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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

heute machen wir Sachen, über die manche die Nase rümpfen: Wir schielen auf die Nachbarn. Verstohlene Blicke, getrieben von nagendem Zweifel: Ist der Rasen da nicht grüner? Was haben die bloß gemacht, dass das so klappt? Oder ist unser eigener Garten doch gar nicht so verkümmert, wie wir dachten? Es stimmt schon, Neid ist keine Tugend, das ständige Vergleichen mit anderen auch nicht. Aber wissen Sie, was noch schlimmer ist? Wenn man gar nicht auf die Nachbarn schielt.

Jammern, nörgeln, Nabelschau: Es kommt nichts Gutes dabei heraus, wenn man zu lange im eigenen Saft schmort. Lassen wir Berlin, das Koalitionshickhack, Reformstau und Problemberge also hinter uns und schauen wir uns um, was nebenan in Europa so vorgeht.

Eine Hausnummer weiter zum Beispiel, bei den Franzosen: ein Land in der Krise, polarisiert, sozial zerrissen, mit erdrückendem Schuldenberg, und politisch geht auch nichts mehr. In weniger als zwei Jahren gaben sich fünf (!) Premierminister die Klinke in die Hand, was nicht einmal die Italiener hinbekommen haben, und die sind schon einiges gewöhnt. Die Regierung von Monsieur Macron bekommt die exorbitanten Staatsausgaben nicht mehr in den Griff, die Kassen sind leer, doch sobald es ans Sparen geht, fallen die politischen Blöcke im Parlament übereinander her und Hunderttausende gehen auf die Straße. Selbst eingefleischte Optimisten müssen eingestehen: Die Franzosen haben tatsächlich Grund zum Greinen.

Schuld an der Finanzkatastrophe ist allerdings das Füllhorn, mit dem der Staat seinen Bürgern während Corona, Krieg und Krise zu Hilfe eilte, damit sie davon nicht gar zu sehr gebeutelt würden. Die großzügige Unterstützung hat die Wirtschaft vor dem Schlimmsten bewahrt, das Wachstum erhalten, den Bürgern mit viel Geld das schwierige Leben versüßt – und die Kassen geleert.

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Haben die Franzosen sich damals darüber gefreut? Waren sie zufrieden mit ihrer Lage? Pustekuchen. Proteste, Kritik, Frust haben trotzdem keine Pause eingelegt. Dabei hätte ein Blick über den Tellerrand, zum Beispiel auf das dümpelnde Deutschland, dessen Wirtschaft mit angezogener Schuldenbremse nicht aus der Kurve kam, ihnen schnell klarmachen können, dass im Vergleich zu dem, was andere durchmachen, die Dinge in Frankreich gar nicht so schlecht standen.

Miese Stimmung, selbst wenn es gut läuft: Das hat Folgen. Es lähmt. Es schwächt. Es untergräbt nicht nur die Bereitschaft, die Erfolge zu feiern, sondern auch, sie zu sichern – indem man im richtigen Moment wieder kürzertritt. Zugleich liefert die gefühlte Dauerkrise erstklassiges Baumaterial für die Luftschlösser von Populisten. Links- und Rechtsextremisten feiern die Erfolge ihrer Lügen: Im Pariser Parlament erdrücken die politischen Ränder die Mitte, Mehrheiten für Kompromisse fehlen, es geht nicht vor und nicht zurück. Die Rechnung der Radikalen ist aufgegangen. Wenn man lange genug den Niedergang des politischen Systems herbeiredet und die Schwarzmalerei verfängt, ist es irgendwann tatsächlich so weit.

