Eigentlich hatte Sarah Borrmann was ganz anderes im Kopf als sie an jenem Tag im September 2024 über das Gelände des Glücksgefühle-Festivals am Hockenheimring streifte: Welche Bands wollte sie anschauen, wo spielt der nächste Act? „Es war daher ziemlich spontan, dass ich beim Stand der DKMS stehengeblieben bin und dachte: Hey, ich lass mich schnell mal registrieren“, sagt die 22-Jährige aus Stuttgart. Es dauerte auch gar nicht lange: „Mund auf, Stäbchen rein, Kontaktdaten ausfüllen – und schon ging’s zur nächsten Bühne.“
Von der gemeinnützige Organisation DKMS (Deutsche Knochenmarkspenderdatei), die Knochenmarkspender für Patienten mit Blutkrebs oder anderen Erkrankungen sucht, hatte sie schon gehört: Der Großvater ihrer Freundin war vor kurzem an Leukämie erkrankt und ist verstorben. „Von daher wusste ich, wie wichtig eine Stammzellspende für Patienten mit dieser Form von Krebs ist“, sagt Sarah. Und ihr gefiel der Gedanke, einem Betroffenen irgendwann einmal helfen zu können.
Sarah ist eine von knapp 8500 Spendern
Doch aus dem „irgendwann“ wurde schnell Realität. Nur ein halbes Jahr nach der Registrierung erhielt Sarah Borrmann eine Nachricht aufs Handy: Sie komme für eine mögliche Stammzellspende in Frage, ob sie für ein solches Unterfangen bereit sei? „Das hat mich ziemlich überrascht“, sagt die junge Stuttgarterin. Denn eigentlich ist die Wahrscheinlichkeit, in den folgenden zehn Jahren nach einer Registrierung tatsächlich auch zu spenden, recht gering: Sie liegt nach Angaben der DKMS bei 1,5 Prozent.
Die Bereitschaft dafür ist allerdings hierzulande so hoch wie nirgends sonst: Mehr als 10 Millionen potenzielle Spender sind im Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland (ZKRD) mit Sitz in Ulm registriert. Im vergangenen Jahr haben 8349 von ihnen ihre Stammzellen gespendet – so wie auch Sarah Borrmann. Ein neuer Rekord für die weltweit größte nationale Spenderdatenbank.
„Ich habe panische Angst vor Krankenhäusern“
Am Anfang habe sie viel telefoniert, erzählt Sarah. Eine Mitarbeiterin der DKMS habe sie sorgfältig über den Ablauf der Spende informiert. Denn schnell wurde klar: Für diese muss sich die junge Frau einem kleinen operativen Eingriff unter Vollnarkose aussetzen. „Und ich habe doch so panische Angst vor Krankenhäusern“, sagt Sarah. Niemals zuvor habe sie operiert werden müssen. „Da habe ich schon schlucken müssen.“
Im Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart (RBK), wo auch Sarah untergebracht wurde, werden seit mehr als drei Jahrzehnten Stammzellen für Transplantationen entnommen. Im vergangenen Jahr wurden 336 Spenden von Probanden aufbereitet, die dann an Blutkrebspatienten in ganz Europa und auch nach Übersee per Kurierdienst verschickt worden sind. „Für uns ist das ein routinierter Ablauf“, sagt Hans-Georg Kopp, Chefarzt der Abteilung für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am RBK.
Der Stuttgarter Onkologe Hans-Georg Kopp Foto: Robert Bosch Krankenhaus Stuttgart
Knochenmark per Operation entnommen
Etwa drei bis vier Wochen vor der Entnahme werden die Spender gründlich untersucht und über sämtliche Abläufe aufgeklärt. „In neun von zehn Fällen erfolgt die Abnahme der Stammzellen aus dem Blut“, erklärt der Onkologe Kopp. Die Spender injizieren sich dazu an vier Tage vor der Spende einen Wachstumsfaktor ins Unterhautfettgewebe, um möglichst viele Stammzellen im Blut anzureichern. „Dann werden sie hier bei uns für vier bis fünf Stunden an sogenannte Zellseparatoren angeschlossen“, sagt Kopp. Diese Maschinen filtern Stammzellen aus dem Blut, das danach zurück in den Körper geleitet wird.
