Musik von Jean-Philippe Rameau, gespielt auf modernen Instrumenten? Das kann enttäuschend enden, denn die Musik dieses Komponisten lebt wie kaum eine andere von breit gefächerten klangfarblichen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich mit Barockbögen auf Darmsaiten erreichen lassen. Als die Stuttgarter Philharmoniker am Donnerstagabend ihre Spielzeit im Beethovensaal mit Rameau beginnen, ist der Auftakt aber gelungen. Erstens, weil die ausgewählten Tänze aus der Suite aus „Les surprises de l’amour“ ( „Die Überraschungen der Liebe“) dem diesjährigen Motto der Großen Reihe – „Überraschungen“ – auf stimmige Weise entsprechen, und zweitens, weil Jan Willem de Vriend am Pult für Elan und rhythmische Präzision sorgt.
Da zuckt das Tanzbein! Und das weiche, extrem leise Pianissimo, zu dem die Streicher zwischenzeitlich beim Geleit der Soloflöte finden, wird zum Markenklang des Konzerts, denn in der Sinfonie „Mit dem Paukenschlag“ ist es nochmals zu erleben. Auf Englisch trägt Haydns 94. den weit weniger verräterischen Untertitel „Surprise“, und mit dieser Überraschung im Visier nähert sich de Vriend jenem markanten Perkussionseinsatz im zweiten Satz, mit dessen Hilfe Haydn eingeschlummerte Konzertbesucher wecken wollte. So zumindest kolportiert es eine Anekdote. Hier verhilft der Dirigent der Überraschung mit feinsten Pastelltönen im Vorfeld zu größtmöglichem Effekt.
Und überhaupt: Haydn, der hier endlich mal nicht als vermeintliches sinfonisches Leichtgewicht fürs Warmspielen des Orchesters zuständig ist, sondern für den markanten Schluss, hat viel mehr zu bieten als nur plakative Haudrauf-Momente. Beginnend mit der harmonisch herumirrenden langsamen Einleitung, ist das ganze Stück eine Wundertüte für offene Ohren. Jan Willem de Vriend dirigiert mit Delikatesse und viel Witz. Und er verwurzelt das Klassische auf überzeugende Weise in der musikalischen Vergangenheit: Während des ganzen Abends ergänzt ein Cembalo den Klang, und der Fagottist wird auch mal sinnfällig bei den Celli einsortiert. Es ist schade, dass die Philharmoniker ihren langjährigen Ersten Gastdirigenten nun verabschieden. Sie sind aber auf der Suche nach einem neuen Pultchef, der sein Amt 2027 antreten soll, und wollen deshalb in den Konzertreihen Platz schaffen, damit sich hier möglichst viele potenzielle Kandidaten präsentieren können.
Eine Musikerin der Zukunft durfte man immerhin schon mal kennenlernen: Die erst 17-jährige Stuttgarterin Elisabeth Namchevadze spielte den Solopart in zwei Klavierkonzerten Mozarts: dem ersten eigenen Konzert des Komponisten (KV 175) mitsamt dem später hinzugefügten Rondo und das frühe F-Dur-Konzert KV 37, das Mozart unter väterlicher Anleitung als Pasticcio über Sonaten von Zeitgenossen verfasste. Zu hören war eine nicht ganz verlust- und irritationsfreie, aber insgesamt gute Wiedergabe. Der durchweg sehr direkte Ton der Pianistin könnte noch an Beweglichkeit und (auch mithilfe eines variableren Anschlags) an Farbreichtum zulegen. Nach Liszts „Campanella“ als Zugabe jubelte das Publikum.