Die Frage, wie individuell Orte der Trauer auf Friedhöfen sein dürfen, hat in Baden-Württemberg auch das Verwaltungsgericht Stuttgart beschäftigt. Hier wirft Harald Schott am Donnerstag einen Flyer in den Briefkasten. Der 68-Jährige hat 2019 seinen Sohn Ricardo verloren und ihm in Wallhausen bei Schwäbisch Hall ein Grabmal errichtet. Das Verwaltungsgericht hat die Frage nach individueller Trauer dahingehend beantwortet, dass eine mit Sockel etwa 1,50 Meter große, orange-gelbe Statue, die Ricardo abbilden soll, jenseits des Zumutbaren für andere Friedhofsbesucher liegt.
In der Folge eines langwierigen Rechtsstreits zwischen der Familie Schott und der Gemeinde Wallhausen musste die Skulptur Ende 2024 abgebaut werden. „Eine Berufung des Stuttgarter Urteils ist am Verwaltungsgerichtshof Mannheim nicht zugelassen worden“, sagt Schott. Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damals unter anderem damit, dass „aufdringliche oder effektheischende Grabmale“ für ein ungestörtes Totengedenken nicht geeignet seien, wie der SWR damals berichtete.
Gefühle der Hinterbliebenen verletzt
Auch nach juristischen Niederlagen bleibt Harald Schott dabei: Das Grabmal, helle Farbe hin oder her, sei unproblematisch und schon gar nicht „effektheischend“. Im Gegenteil: „Ricardo war Grafikdesigner, die bunten Farben passen zu ihm.“ Er könne auch heute „noch nicht fassen, was für ein Urteil gefällt wurde“, sagt er. Nicht so trauern zu dürfen, wie man wolle, verletze nicht nur seine Gefühle, sondern auch die seiner Frau, seiner Freunde, die von anderen Hinterbliebenen.
Vater Hartmut Schott vor dem Verwaltungsgericht Foto: Sascha Maier
Deswegen kämpft er weiterhin dafür, die Statue wieder aufstellen zu dürfen. Heute ist er in Stuttgart und wirft den Flyer in den Briefkasten des Gerichts. Später will er noch vor dem Staatsministerium gegen die Entscheidung protestieren. Die juristischen Mittel seien ausgeschöpft. Mit dieser Aktion will der Vater zeigen, dass es ihm ernst ist, mit den Beteiligten nochmals in einen Dialog zu treten und hofft auf eine Neubewertung des Sachverhalts. Dafür nimmt der gläubige Christ sogar einen knapp einstündigen Fußmarsch im Regen in Kauf – vom Verwaltungsgericht bis zum Staatsministerium. Um den Körper trägt er ein Plakat, das das Grab seines Sohnes zeigt, so wie es aussah, bevor das Gericht zum Nachteil der Familie urteilte.
Versäumnisse bei der Genehmigung
Mit seiner Meinung, dass die Statue den Friedhofsfrieden nicht gestört habe, steht der Vater nicht alleine da – wenn man den Argumenten auf dem eingeworfenen Faltblatt folgt. Dort wird Herbert Schneider, der Verbandsvorsitzende der Friedhofsverwalter in Deutschland e.V., mit der Einschätzung zitiert, dass „an der beanstandeten Skulptur nichts Anstößiges oder gar Sittenwidriges“ zu entdecken sei. Die Familie argumentiert außerdem damit, dass das Gericht bei der Entscheidung keine Expertise hinzugezogen habe, „die friedhofsfachliche Perspektive“ gefehlt habe. „Ich wünsche mir auch, dass sich die verstaubte Gesetzeslage hier ändert.“ Dabei gebe es für den Hauptfriedhof in Wallhausen – im Gegensatz zu dem anderen Friedhof an der Kirche im Ort – keine speziellen Gestaltungsvorschriften; auch ein Grund, warum er Ricardo gerade dort ein Grabmal errichten wollte.
Die Argumente, die die Gemeinde Wallhausen im Rechtsstreit ins Feld geführt hatte, waren pragmatischer: Es habe Klagen über die Ricardo-Figur gegeben. Die Statue sei so nie genehmigt worden, hieß es außerdem. Laut einem SWR-Bericht sei lediglich für ein mit 70 Zentimetern nur halb so hohes Grabmal grünes Licht gegeben worden, die „signalorangene“ Farbe sei verschwiegen worden.
Hartmut Schott dementiert gar nicht, dass er den Genehmigungsvorschriften damals nicht in allen Details nachgekommen war. „Wir waren in tiefer Trauer“, so der Psychologe und Seelsorger, der mit seinem Plakat um den Hals in der Innenstadt, wo er inzwischen angelangt ist, neugierige Blicke auf sich zieht. Er habe aber einen Nachantrag gestellt, der abgeschmettert worden sei.
Seine Hauptanliegen nun: Dass sich der Gemeinderat in Wallhausen mit ihm an einen Tisch setzt und mit ihm gemeinsam einen Lösung findet, mit der alle leben könnten. „Der Sinn von Politik ist Freiheit, um ein Miteinander der Verschiedenen“, steht auf der Rückenseite des Plakats, das er mit sich herumschleppt. Es ist der Titel eines Buchs von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, in dem sich dieser mit der jüdischen Publizistin Hannah Arendt auseinandersetzt. Hartmut Schott findet, das Zitat des Politikers sei ein guter Startpunkt, um mit der Gemeinde zum Thema Trauerbewältigung in Dialog zu treten.
Zu Kompromissen bereit
Dabei gibt sich Schott kompromissbereit: „Wenn es Menschen gibt, die sich an dem Grab so stören, könnte ich mir vorstellen, meinen Sohn umzubetten, an eine weniger prominente Stelle.“ Auch eine Hecke um das Grab zu ziehen wäre für ihn denkbar.
Noch sei unklar, ob sich die Verwaltung und der Gemeinderat des 3.700-Einwohner-Orts noch einmal des Falls annehmen werden. Solange bleibt die Ricardo-Skulptur, bei deren Abbau Schott beigewohnt und erneut mit den Tränen gerungen habe, wie er erzählt, bei ihm zuhause im Keller.