Ein kleines Bild hat auf Facebook eine kontroverse Diskussion ausgelöst. Zu sehen ist ein Haufen oranger, abgeknibbelter „Spiegel“-Sticker. Als Bildüberschrift dient der Satz: „Gefühlt auf jedem Buch ist er drauf – der Spiegel-Bestselleraufkleber, oder wie unser Herr Kott sagt: ‚Das Arschgeweih der Literatur‘ – hat man, will aber niemand sehen‘ und wir haben uns ein Beispiel an der @buchhandlung.dietsch genommen und knibbeln jetzt fleißig die Kleber ab.“
Weitere aktuelle Nachrichten aus Moers, Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn:
Gepostet hat den Beitrag Kathrin Olzog von der Barbara Buchhandlung Moers. Innerhalb weniger Tage sammelte der Post mehr als 230 Kommentare. Stellt sich die Frage, warum eine Buchhandlung sowohl die „Spiegel-Bestseller“- als auch die „Spiegel-Bestseller-Autor“-Sticker entfernt. Olzog und ihr Team lesen über 70 Prozent der Bücher, die sie in den Verkauf aufnehmen – ohnehin nur wenige mit Sticker. „Wir leben hier von den individuellen Empfehlungen“, sagt die Buchhändlerin. Die Vorauswahl ist ihr wichtig: „Wir wählen aus, was wir im Laden haben, und wir sind es auch, die die Kunden sehen und beraten.“ Diese Eigenschaft findet sie in der Kaufberatung viel wichtiger als die Orientierung durch einen knallorangen Sticker.
Autor kritisiert Entfernung der Spiegel-Bestseller-Sticker
Über den „Arschgeweih“-Vergleich ihres Mitarbeiters Marcel Kott habe sie sich prächtig amüsiert. Olzog findet, dass die Menge der Sticker schon lange nicht mehr als Orientierungsstütze dient: „Wo ist die Aussagekraft des Etiketts? Für viele ist es kein Prädikat, sondern das Gegenteil. Dann ist es eben keine Orientierung mehr, sondern verwirrt.“ Auf zwei Aufstellern – einer für Belletristik, einer für Sachbücher – sind jeweils die zehn Spiegel-Bestseller aufgestellt; nur eben ohne den besagten Aufkleber. Dadurch bleibe die Orientierung im Laden.
Egal ob „Spiegel-Bestseller“ oder „Spiegel-Bestseller-Autor“: Die Sticker werden rigoros entfernt.
© NRZ | Helena Wagner
Dennis Diel aus Kamp-Lintfort ist selbst Autor und hat es geschafft: Seine Bücher dürfen den Spiegel-Sticker tragen. Er hat unter den Post auf Facebook kommentiert und findet die Aktion gar nicht witzig. Auf Nachfrage der Redaktion erläutert er seine Meinung: „Ich finde es albern und aktionistisch.“ Mitunter sei es sogar geschäftsschädigend, da der Sticker für manche eine kaufberatende Funktion habe. Er sieht die Sticker als stillen Hinweisgeber für den eigenen Geschmack. „Als Autor kann ich der Aktion aber allein schon deshalb nichts abgewinnen, weil ich es als übergriffig empfinden würde, wenn jemand den Sticker von meinem Buch kratzen würde“, sagt er.
Meinungen über Buchhandlung in Moers spalten sich
Doch es gibt auch Zuspruch für die Aktion. Ein User kommentierte zum Beispiel: „Aufkleber verdecken so oft ein schönes Cover oder den Klappentext. Danke!“ Ein anderer schrieb: „Diese inflationären Sticker halten mich inzwischen eher ab, ein Buch überhaupt in die Hand zu nehmen. (Gab es ja früher auch nicht.)“ Und weiter: „Für mich sind unbefleckte Bücher einfach interessant, unvorbelastet. Und da kann der Klappentext für sich werben. Macht mich mit Inhalt neugierig, nicht mit inflationär bekleisterten Stickern!“
Wie wird man „Spiegel-Bestseller“?
Um als Autor den „Spiegel-Bestseller“ Sticker zu erhalten, muss das Buch auf der Spiegel-Bestsellerliste platziert sein. Im Auftrag des Spiegel ermittelt das Fachmagazin „Buchmarkt“ die Bestsellerlisten. Gezählt werden die meistverkauften Bücher pro Kategorie und Woche in Deutschland. Die Platzierung wird durch Verkaufszahlen ermittelt. Wenn ein Autor oder eine Autorin es einmal auf diese Liste geschafft hat, dürfen gegebenenfalls die künftigen Werke mit dem Sticker „Spiegel-Bestseller-Autor“ versehen werden. Die Lizenz für das „Spiegel-Bestseller“-Logo muss bei der zuständigen Vergabestelle (Buchmarkt Media, im Auftrag von Spiegel) offiziell beantragt und bezahlt werden. Das „Cover-Paket“ für die Nutzung auf einem Buchtitel kostet derzeit 250 Euro.
Autor Dennis Diel sagt über die Menge der Sticker: „Leider verstehen einige auch nicht, dass die subjektiv empfundene ‚Flut an roten Stickern‘ daher rührt, dass es sehr viele Bestseller-Autoren gibt, deren neue Werke – ganz gleich, ob sie sich gut verkaufen – diesen Sticker tragen dürfen.“ Das dürfe man natürlich kritisieren, sollte dabei laut Diel aber nicht vergessen, dass es immer noch sehr wenigen Autoren gelingt, jemals einen Bestseller zu veröffentlichen.
Abgeknibbelte Sticker: Ist das überhaupt erlaubt?
Was sagt eigentlich der Spiegel selbst zum Entfernen seiner Aufkleber? Das Magazin „Buchmarkt“, das im Auftrag des Spiegels die Bestsellerlisten ermittelt, antwortet auf Anfrage der Redaktion: „Grundsätzlich steht es jedem frei, den Sticker zu entfernen, wenn er denn stören sollte. Auf der anderen Seite schätzen viele Händler den Sticker, denn er führt zu Orientierung in der Buchhandlung und führt zu Verkäufen.“ Ein Verbot oder ähnliches gibt es also nicht. Auf der Webseite von Buchmarkt wird der Begriff „Spiegel-Bestseller“ als „Marketinginstrument“ bezeichnet.
Kathrin Olzog weiß um die Explosivität des Themas: „Dass das diskutiert wird, ist völlig in Ordnung“, betont sie. Inzwischen hat sie sich aber entschieden, die Kommentarfunktion sowohl auf Facebook als auch auf Instagram zu deaktivieren. Leider habe eine Vielzahl der User nicht nur konstruktive Kritik geäußert. „Die kennen unseren Laden meistens gar nicht.“ Kommentare ihrer Kunden gab es kaum. Für den Fall, dass ihre Kunden die Aufkleber vermissen, hat sie eine andere Idee: „Wir überlegen, ob wir einen eigenen Sticker für unsere Empfehlungen entwerfen sollen“, scherzt sie.
Schutz vor beleidigenden Kommentaren notwendig
Sie habe es nicht überrascht, dass gerade auf Facebook der Ton oft unter die Gürtellinie rutsche, habe sich nun jedoch vor der oft beleidigenden und übergriffigen Wortwahl schützen müssen: „Nach über 200 Kommentaren denke ich, dass alles gesagt wurde. Ich muss mir auch nicht alles gefallen lassen“, sagt die Buchhändlerin bestimmt. Ihr T-Shirt mit der Aufschrift „stay salty“ (zu Deutsch: bleib salzig) unterstreicht das.
Folgt der Redaktion Moers auch auf Social Media:
Die sarkastische Frage eines Users, ob sie nicht genug im Laden zu tun hätte, kontert Olzog gelassen: „Wir waren tatsächlich innerhalb von 15 Minuten mit dem Entfernen fertig.“ Nach dem ersten Abknibbeln hat sie bereits bei der nächsten Lieferung weitergemacht: „Jetzt habe ich alle Bücher schon so schön sauber, nun wird es auch fortgesetzt!“ Die Buchhändlerin stellt die nicht unberechtigte Gegenfrage, ob nicht die Leute, die den Hass im Netz verbreiten, diejenigen sind, die zu viel Zeit übrig haben.