Die Europäische Union ist nach wie vor der wichtigste wirtschaftliche und politische Player in der unmittelbaren Nachbarschaft auf dem Westbalkan, der Türkei und Nordafrika. Doch China holt auf.
Lange Jahre war die Europäische Union in großen Teilen der östlichen, südöstlichen und südlichen Nachbarschaft der unbestritten wichtigste Partner, doch das Blatt beginnt sich zu wenden. Davor warnt nun eine gemeinsame Studie der Bertelsmann-Stiftung, des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) und des Europäischen Zentrums für Internationale Politische Ökonomie (ECIPE). Gemeinsam haben sie den Geoökonomie-Interkonnektivität-Index entwickelt, mit dem der Einfluss der EU in der Nachbarschaft im Vergleich zu China, Russland und den USA gemessen werden kann.
Im Beobachtungszeitraum von 2010 bis 2023 war die EU zwar die stärkste wirtschaftliche Macht in der Nachbarschaft, doch China ist zum ernst zu nehmenden Rivalen aufgestiegen. „Gleichzeitig ziehen sich die USA – mit Ausnahme Israels – wirtschaftlich aus der Region zurück“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Auf dem Westbalkan bleibt die EU zwar mit großem Abstand der wichtigste Partner. Sie führt in allen untersuchten Kriterien – im Handel, in Finanzen und Politik. Doch China baut gerade hier seinen Einfluss durch Infrastrukturprojekte und Investitionen nach und nach aus. Etienne Höra, Handelsexperte der Bertelsmann-Stiftung, warnt, dass die EU in der Region ins Abseits geraten könnte, „wenn sich die Umsetzung des Beitrittsversprechens weiter verzögert“. Ähnliches gilt für die Türkei, wo Russland den Energiesektor dominiert und China den Hightechsektor wie auch Projekte grüner Technologie.
Seit 2014 hat die EU zwar in der östlichen Nachbarschaft – insbesondere in der Ukraine und in Moldau – seine Beziehungen vertieft, doch andere Staaten der Region blieben eng mit Russland verflochten. Dadurch „bleibt ihr geopolitischer Einfluss begrenzt“, wie Richard Grieveson vom WIIW betont. „Russland setzt auf Gewalt, nicht auf wirtschaftliche Integration – und dem hat die EU bislang wenig entgegenzusetzen.“
Auch in Nordafrika und Nahost bleibt die EU zwar der wichtigste Handels- und Investitionspartner, doch auch hier verliert sie an Einfluss. Denn auch in diesen Regionen setzt China seinen geostrategischen Vormarsch fort. Insbesondere in ärmeren Ländern verliert die EU wegen ihrer ausgeprägten Regulierungen an Gewicht. „Um attraktiv zu bleiben, muss die EU ihre Handelspolitik erneuern und bei Normen und Standards so vorgehen, dass diese für Partnerländer keine zusätzlichen Kostenbelastungen bedeuten, sondern einen echten Mehrwert schaffen“, empfiehlt Philipp Lamprecht vom ECIPE.
Das Resümee: Durch neue Konkurrenz, aber auch durch neu aufgetauchte Sicherheitsfragen wird für die EU deutlich, dass Marktmacht allein für Gestaltungsmöglichkeiten in der eigenen Nachbarschaft nicht mehr ausreicht. Es sind neue sicherheitspolitische Aspekte einzubeziehen und engere Kooperationen anzubieten – etwa ein stufenweiser Integrationsprozess –, um attraktiv zu bleiben.
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