Mitte September hatte Mainz& exklusiv über eine Strafanzeige zum Geschäftskonstrukt im Mainzer Zollhafen berichtet, inzwischen hat die Staatsanwaltschaft in Koblenz den Eingang der Anzeige bestätigt. Und dort heißt es auch: Die Sachverhalte würden geprüft. Bei der Stadt Mainz weist man die Vorwürfe derweil zurück: Bei den Grundstücken im Zollhafen habe es sich nicht um „öffentliches Eigentum“ gehandelt, sondern um Eigentum einer privaten Gesellschaft. Das aber wirft neue Fragen auf, denn Bürgermeister Günter Beck (Grüne) bestätigte im Stadtrat auch: Bei der Entwicklung des Zollhafens wurde von Seiten der Stadt in Teilen sehr wohl vorgeschrieben, wer wo und was gebaut wurde – Rechtsexperten sehen hier die Grundlage für eine Ausschreibungspflicht.
Die Marina im Mainzer Zollhafen im Mai 2022. – Foto: gik
Alles begann mit einer Strafanzeige, die Ende 2024 bei der Staatsanwaltschaft Koblenz wegen des Verkaufs des Marina Yachthafens im Mainzer Zollhafen gestellt wurde. Der Vorwurf: Der Verkauf der Marina an die beiden Geschäftsführer Jochen Hener und Hanns-Detlev Höhne sei unter fragwürdigen Umständen und weit unter Marktwert geschehen – und ohne jede Ausschreibung. Tatsächlich kaufte Hener am 30. März 2021 die Marina von der Muttergesellschaft Zollhafen Mainz GmbH für ganze 86.000 Euro. Nur einen Tag später wurde die Hälfte seiner Anteile an den heutigen Hafenmeister und Ex-Stadtwerke-Vorstand Detlev Höhne veräußert, dieses Mal für 47.137,50 Euro.
Die Zahlen sind belegt in Unterlagen, die Mainz& exklusiv vorliegen, das Problem dabei: Ein Gutachten der renommierten Wirtschaftsberatungsgesellschaft Deloitte hatten den Wert des Yachthafens auf 6 bis 11 Millionen Euro geschätzt. Die Staatsanwaltschaft in Koblenz sah dennoch keinen Anfangsverdacht für Untreue, inzwischen räumte sie auf Nachfrage von Mainz& ein: Die Bewertung der Strafanzeige erfolgte allein auf der Grundlage von Unterlagen, die die damaligen Anzeigesteller eingereicht hatten. Eigene Recherchen oder gar weitere Unterlagen hatte die Staatsanwaltschaft offenbar nicht angefordert.
Verkauf der Marina: 240.000 Euro auf Konten – unbekannt
Das lässt sich aus einem weiteren Detail schließen: Beim Verkauf der Marina erwarben die Käufer wohl nicht nur den Yachthafen und die Steganlage – sondern auch ein Barguthaben in Höhe von 240.000 Euro. Die fanden sich nun bei Recherchen im Jahresabschluss der Marina Zollhafen GmbH für das Jahr 2020, und zwar gelagert auf Konten bei Kreditinstituten. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge wurde diese Barschaft zwar mit verkauft, ein Gegenwert ist aber aus den Kaufverträgen nicht ersichtlich.
Die Marina im Mainzer Zollhafen im Frühjahr 2025. – Foto: gik
Bei der Staatsanwaltschaft war dieses Barvermögen aber gar nicht aufgefallen: „Über eine etwaige Barkasse von 240.00 EUR enthält die anonyme Strafanzeige keine validen Angaben“, antwortete Oberstaatsanwältin Kirsten Mietasch auf Mainz&-Anfrage. Im Klartext: Weil in der Strafanzeige selbst nichts zu der „Barkasse“ stand, wusste die Staatsanwaltschaft davon auch nichts. Dabei hätte man sich in Koblenz nur den letzten, und damit für den Verkauf relevanten Jahresbericht 2020 herunterladen und einsehen müssen, um den Betrag ausfindig zu machen – was man aber offensichtlich nicht tat.
Stattdessen versuchte die Staatsanwaltschaft, die anonymen Anzeigesteller ausfindig zu machen: Leider habe der Rechtsanwalt „auch auf Nachfrage die Identität der Anzeige erstattenden Person(en) nicht offenbart“, heißt es von Seiten der Oberstaatsanwältin weiter, deshalb habe man diese nicht befragen und so auch nicht „die Umstände des Verkaufs der Geschäftsanteile“ sowie überhaupt die Validität der Anzeige näher beleuchten können.
Erschüttert neue Strafanzeige Einschätzung der Staatsanwaltschaft?
