Bestsellerautorin Caroline Wahl ignoriert die gängigen Erfolgsrezepte: kein Trauma, kein Prekariats-Lamento. Das kann ihr die Kritik nicht verzeihen. Aber sie verkauft sich trotzdem

Caroline Wahl schreibt über die Liebe oder das Junge-Frau-Sein und eckt trotzdem an

Foto: Frederike Wetzels

Haben Sie schon einmal von Caroline Wahl gehört? Natürlich, was frage ich! Sie müssten schon taub sein, um nicht von Wahl gehört zu haben. Seit Wahl mit Die Assistentin ihren dritten Roman veröffentlicht hat, reißen Kritik und mediale Aufmerksamkeit nicht ab. Der Literaturbetrieb streitet. Vorgeblich streitet er über Qualität, über Preiswürdigkeit und darüber, wie sich eine ernstzunehmende Autorin zu verhalten habe. Doch auf dem Rücken Wahls wird lediglich verhandelt, was Autoren seit jeher wurmt.

Der Buchmarkt ist ein Markt. Er ist – verglichen mit anderen Märkten – sogar ein besonders brutaler Markt mit eindeutigem Pareto-Prinzip: Der größte Teil der Buchverkäufe entfällt auf den allerkleinsten Teil der Autorenschaft. Es gibt keine Fairness, die besondere Güte in besondere Vergütung übersetzte. Genau genommen ist oft das Gegenteil der Fall.

Im Angesicht einer solchen The-Winner-takes-it-all-Situation ist der Unmut vieler Autoren nachvollziehbar. Und der Neid. Stehen wir doch zu unserem Neid. Ich mach das mal vor: Ich kann weder Pony noch Plattform-Boots tragen. Ich bin neidisch auf Caroline Wahl.

Das ist ein großes Tabu

Sie wäre für den Literaturbetrieb erträglicher, signalisierte sie eine gewisse Zerknirschung ob der Ungerechtigkeit der Aufmerksamkeitsökonomie desselben. Stattdessen lässt sie sich beim Porsche-Kaufen begleiten. Oder hängt fotogen an Relings herum. Auch diesbezüglich bin ich neidisch, denn die Tage, an denen ich meine Wirbelsäule unfallfrei um zehn Grad nach hinten biegen konnte, liegen lange zurück.

Wo waren wir stehengeblieben? Im Englischen würde man sagen, Wahl sei unapologetic. In Instagram-Posts weist sie schon mal subtil darauf hin,dass sie „preisgekrönte nr-1-bestsellerautorin“ sei und liefert die Verkaufszahlen gleich dazu „meine bücher wurden über 1mio mal verkauft!!?? häää??? Wtfwtfwtf“.

Das ist ja ein großes Tabu, im Allgemeinen spricht man nicht darüber, wie gut oder schlecht sich ein Buch verkauft. Zumal man von den Verkaufszahlen recht leicht auf das Einkommen zurückschließen kann, selbst wenn man nicht das Finanzamt ist.

So etwas passt nicht in einen Literaturbetrieb, in dem es gerade sehr en vogue ist, über die Prekarisierung des Schreibens zu schimpfen und sich bescheiden zu geben, wenn’s dann doch besser läuft. Und wo der ernstzunehmende Autor unter der Last des prekären Lebens Laudanum löffelnd eingehen muss, auf dass sich eines schönen Tages morbide Teenager auf seinem Pariser Grabmal rumlümmeln.

Caroline Wahl ist weder schüchtern noch bescheiden

Schlimmer noch: Wahl versucht nicht einmal, Literarizität zu performen; nicht in ihren Romanen, schon gar nicht in ihren Postings, die – das muss man wirklich sagen – auf eine knuffige Art süchtig machen. Stellen Sie sich einmal Siri Hustvedt oder Christa Wolf vor, die etwas schrieben wie „ich bin arschgespannt, wenn mein 3. roman rauskommt, der wie schon ab und zu erwähnt, krass wird“.

Schlimmer wird die Sache für Wahls Kritiker nur dadurch, dass sie sich den gängigen Erfolgsthemen anspruchsvoller Literatur verweigert: Caroline Wahl schreibt nicht über intergenerationelle Traumata und Nazi-Erbschaften. Sie schreibt über Liebe, über das Heranwachsen oder das Junge-Frau-Sein.

Wahl ist weder schüchtern noch bescheiden. Sie ist Rage Bait auf plattformbeschuhten Beinen. Das ist der Grund, warum Sie hier eine Glosse über Wahl und ihre Kritiker lesen, und keine Rezension eines Mundart-Lyrikbandes. Allein die Tatsache, dass Boomer-Bernd sich von Wahls Pony getriggert fühlt, garantiert diesem Text mehr Klicks als jede ernstzunehmende Kritik. Wenn Sie das verdammt noch einmal blöd finden (und das sollten Sie), und auf diesem Platz lieber eine klassische Rezension von mir läsen, dann abonnieren Sie diese Zeitung. Am besten sofort.

Es ist nicht Wahls Schuld, dass ihre Literatur ein Bedürfnis befriedigt. Es ist nicht ihre Schuld, dass viele Autorinnen und Autoren vom Schreiben nicht leben können. Der Unmut über Wahl ist lediglich die verkleidete Wut auf den Leser, der goutiert, was die Literaturkritik für schlecht oder allenfalls „unterhaltsam“ befindet.

