Bei Berlin-Filmen denkt man an Klassiker wie „Himmel über Berlin“, „Lola rennt“ oder „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“. An große, ambitionierte Projekte. Dabei vergisst man aber gern die Schmuddelkinder. Die kleinen, rotzfrechen Independent-Filme, die ein anderes Bild zeigen. Wie „Schwarze Schafe“, die rabenschwarze, schwarzweiße Anarchokomödie aus dem Jahr 2007, die selbst so was wie ein schwarzes Schaf des Berlin-Films ist.

„Schwarze Schafe“: Kein Image-Film für „Partner von Berlin“, aber dafür ein Kultfilm

Erst diesen Sommer ging das Schäfchenzählen weiter. Da brachte Regisseur Oliver Rihs eine Fortsetzung seines Films ins Kino, „#Schwarze Schafe“, die wieder in Berlin spielt, diesmal aber mit Hashtag. Knallbunt. Und noch größer gedacht, als Serie, als die sie ab 17. Oktober für zwei Tage kostenlos auf der eigenen Website schwarzeschafe.eu abrufbar und danach auf Streamingplattformen digital zu erwerben ist. Davor aber wird noch mal das krasse Original aus dem Jahr 2006 gezeigt: in unserer Filmreihe „Hauptrolle Berlin“, in der die Berliner Morgenpost gemeinsam mit dem Zoo Palast an jedem ersten Dienstag im Monat einen waschechten Berlin-Film zeigt.

Schon selber schuld, wenn die Stadt jeden neuen Gast erst mal mit ihrer berühmten Ruppigkeit und gefürchteten Berliner Schnauze vor den Kopf stößt. Und diesem sogleich unmissverständlich die Erfahrung vor die blank gewichsten Schuhe kotzt, dass dies nun mal die Hauptstadt und das Pflaster etwas härter ist. Aber wenn ein solcher Gast, sagen wir aus der fernen Schweiz, nicht gleich zurückschreckt, sondern sich das etwas genauer ansieht, dann kann dabei so etwas herauskommen wie „Schwarze Schafe“ von Oliver Rihs.

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Kein Image-Film für die „Partner für Berlin“-Kampagne, sicher auch kein Vorzeigeschild für Goethe-Institute. Sondern ein schmutziger, kleiner, schräger Undergroundfilm. Provokant und politisch krass unkorrekt. Abseits von jedem Geschmack. Und jeder gelachten Mainstream-Ästhetik. Er handelt von Losern in der Millionenstadt, von Außenseitern, Underdogs und Zukurzgekommenen und ihren kuriosen Versuchen, sich durchzuwurschteln und auch mal ihr kleines Glück zu finden. Selbst mit drastischen Mitteln.

Fünf beinharte Episoden voller Fäkalworte und Körperflüssigkeiten

Die einen wollen Eindruck schinden. Wie der Betrüger (Marc Hosemann), der anfangs noch feudal in einem Fünf-Sterne-Hotel speist. Und nicht nur geschickt die Rechnung zu umgehen weiß, sondern sich auch noch eine Nacht in einer Edelsuite einklagt. Danach aber muss das verkrachte ehemalige Hand-Model für Luxus-Uhren zum Äußersten greifen, um für seine Luxus-Schickse flüssig zu sein: also zu einer Axt, um das hochversicherte Gelenk zu opfern.

Die anderen wollen nur Sex. Drei junge Türken sind notgeil und wollen zum Schuss kommen, egal wie. Aber im Kitkat-Sexclub werden sie gar nicht erst reingelassen, bei einer Anhalterin blitzen sie ab, und bei einer Goa-Party am Müggelsee nehmen sie im entscheidenden Moment Drogen, die sie auf einen ganz anderen Trip bringen.

Mehr zum Thema: Regisseur Oliver Rihs im Interview: „Man muss sich was trauen“

Drei türkische Jungs wollen unbedingt Sex haben.