Anstatt also den Vorwürfen mit weiteren Recherchen nachzugehen, befand man bei der Staatsanwaltschaft: Es gebe keine Belege, „dass der Wert der Marina den Verkaufspreis in einer solch deutlichen Weise überschritt, dass von einem Vermögensschaden im Sinne des Untreuetatbestandes ausgegangen werden kann.“ Auf die Diskrepanz zwischen den 240.000 Euro und dem Verkaufspreis in Höhe von 84.000 Euro geht man in Koblenz nicht weiter ein. Und weil „die Strafanzeige selbst davon ausgeht“, dass eine Zustimmung der Aufsichtsgremien vorlag, überprüfte die Staatsanwaltschaft diesen maßgeblichen Punkt auch nicht weiter.
Die „Schiffshäuser“ auf der Südmole des Mainzer Zollhafens während ihrer Bauphase 2018. – Foto: gik
Damit stellt sich die Frage: Wie haltbar ist die Einschätzung der Staatsanwaltschaft und damit die Entscheidung, keine Vorermittlungen in dem Fall aufzunehmen? Das dürfte nun durch die zweite Anzeige noch einmal erschüttert worden sein: Anfang Juli stellte die Freie Wählergemeinschaft Mainz (FWG) eine zweite Strafanzeige, und dieses Mal betreffen die Vorwürfe den gesamten Mainzer Zollhafen. In der Anzeige heißt es, das Geschäftskonstrukt zum Verkauf der Grundstücke rund um die Zollhafen Mainz GmbH sei eine Art „Strohmann-Konstrukt“, um bei den Verkäufen Zustimmungs- und Ausschreibungspflichten der öffentlichen Hand zu umgehen.
Die Stadt Mainz wies das Ende August im Mainzer Stadtrat entrüstet zurück: Bei „den Vermögensgegenständen der Zollhafen Mainz GmbH & Co. KG handelt es sich nicht um ‚öffentliches Eigentum‘, sondern um Eigentum der privatrechtlich tätigen Joint-Venture-Gesellschaft“, eben der Zollhafen GmbH, antwortete Bürgermeister und Beteiligungsdezernent Günter Beck (Grüne) auf eine Anfrage der Freien Wähler.
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Wer hat die Kontrolle über die Grundstücksverkäufe im Zollhafen?
Gemeint ist die Konstruktion der Zollhafen Mainz GmbH: Diese wurde im Jahr 2004 als Gesellschaft zur Entwicklung und Vermarktung der Grundstücke im neuen Wohngebiet „Mainzer Zollhafen“ gegründet – und zwar unter Beteiligung der privaten Immobilienvermarktungsfirma CA Immo Deutschland GmbH. Während die private CA Immo 50,1 Prozent der Anteile an der Zollhafen Mainz GmbH bekam, halten die Mainzer Stadtwerke bis heute nur 49,9 Prozent – damit galt die Zollhafen Mainz GmbH als private Gesellschaft.
Bauvorhaben Mainzer Zollhafen Südmole 2018. – Foto: gik
Die Freien Wähler wollten nun aber wissen: Gilt das auch für die Mainzer Hafen GmbH, denn diese Zweitfirma hat die tatsächliche operative Geschäftsführung im Zollhafen inne? Und hier halten CA Immo und Stadtwerke gleichberechtigt jeweils 50 Prozent – wer also entscheidet hier, wenn sich die Gesellschafter einmal nicht einig sein sollten? Entscheidungen seien „nur im Einvernehmen beider Gesellschafter möglich“, und seien in der Vergangenheit auch stets so getroffen worden, antwortete Beck, und betonte: „Auch die Steuerung der operativen Geschäfte der ZM erfolgt paritätisch, und liegt in den Händen der von beiden Gesellschaftern entsandten Geschäftsführern der Mainzer Hafen GmbH.“
Das aber sei nicht die ganze Wahrheit, betonen die bei der FWG, denn: Aus Notarverträgen gehe klar hervor, wer im Zweifelsfall die letzte Entscheidungsbefugnis habe. Nach den Verträgen nämlich entsenden Mainzer Stadtwerke und CA Immo je zwei Vertreter in den Gesellschafterausschuss – bei Stimmengleichheit entscheide aber die Stimme des von den Stadtwerken gestellten Vorsitzenden. „Damit liegt die Mehrheit und Kontrolle tatsächlich bei den Stadtwerken, anders als es der Finanzdezernent öffentlich darstellt“, betont die FWG.