Bei etwa zehn Prozent der Spender braucht es aber ein aufwendigeres Verfahren – so auch bei Sarah Borrmann. Bei ihnen muss Knochenmark über eine Nadel aus dem Beckenknochen entnommen werden – unter Vollnarkose. „Das wird häufig für erkrankte Kinder mit schweren Immundefekten gemacht, weil das Knochenmark neben den Stammzellen noch mehr Zellbestandteile erhält, die für eine gesunde Blutbildung wichtig sind“, sagt Kopp. Dazu müssen die Probanden – wie medizinisch die Spenderinnen und Spender genannt werden – allerdings für ein bis zwei Nächte stationär aufgenommen werden. „Die Risiken der operativen Entnahme sind aber minimal“, so der Onkologe.
Schlaflos kur vor dem Eingriff
Auch Sarah Borrmann wurde darüber aufgeklärt – und stimmte der Entnahme zu: „Ich habe mich bei den Vorgesprächen gut aufgehoben gefühlt – und da kam Absagen für mich absolut nicht in Frage“, sagt sie. Wenige Wochen nach dem ersten Bescheid fuhr Sarah für den Eingriff ins RBK. „Ich musste die erste Nacht in der Klinik verbringen und konnte gar nicht richtig schlafen, weil ich so aufgeregt war.“
Letztlich war der Eingriff aber gar nicht so schlimm, erzählt sie. „Es ging alles so schnell, dass ich ganz überrascht war, alles schon hinter mir zu haben.“ Ein paar Tage lang habe die Einstichstelle unangenehm gedrückt, ähnlich wie bei einem Bluterguss. Auch ein bisschen müde habe sie sich gefühlt. Doch nach einer Woche war sie wieder an ihrem Arbeitsplatz bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Stuttgart.
Knochenmarkspende geht an junges Mädchen in Polen
Rund eineinhalb Liter Knochenmark wurden Sarah entnommen. „Man entzieht bei einem solchen Eingriff recht viel Blut, erklärt der Onkologe Kopp. „Ähnlich wie bei einem Aderlass.“ Daher werden in den folgenden vier Wochen nach der OP die Blutwerte überprüft. „In den allermeisten Fällen ist das Blutbild aber dann wieder normal“, sagt Kopp.
Stolz sei sie schon, dass sie einem anderen Menschen auf diese Weise helfen – wenn nicht sogar das Leben retten konnte, sagt Sarah. Wer genau ihre Stammzellen erhält, weiß sie nicht. Es handelt sich wohl um eine Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren aus Polen. Erst nach zwei bis drei Jahren kann über die DKMS ein Treffen arrangiert werden – sofern Spender und Empfänger es wollen. Sarah jedenfalls würde sich freuen: „Schon jetzt denke ich sehr oft an das Mädchen und hoffe, dass es ihr nun wieder gut geht.“
Stammzellspende: So einfach klappt es mit der Registrierung
Alter
Grundsätzlich kann sich jeder gesunde Mensch im Alter zwischen 17 und 55 Jahren als potenzieller Stammzellspender registrieren. 17-Jährige dürfen zwar noch keine Stammzellen spenden, werden aber ab dem 18. Geburtstag automatisch in der Datei aktiviert und bei der Suche nach Spendern berücksichtigt.
Registrierung
Über ein Online-Formular der DKMS (https://www.dkms.de/registrieren) kann man sich das Registrierungsset nach Hause schicken lassen. Mit den beigefügten Wattestäbchen nimmt man jeweils einen Abstrich der Wangenschleimhaut und schickt die Stäbchen samt unterschriebener Einwilligungserklärung an das Labor zurück. Nach der Registrierung werden die relevanten Gewebemerkmale im Labor ausgewertet. Anschließend steht die Probe pseudonymisiert für den weltweiten Spendersuchlauf zur Verfügung.