sondern kann schön und spannend sein und vor allem Spaß machen“, erklärt Sprecherin Vivien Malzfeldt.

Wunderland Materialfundus

Ein Sommerfest im Fundus HMV in Hamburg

Besser als jeder Spielplatz – auf dem Sommerfest im Fundus gibt es einiges zu entdecken.

Davon können sich Besucher*innen bei einer der vielen HMV-Veranstaltungen überzeugen. Meist sind es größere Spektakel mit fantasievollen Angeboten für Groß und Klein, Konzertreihen und vieles mehr – in einer Atmosphäre, die in Hamburg ihresgleichen sucht. Die Events sind ein wichtiger Faktor für die Finanzierung und sorgen immer wieder dafür, dass die HMV sich auf der Hamburger Kultur-Landkarte bemerkbar macht. Und Mitstreiter können da nur von Vorteil sein. Über die Gründung von „Schrott bewahre“ habe man sich daher sehr gefreut – Synergien und gegenseitige Unterstützung seien hier ausdrücklich gewollt. Kontakte, Materialien und Wissen sind ab jetzt ein Schatz, der gemeinsam gepflegt wird.

Herausforderung: Umzug wegen Kernsanierung

Eine Akrobatin beim Sommerfest des Fundus HMV in Hamburg

Theater, Konzert, Akrobatik, Zauberei: Beim Sommerfest ist ein wilder Ritt durch alle Kulturbereiche nicht unüblich.

Obwohl die „Hansemat“, wie sie von Stammgästen liebevoll genannt wird, schon so lange dabei ist, ist die Frage der Finanzierung immer noch schwierig: Aktuell steckt die HMV mitten in einem herausfordernden Umzug, da die Hallen im Oberhafen kernsaniert werden müssen. Der 1.200 Quadratmeter große Fundus zieht übergangsweise zwei Hallen weiter – mit weniger Platz, Rausverkäufen und deutlichen Einnahmeeinbußen. Ohne den Sanierungs- und Quartiersfonds der Bürgerschaft wäre das Projekt kaum zu stemmen. Bis 2027 soll ein komplett sanierter und größerer Fundus entstehen – doch damit steigt auch die Miete um ein Vielfaches.

Vorbildhaftes Projekt ohne feste Finanzierung

Ein Konzert im Fundus HMV in Hamburg

Die aufwendige und detailverliebte Gestaltung macht die Events der Hanseatischen Materialverwaltung sehr besonders.

Zur Wiedereröffnung wird es zwar auch zum ersten Mal eine regelmäßige Förderung durch die Hamburger Kulturbehörde geben, doch die reicht nicht aus, um alle Kosten zu decken. Eine Stadt, in der Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft großgeschrieben werden, hat hier die große Chance, ein ambitioniertes und zukunftsweisendes Projekt zur festen Institution zu machen – ein Aushängeschild mit Vorbildcharakter. Wer aber immer nur dabei sei, die Kosten gering zu halten, damit das Projekt sich selbst trägt, dem gehe auf Dauer die Puste aus. Das merke man auch im Team, sagt Vivien Malzfeldt. Denn steigende Mieten und hohe Personalkosten ließen sich auf Dauer nicht allein durch Herzblut abfangen.

Nele Holthausen

Fundus-Leiterin Nele Holthausen ist eine der wenigen, die hier den Überblick hat. Sie hat alle Hände voll zu tun.

Zahlreiche Kleidungsstücke liegen in den Regalen des Second-Hand Ladens Libelle.

Immer mehr Schleswig-Holsteiner setzen auf gebrauchte Kleidung. Das hat eine Umfrage von NDR Schleswig-Holstein bei Second-Hand-Läden ergeben.

Eine junge Frau steht in einem begehbaren Kleiderschrank.

Immer mehr Online-Händler spezialisieren sich darauf. Umwelt- und Klimaschäden kann das sogenannte Recommerce-Geschäft jedoch nur bedingt auffangen.

Auf einem Recyclinghof-Schild steht "Selbstanlieferung E-Schrott".

Auf dem Wertstoffhof in Itzehoe sammeln am Donnerstagnachmittag verschiedene Organisationen noch brauchbare Gegenstände ein.

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