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„Konnte jeder im Zollhafen bauen, wie er wollte?“
Wäre dies anders geregelt, hätten die Mainzer Stadtwerke wichtige Entscheidungen über die Entwicklung des Prestigeprojekts „Mainzer Zollhafen“ in die Hände einer privaten Immobilienfirma gelegt. Doch damit stellt sich nun wieder die Frage: Wer hatte die Kontrolle darüber, was mit den wertvollen Grundstücken im Zollhafen geschah? Bürgermeister Beck betonte In seiner schriftlichen Antwort im Stadtrat, es habe sich um Grundstücksverkäufe einer „privatwirtschaftlich tätigen Beteiligungsgesellschaft wie der Zollhafen Mainz GmbH“ gehandelt, die selbst kein öffentlicher Auftraggeber sei.
Sieht keine Verstöße im Zollhafen: Bürgermeister Günter Beck (Grüne). – Foto: gik
Eine Ausschreibungspflicht habe deshalb nicht bestanden, die habe noch nicht einmal die Stadt Mainz selbst bei „Verkäufen ohne Beschaffungsbezug“. Ein „Beschaffungsbezug“ liegt dann vor, wenn der Verkauf gleichzeitig eine Beschaffungsmaßnahme der Kommune darstellt – also wenn die Kommune etwa den Käufer zum Bau eines Gebäudes verpflichtet, das sie später mietet oder erwirbt. Experten sehen eine solche „Beschaffung“ aber auch dann, wenn die Stadt „einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung hat“ – die entscheidende Frage könnte also sein: Wieviel Einfluss nahm die Stadt Mainz beim Bau und der Gestaltung des Mainzer Zollhafens?
„Konnte jeder im Zollhafen bauen, wie er wollte, oder gab es einen städtebaulichen Entwicklungsplan?“ wollte deshalb FW-Stadtrat Erwin Stufler im Stadtrat Anfang September von Beck wissen. Der antwortete sichtlich empört: „Ja, selbstverständlich gab es einen städtebaulichen Vertrag, den haben wir in mehreren Tagen und mehrstündigen Sitzungen verabschiedet!“ Wenn die Stadt Mainz über die Mainzer Stadtwerke also den Käufern der Grundstücke vorschrieb, was sie zu bauen hatten und wie – dann könnten dies genau diese „Beschaffungsbezüge“ sein, die eine öffentliche Ausschreibung zwingend notwendig gemacht hätten.
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Nutzen für die Stadt durch Parkhäuser, Kitas, Büros
Und dafür lassen sich juristische Belege finden: „Der bloße Grundstücksverkauf durch die öffentliche Hand bedarf keiner Ausschreibung, er ist vergabefrei, weil der Verkauf selbst kein öffentlicher Auftrag ist“, heißt es nämlich bei der Rechtsanwaltskanzlei KSB Intax auf dem Blog der Homepage. Aber: Wenn die „vertraglichen Vorgaben über die rein städtebauliche Entwicklung hinausgehen, und dem Auftraggeber, also der öffentlichen Hand, die Bauleistungen unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen“ – dann sei sehr wohl eine Ausschreibung nötig, schreibt der Fachanwalt für öffentliches Bau- und Planungsrecht, Martin Gerigk.
Grachtenhäuser im Mainzer Zollhafen: Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung? – Foto: gik
Gerigk legt in seinem Blogbeitrag ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2010 aus, und danach sei von einem „unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse“ dann auszugehen, wenn auf dem Grundstück etwa Einrichtungen entstehen, aus denen der Auftraggeber später einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen kann. Als Beispiele werden genannt: Parkhäuser, Bürogebäude und unter Umständen auch Sozialwohnungen. „Regelmäßig ist dies zum Beispiel der Fall, wenn die Errichtung einer Kindertagesstätte zur Anmietung durch die Kommune vereinbart“ wird, so der Rechtsexperte weiter.
Mehr noch: Ein dem Vergaberecht unterliegender Bauauftrag liege im nationalen Recht auch dann vor, wenn der öffentliche Auftraggeber „einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung hat“ – mit dieser Vorschrift solle „eine Umgehung der Ausschreibepflicht unterbunden“ werden.
Zollhafen Mainz: Kein „öffentliches Eigentum“ verkauft?
Die Freien Wähler wollten nun von der Stadt auch wissen, wer denn den Verzicht auf eine Ausschreibung bei den Grundstücksverkäufen geprüft und genehmigt habe? Antwort Becks: Man könne die Behauptungen der Freien Wähler über gesetzliche Vorschriften für eine öffentliche Ausschreibung bei Verkäufen „nicht nachvollziehen“. Es bestehe auch „keine Veranlassung“, die bisherigen Verkäufe auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und plane auch nicht, bei künftigen Verkäufen Ausschreibungen vorzuschreiben oder solche Verkäufe dem Stadtrat vorzulegen.