Caroline Wahl verkörpert die „Tyrannei des Publikums“, wie sie der Kulturkritiker Johannes Franzen nennt. Wie schön wäre doch die Existenz der Kritiker, wenn da nicht der Leser aus Fleisch und Blut wäre, der ein Wörtchen mitzureden hat über die Verwendung seines hart verdienten Geldes.

Buchmarkt ist ein Markt. Er ist – verglichen mit anderen Märkten – sogar ein besonders brutaler Markt mit eindeutigem Pareto-Prinzip: Der größte Teil der Buchverkäufe entfällt auf den allerkleinsten Teil der Autorenschaft. Es gibt keine Fairness, die besondere Güte in besondere Vergütung übersetzte. Genau genommen ist oft das Gegenteil der Fall.Im Angesicht einer solchen The-Winner-takes-it-all-Situation ist der Unmut vieler Autoren nachvollziehbar. Und der Neid. Stehen wir doch zu unserem Neid. Ich mach das mal vor: Ich kann weder Pony noch Plattform-Boots tragen. Ich bin neidisch auf Caroline Wahl.Das ist ein großes TabuSie wäre für den Literaturbetrieb erträglicher, signalisierte sie eine gewisse Zerknirschung ob der Ungerechtigkeit der Aufmerksamkeitsökonomie desselben. Stattdessen lässt sie sich beim Porsche-Kaufen begleiten. Oder hängt fotogen an Relings herum. Auch diesbezüglich bin ich neidisch, denn die Tage, an denen ich meine Wirbelsäule unfallfrei um zehn Grad nach hinten biegen konnte, liegen lange zurück.Wo waren wir stehengeblieben? Im Englischen würde man sagen, Wahl sei unapologetic. In Instagram-Posts weist sie schon mal subtil darauf hin,dass sie „preisgekrönte nr-1-bestsellerautorin“ sei und liefert die Verkaufszahlen gleich dazu „meine bücher wurden über 1mio mal verkauft!!?? häää??? Wtfwtfwtf“.Das ist ja ein großes Tabu, im Allgemeinen spricht man nicht darüber, wie gut oder schlecht sich ein Buch verkauft. Zumal man von den Verkaufszahlen recht leicht auf das Einkommen zurückschließen kann, selbst wenn man nicht das Finanzamt ist.So etwas passt nicht in einen Literaturbetrieb, in dem es gerade sehr en vogue ist, über die Prekarisierung des Schreibens zu schimpfen und sich bescheiden zu geben, wenn’s dann doch besser läuft. Und wo der ernstzunehmende Autor unter der Last des prekären Lebens Laudanum löffelnd eingehen muss, auf dass sich eines schönen Tages morbide Teenager auf seinem Pariser Grabmal rumlümmeln.Caroline Wahl ist weder schüchtern noch bescheidenSchlimmer noch: Wahl versucht nicht einmal, Literarizität zu performen; nicht in ihren Romanen, schon gar nicht in ihren Postings, die – das muss man wirklich sagen – auf eine knuffige Art süchtig machen. Stellen Sie sich einmal Siri Hustvedt oder Christa Wolf vor, die etwas schrieben wie „ich bin arschgespannt, wenn mein 3. roman rauskommt, der wie schon ab und zu erwähnt, krass wird“.Schlimmer wird die Sache für Wahls Kritiker nur dadurch, dass sie sich den gängigen Erfolgsthemen anspruchsvoller Literatur verweigert: Caroline Wahl schreibt nicht über intergenerationelle Traumata und Nazi-Erbschaften. Sie schreibt über Liebe, über das Heranwachsen oder das Junge-Frau-Sein.Wahl ist weder schüchtern noch bescheiden. Sie ist Rage Bait auf plattformbeschuhten Beinen. Das ist der Grund, warum Sie hier eine Glosse über Wahl und ihre Kritiker lesen, und keine Rezension eines Mundart-Lyrikbandes. Allein die Tatsache, dass Boomer-Bernd sich von Wahls Pony getriggert fühlt, garantiert diesem Text mehr Klicks als jede ernstzunehmende Kritik. Wenn Sie das verdammt noch einmal blöd finden (und das sollten Sie), und auf diesem Platz lieber eine klassische Rezension von mir läsen, dann abonnieren Sie diese Zeitung. Am besten sofort.Es ist nicht Wahls Schuld, dass ihre Literatur ein Bedürfnis befriedigt. Es ist nicht ihre Schuld, dass viele Autorinnen und Autoren vom Schreiben nicht leben können. Der Unmut über Wahl ist lediglich die verkleidete Wut auf den Leser, der goutiert, was die Literaturkritik für schlecht oder allenfalls „unterhaltsam“ befindet.Caroline Wahl verkörpert die „Tyrannei des Publikums“, wie sie der Kulturkritiker Johannes Franzen nennt. Wie schön wäre doch die Existenz der Kritiker, wenn da nicht der Leser aus Fleisch und Blut wäre, der ein Wörtchen mitzureden hat über die Verwendung seines hart verdienten Geldes.