Drei türkische Jungs wollen unbedingt Sex haben.
© Filmwelt

Sie will nur ein bisschen Achtung. Die glücklose Ossi-Frau (Jule Böwe), die sich als Reiseführerin auf einem Spreedampfer über Wasser halten muss, will vor ihrer arroganten West-Freundin und deren neureichem Mann ihre ärmlichen Verhältnisse überspielen. Aber just da taucht ihr arbeitsloser, versoffener Freund (Milan Peschel) auf und krakeelt laut herum.

Düstere Bilder in kunstvollem Schwarzweiß. Mit verfremdenden Farbklecksen

Sie wollen nur Geld. Zwei jung-idealistische Laberköpfe (Tom Schilling, Robert Stadlober) wollen in eine Agentur für Arbeit ohne Geld einsteigen, werden dabei aber abgezockt. Die größte Zumutung aber sind zwei Satanisten (Daniel Zillmann und Kirk Kirchberger), die für ein okkultes Ritual ein williges weibliches Opfer brauchen, aber keines finden können. Weshalb die eigene Oma im Koma dafür herhalten soll.

Rihs, der als Grafiker begann, aber auch als Sozialarbeiter tätig war, hat einiges selbst erlebt, anderes beobachtet in den Jahren, seit er nach Berlin zog. Er pfiff auf jede Autorenfilm-Eitelkeit und regte fünf befreundete Autoren, allesamt Nicht—Berliner wie er selbst, zu kleinen, drastischen, beinharten Episoden an. Die wurden dann wild ineinander montiert. Und in düstere Bilder getaucht. In grobkörnigem Schwarzweiß, weil’s noch härter aussieht. Als Verfremdungseffekt werden aber auch ein paar Farbkleckse eingesprenkelt.

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Schwarze Schafe

Der Betrüger (Marc Hosemann, l.) bittet seinen Mitbewohner (Bruno Cathomas), ihm die Hand abzuhacken.
© Olliwood Film | Olliwood Film

Diese fünf wilden Episoden wirken wie der Fleisch gewordene damalige Wowereit-Slogan von wegen arm, aber sexy. Und Rihs hat denn auch mustergültig vorgelebt. Hat gar nicht erst versucht, Fördergelder anzuzapfen. Bloß keine Kompromisse eingehen! Keine Rücksichten nehmen! Da fällt nicht nur reichlich Fakälvokabular, es fließen auch jede Menge Körperflüssigkeiten. Und auch der Neigungswinkel, ab dem ein Film zur Pornographie gezählt wird, wird dreist ignoriert.

Eine „Sinfonie der Großstadt“ der anderen Art: als große, laute, grelle Kakophonie

Es ist auch viel Fremdscham angesagt. Da muss man schon eine gehörige Portion schwarzen Humor mitbringen. Und wird trotzdem oft schlucken müssen. Aber „Schwarze Schafe“ bewies eindrücklich, dass Underground nicht nur aus New York oder aus London kommen muss. Sondern dass man sich auch im förderverwöhnten deutschen Film noch verschulden kann, um was völlig Eigenes zu kreieren.

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Schwarze Schafe

Der arbeitslose Gatte (Milan Peschel) rotiert, als ihn seine Frau verleugnet.
© Olliwood Film | Olliwood Film

Dafür hat Rihs eine stattliche Anzahl von Darstellern gewinnen können, denen es im Grunde ganz ähnlich ging: die zu wenig originär-originelle Angebote bekamen und sich deshalb für ‘n Appel und ’n Ei gern zur Verfügung stellten. Nicht zufällig stammten nicht wenige von ihnen aus dem Volksbühnenmilieu.

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Eine „Sinfonie der Großstadt“ der anderen Art: als große, laute, grelle Kakophonie des Millionendorfs. Ein durchgeknallter Episodenfilm, der nicht mal seine eigene Form ganz ernst nimmt, der gar nicht alles bündeln will und auch mal in der Zeitdramaturgie stolpert. Der aber trotzdem, oder gerade deshalb, zum Kult wurde. Als dissonante Liebeserklärung an die ruppige Hauptstadt und ihre Überlebenskünstler, wie dies vielleicht nur hassliebende Neuberliner vermögen.

Zoo Palast, 7. Oktober, 20 Uhr in Anwesenheit von Regisseur Oliver Rihs und Hauptdarstellerin Jule Böwe.