Jean-Luc Mélenchon attackiert Frankreichs Mitte von links.Vergrößern des BildesJean-Luc Mélenchon attackiert Frankreichs Mitte von links. (Quelle: imago images)Marine Le Pen attackiert Frankreichs Mitte von rechts.Vergrößern des BildesMarine Le Pen attackiert Frankreichs Mitte von rechts. (Quelle: imago images)

Das zersetzende Gefasel vom Nieder- und Untergang ist keine Schrulle allein der Franzosen. Der Meister in dieser Disziplin, der Donald in Amerika, hat der Welt vorgeführt, wie man mit einer erfundenen Negativbotschaft – jeder trampelt auf den USA herum, alles ist mies, es geht bergab mit uns – bei der Wahl triumphal über die Ziellinie rauscht. Dabei ist das Nörgeln und Schlechtreden eigentlich in Deutschland zuhause, so lautet jedenfalls das Klischee. Ein Körnchen Wahrheit scheint darin durchaus zu stecken, jedenfalls können wir mit den anderen Schwarzmalern bestens mithalten. Auch bei uns schwindet gerade wieder einmal das Vertrauen – und das wird kräftig zelebriert. Zum Beispiel in Riesenlettern beim Hiobsmedium „Bild“: „Brutale Umfrage für Merz und Co.: Deutsche haben kaum noch Hoffnung auf eine Wende“, heißt es dort. Brutal also. Schlimm. Soso.

Was haben uns die Wirtschafts-Forschungsinstitute gestern in ihrer Konjunkturprognose erzählt? Die deutsche Wirtschaft wird im nächsten Jahr wieder einmal katastrophal schrumpf… Moment, Korrektur: Wachsen wird sie. Huch! Ja, einfach ist die Lage nicht, haben die Experten zwar festgestellt, es gibt strukturelle Probleme und so weiter und sofort. Viel Geld aus dem staatlichen Füllhorn hilft uns derzeit über die Runden, ein Investitionsfeuerwerk, das auch dringend notwendig ist wegen des vorangegangenen Investitionsstaus. Aber ewig so weitergehen darf das nicht, weil die Schulden sonst durch die Decke gehen. Falls Ihnen diese Diagnose bekannt vorkommt, schauen Sie doch kurz bei den Franzosen noch mal rein. Nein, zurücklehnen können sich hierzulande weder Politik und Wirtschaft noch die Bürger. Aber ein „Debakel“ ist das alles nicht – eher Jammern auf hohem Niveau.

Satte Selbstzufriedenheit ist gefährlich. Uferlose Selbstkritik ist es aber auch. Wer wissen will, wie wir uns wirklich schlagen, darf nicht idealisierte Maßstäbe aus der Schublade hervorkramen und darüber lamentieren, wie mies die Bilanz gegenüber dem theoretisch erreichbaren Optimum ausfällt. Man ist besser beraten, den Vergleich mit realen, uns ähnlichen Nationen zu ziehen. Mit Frankreich zum Beispiel oder Großbritannien (ich erspare Ihnen heute die ganze britische Misere, aber sagen wir es so: Tauschen wollen wir mit denen nicht). Und siehe da: Kritische Selbstüberprüfung ist zwar immer angebracht – aber zum Meckern, Nörgeln und Jammern geht es uns hierzulande, auch im direkten Vergleich, viel zu gut.

Deutsche Misere? Brutale Krise? Lassen wir die Kirche im Dorf, würde ich vorschlagen. Und krempeln wir lieber die Ärmel hoch. Anders als die Meckerei kann das die Dinge nämlich zum Besseren wenden.

Benjamin Netanjahu raubt palästinensisches Land.Vergrößern des BildesBenjamin Netanjahu raubt palästinensisches Land. (Quelle: Nathan Howard/Pool Reuters/dpa)

Er ist auf einem Umweg nach New York geflogen, um im Fall einer Notlandung nicht festgenommen zu werden: Trefflicher lässt sich die zunehmende Isolation des per internationalem Haftbefehl gesuchten israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu nicht illustrieren. Der bisherige Verlauf der UN-Vollversammlung ist ein Fiasko für den Ministerpräsidenten, haben sich doch schon mehr als 150 der 193 Mitgliedstaaten für eine Anerkennung Palästinas als Staat entschieden.

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