Der Zollhafen in Mainz vor seiner Bebauung: Kein öffentliches Eigentum? – Foto: gik
Da kein öffentliches Eigentum verkauft worden sei, seien kommunale Aufsichtsgremien der Stadt Mainz auch nicht damit zu befassen gewesen, betonte Beck weiter. Und überhaupt sei die Entwicklung des Zollhafens „eine Erfolgsgeschichte“, bei dem ein attraktives neues Stadtquartier mit zahlreichen Wohnungen und Arbeitsplätzen geschaffen worden sei – und dazu auch „attraktive neue Bürogebäude“, mit denen „Unternehmen und Arbeitsplätze nach Mainz geholt wurden, die sich positiv auf das Gewerbesteueraufkommen der Stadt auswirken.“
Wie groß war also der Einfluss, den die Stadt Mainz selbst auf die Bebauung im Mainzer Zollhafen nahm? Ein Blick in den „Städtebaulichen Vertrag“ aus dem Jahr 2013 zeigt: Die Stadt Mainz wollte mit einem umfassenden Vertragswerk starken Einfluss auf die Bautätigkeiten im Zollhafen nehmen. Der im Jahr 2013 vom Mainzer Stadtrat verabschiedete Vertrag sollte zum einen „eine hohe bauliche Qualität“ und ein einheitliches Erscheinungsbild trotz unterschiedlicher Bauträger sicher stellen. Und zum anderen den Umgang mit „der Planung des öffentlichen Raums, der Erstellung von Infrastruktur, wie z. B. einer Mehrfeldsporthalle oder einer Kindertagesstätte“ sowie die Ansiedlung von Einzelhandel und Versorgungseinrichtungen regeln.
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Städtebaulicher Vertrag: Bau von Kita und Sporthalle vorgeschrieben
So steht es explizit in der Beschlussvorlage für den Mainzer Stadtrat vom 20. Juni 2013, unterzeichnet von Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) – und Günter Beck. Der Vertrag selbst regelt ferner, dass die Stadt Mainz das Recht hätte, eine Schulturnhalle vom Bauträger anzumieten, verpflichtend vorgeschrieben werden zudem die Ansiedlung eines Vollversorgungs-Supermarktes, der Bau von Sozialwohnungen und studentischem Wohnen sowie einer Kita im nördlichen Bereich. Ein „Qualitätsrat“, in dem auch zwei Mitglieder des städtischen Baudezernats mitwirken, sollte die Einhaltung der baulichen Gestaltung sicher stellen – Grundstückskäufern werden bei Verstößen sogar Vertragsstrafen angedroht, zahlbar zugunsten der Stadt Mainz.
Im nördlichen Zollhafen entstanden unter anderem eine Quartiersgarage und diverse Bürogebäude sowie ein Hotel. – Foto: gik
Für die Freien Wähler liegen die Schlussfolgerungen daraus auf der Hand: Die Verpflichtungen aus dem städtebaulichen Vertrag kommen unmittelbar der Stadt Mainz zugute – zumindest diese Teile wären damit „öffentliche Beschaffungen“ und damit ausschreibungspflichtig gewesen. Im Mainzer Zollhafen sei sehr wohl mit städtischem Eigentum unter der faktischen Kontrolle der Mainzer Stadtwerke hantiert worden – unter Umgehung von Ausschreibungen und der Kontrolle städtischer Gremien. Im kommenden Stadtrat am 01. Oktober 2025 dürfte das für neue Fragen sorgen.
Banal sind alle diese Fragen nicht, sie könnten sehr handfeste juristische Konsequenzen haben. Denn, wie Fachjurist Gerigk schreibt: „Ein ausschreibungspflichtiger, aber nicht ausgeschriebener Grundstücksverkauf ist vergaberechtswidrig – und kann zur Unwirksam des gesamten Erwerbsvorgangs sowie zur erzwungenen Rückabwicklung führen.“
Info& auf Mainz&: Die ganze Geschichte zur Anzeige wegen Untreue bei den Grundstücksverkäufen im Mainzer Zollhafen lest Ihr hier bei Mainz&. Die Geschichte rund um den Verkauf der Marina könnt Ihr hier noch einmal nachlesen. Den Blogbeitrag der Kanzlei KSB Intax zum Vergaberecht findet Ihr hier im Internet. Ihr habt einen der Mainz&-Artikel zu den Entwicklungen in Sachen Marina und Zollhafen verpasst? Dann jetzt schnell hier nachlesen – in unserem neuen Zollhafen-Dossier.
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