Es gibt gute Anzeichen, wenn das Cortisol im Körper zu hoch ist, meint „die Stoffwechselspezialistin“ Samantha auf Instagram: Schlecht riechender Atem beispielsweise, ein aufgedunsenes Gesicht und meist auch hartnäckiges Bauchfett, das einfach nicht schmelzen will. Die Lösung bieten sich oft nur wenige Klicks weiter an – und zwar unter dem Hashtag „Cortisol-Detox“: Beliebt ist dabei der sogenannte Cortisol-Cocktail, auch Adrenalen Mocktail genannt – samt passenden Nahrungsergänzungsmitteln, die zu einem ausgeglicheneren Hormonspiegel verhelfen sollen. „Alles Quatsch“, sagt nun der Chefarzt Jörg Latus, der die Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie am Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart leitet. „Kein Mensch braucht einen Cortisol-Entzug.“ Und er erklärt auch die Gründe dafür.

Herr Latus, kann der Körper nach Cortisol süchtig werden?

Nein, das ist Blödsinn. Natürlich gibt es Menschen, die ständig unter Strom stehen. Aber die sind deswegen nicht Cortisol-süchtig. Cortisol ist ein Hormon, das der Körper selbst herstellt. Davon kann man nicht abhängig werden. Es braucht somit auch keinen Entzug. Es wäre auch vollkommen verkehrt: Denn der Mensch kann ohne Cortisol gar nicht überleben. Das Hormon wird in der Nebenniere hergestellt und freigesetzt – morgens mehr, abends weniger. Es beeinflusst den Blutdruck, den Schlaf und den Stoffwechsel. Zudem macht es uns leistungsfähiger, wenn wir in eine akute Stresssituation geraten. Gleichzeitig hat unser Körper aber auch einige Rückkopplungs-Mechanismen entwickelt, die ihm dabei helfen, ein Zuviel an Cortisol wieder abzubauen.

Aber was ist, wenn der Stress einfach nicht abnimmt?

Das macht auf Dauer krank. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Stress zu Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes führen kann. Schuld daran ist ein Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Faktoren – dazu gehört auch, dass chronischer Stress einen erhöhten Cortisol-Spiegel bedingen kann.

Wann kommt es aber zu Symptomen wie „puffy face“ – also dem geschwollenen Gesicht – und dem „Cortisol-Bauch“?

Es gibt Hormonstörungen, die zu einem extrem erhöhten Cortisolspiegel führen. Bei Betroffenen kann es dann zu einem Mondgesicht und hartnäckigen Bauchfett kommen. Ursachen sind häufig Medikamente, ein gutartiger Tumor im Gehirn oder in den Nebennieren. Bei Gesunden, deren Cortisolspiegel zwar hoch, aber im Normalbereich liegt, kommt es normalerweise zu keiner äußerlichen Veränderung.

Jörg Latus leitet die Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie am Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Was passiert, wenn der Körper zu wenig Cortisol produziert?

Ein Cortisolmangel kann durch eine Funktionsstörung der Nebennieren oder der Hypophyse entstehen. Das ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild. Betroffene müssen dann Cortisol als Medikament einnehmen.

Ist es also sinnvoll, den eigenen Cortisolwert zu ermitteln – etwa per Speicheltestst, die es im Internet gibt?

Nein. Davon rate ich entschieden ab. Wer Cortisol per Selbsttest misst, misst Mist. Wann und wie viel Cortisol im Körper ausgeschüttet wird, ist starken Schwankungen unterworfen. Es gibt also bei diesen Laien-Tests keinen Richtwert, an dem man sich orientieren kann, ob der eigene Cortisol-Spiegel nun zu hoch oder zu nieder ist. Die Ergebnisse sind also nicht valide und somit irreführend.

Was können Menschen also tun, die sich von den Symptomen angesprochen fühlen, die im Internet als Zeichen von zu viel Cortisol angegeben werden?

Wer unter Stress steht und darunter auch körperlich leidet – etwa mit Schlafstörungen oder Verdauungsbeschwerden sollte mit seinem Hausarzt sprechen. Viel wichtiger wäre es aber, dass in unserer Gesellschaft endlich anders mit Stress umgegangen wird.

Was würden Sie empfehlen?

Es ist doch oft so: Erst begegnet man dem Alltagsstress mit Energydrinks, die einen pushen. Hilft das nicht, fängt man an, sich über Dinge wie Cortisol-Detox Gedanken zu machen, um den körperlichen Anzeichen von Stress zu entgehen. Das ist aber die komplett falsche Vorgehensweise: Sinnvoll wäre es, sich gesund zu ernähren, ausreichend zu schlafen und mehr Pausen und mehr Bewegung im Alltag einzubauen. Damit lässt sich der Cortisol-Spiegel bei den meisten Menschen schnell in Griff bekommen – ganz ohne teure Hilfsmittel aus dem Internet.

Sprachrohr für Medizinthemen

Leben
Jörg Latus wurde 1983 in Tübingen geboren. Dort studierte er auch Humanmedizin. Nach Stationen in Stuttgart und New York habilitierte der Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie. Seit 2018 ist er außerordentlicher Professor in Tübingen und engagiert sich neben der Klinik mit über 50 wissenschaftlichen Publikationen in Lehre und Forschung. Sein Ziel: Gesundheitskompetenz stärken und Medizin verständlich und nahbar zu machen.

Karriere
Seit April 2025 ist Latus Chefarzt für Innere Medizin und Nephrologie am Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart.