Seit fast drei Jahren drängt sich das Bürohochhaus EDGE East Side ins alltägliche Blickfeld vieler Berliner*innen. Lange Zeit war dieses Privileg dem Fernsehturm vorbehalten. Während es aber Menschen geben soll, die letzteren herzlich grüßen, sobald er ihnen in der Ferne begegnet, dürfte das dem etwas plumpen Hochhaus an der Warschauer Brücke eher nicht passieren. Wobei sich die meisten Kritiker*innen nicht unbedingt an den Proportionen stören.

Von Maximilian Hinz

Obwohl der von BIG (Kopenhagen/London) entworfene Turm EDGE East Side schon einige Zeit am Horizont auftaucht, wurde er erst diesen Sommer offiziell eröffnet. Auftraggeber und Projektentwickler EDGE Technologies benannte ihn – wie auch bei seinem Projekt am Berliner Südkreuz – nach sich selbst. Der Volksmund hatte das Hochhaus allerdings längst auf einen anderen Namen getauft: Amazon Tower. Denn 33 der insgesamt 35 oberirdischen Etagen nutzt künftig der US-amerikanische Tech-Gigant und residiert damit direkt oberhalb der subkulturellen und gemischten Szene um die Warschauer Straße. Bis ihn der Estrel Tower in Neukölln nach dessen Fertigstellung übertrumpft, ist der EDGE East Side mit 142 Metern gar der höchste Geschossbau der Stadt. 

Noch weitaus länger als im Berliner Himmel steht das Projekt allerdings in der öffentlichen Diskussion. Das Grundstück liegt auf dem sogenannten Anschutz-Areal rund um die heutige Uber Arena. 2004 hatte US-Investor Philip Anschutz das Gebiet gekauft, um es zu entwickeln. In einem Bebauungsplan ließ das Land Berlin damals mehrere Hochhäuser vorsehen, darunter auch ein bereits fertiggestellter Bau von Gewers Pudewill und der Standort des EDGE East Side an der nordöstlichen Ecke. 

Verfahrensfragen und New Yorker Inspiration

Zwischenzeitlich wechselte das Grundstück mehrmals den Eigentümer, bis EDGE Technologies die konkrete Planung begann. Der städtebauliche Vertrag im Rahmen des B-Plans verpflichtete zu einem Wettbewerb, ohne dabei die Verfahrensart festzulegen. EDGE richtete 2017 ein Werkstattverfahren mit drei eingeladenen Büros aus. Trotz nur einer Woche Bearbeitungszeit und einer Jury, die mehrheitlich durch Bauherrenvertreter*innen besetzt war, soll der erste Siegerentwurf von BIG mit einer „kieztypischen Lebendigkeit“ überzeugt haben, schreibt Jan Schildknecht, damaliger Bauaufsichtsleiter im Stadtentwicklungsamt Friedrichshain-Kreuzberg. 

Dieser ursprüngliche Entwurf war im Zusammenhang mit der benachbarten East Side Mall geplant. Da die Zeitpläne der Projekte aber auseinander liefen, wurde er obsolet. Die Bauherrschaft ließ BIG einen neuen Entwurf – ohne Wettbewerb – vorlegen, der schließlich in den Bauantrag mündete. Ob die Architekt*innen dabei einfach in die Schublade fertiger Konzepte griffen und das bereits seit 2016 für New York geplante The Spiral herauszogen, bleibt natürlich Mutmaßung. Die scharfe Kritik des Berliner Baukollegiums am neuen Entwurf blieb folgenlos, denn der Bezirk hatte das Projekt bereits genehmigt.

Kaskaden und Kiezlab

An der Planung war als lokales Büro Aukett + Heese, die bereits das Werkstattverfahren mit vorbereitetet hatten, in den Leistungsphasen 2–5 beteiligt. Die Ausführungsplanung haben A+H baubegleitend für den Generalunternehmer Züblin erstellt. Insgesamt umfasst das Hochhaus circa 85.000 Quadratmeter Bruttogrundfläche. Bis zu 3.000 Mitarbeitende von Amazon sollen hier arbeiten, die ersten sind bereits eingezogen. 

Eine Plattform im Sockelbereich verbindet den Büroturm mit der Warschauer Brücke und der East Side Mall. Hinter die kaskadenartigen Terrassen an den Außenseiten haben die Architekt*innen Atrien angelegt, um die Geschosse untereinander zu verbinden. Durch herausnehmbare Deckenelemente seien sie flexibel gestaltbar, heißt es.

Öffentliche Bereiche finden sich ganz oben, wo noch ein Restaurant mit Zugang zur Dachterrasse eröffnen soll, und ganz unten, wo ein sogenanntes Kiezlab eingezogen ist. Amazon stellt dort auf 1.400 Quadratmetern Büroflächen, Workshopräume und Infrastruktur für lokale und gemeinnützige Initiativen zur Verfügung. Laut Schildknecht geht diese öffentliche Nutzung auf das Engagement von Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Die Grünen) zurück – und war Auflage für die Genehmigung.

Auf dem Weg zur Amazon Straße

Vertreter*innen der Tech- und Start-Up-Branche sehen EDGE East Side als Chance für den Standort Berlin. Auch Bürgermeister Kai Wegner (CDU) freute sich bei der Eröffnung über den „starken Arbeitgeber“ Amazon. Auf diesen zielt aber natürlich auch die Kritik der Gegenseite. Die Gruppe „Berlin vs Amazon“ etwa veranstaltete in der Vergangenheit mehrere Protestaktionen. Sie werfen dem Konzern unter anderem „unmenschliche Arbeitsbedingungen, schamlose Steuerpraktiken und ein auf Überkonsum basierendes Geschäftsmodell“ vor. Im Stadtteil verursache der Bau zudem soziale Verdrängungsprozesse. 

Zur Eröffnung überklebten die zwei Aktionskünstler*innen Jakob Wirth und Marina Resende Santos das Schild der S-Bahnstation Warschauer Straße mit „Amazon Straße“. So wollten sie sichtbar machen, wie Konzerne das Stadtbild vereinnahmen. Den Turm selbst hat man bislang nicht mit dem Logo des Unternehmens gelabelt. Das wolle man künftig noch nachholen, so Amazon. Bis dahin reicht als Bild vielleicht auch die Architektur selbst, die bei BIG ja oft wie ein gebautes Piktogramm daherkommt. Die Aufwertung zeichnet sich am Amazon Tower jedenfalls für alle weithin sichtbar ab.

Fotos: Laurian Ghinitoiu, Marcus Bischoff, Franco Casaccia, Franz Brück, Rohl Fotografie

Zum Thema:

Weitere Projekte von EDGE: MVRDV in Amsterdam, UNStudio in Eindhoven, Behnisch Architekten in Hamburg und gleich nebenan ein Bau von HENN.

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