TM-Analyse zum Krisenduell
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Mit dem 1. FC Nürnberg und Hertha BSC treffen am Sonntag zwei Teams aufeinander, die vor der Saison zum erweiterten Kreis der Aufstiegsanwärter in der 2. Bundesliga zählten. Beide Traditionsklubs blieben bis dato jedoch weit hinter den Erwartungen zurück, sodass das Kräftemessen am 7. Spieltag zum echten Krisenduell wird. Nicht wenige sprechen von einem Endspiel für die Trainer Miroslav Klose und Stefan Leitl – aber droht bei einer Niederlage tatsächlich die Entlassung? Transfermarkt wirft einen Blick auf die zugespitzten Situationen am Valznerweiher sowie im Berliner West-End.
Während Klose sich nach dem ersten Dreier am vergangenen Wochenende zumindest ein bisschen Luft verschaffte, mussten Leitls Herthaner nach dem vermeintlichen Brustlöser in Hannover zuhause gegen den SC Paderborn den nächsten Rückschlag einstecken. Fünf Zähler aus sechs Partien mit dem wertvollsten Kader der Liga – viel zu wenig für die Ansprüche beim Hauptstadtklub, wo das Damoklesschwert seit Wochen über der sportlichen Führung um Leitl schwebt.
Nach dem schlechtesten Zweitliga-Start seit den 80er Jahren und lediglich vier erzielten Toren forderte der Coach im Vorfeld des Spiels in Nürnberg von seiner Mannschaft eine Wende und „mehr Vertikalität in unserem Spiel“. Mut macht dem 48-Jährigen, dass es bis dato „auswärts etwas besser als zu Hause läuft.“ TM-Pate und Hertha-Experte Tobias Blaseio („PES“) ordnet die Situation rund um Leitl bei Hertha ein.
Hertha BSC: Wie ist Leitls Standing vor dem Duell mit Nürnberg?
„Bei der Fanbasis scheint das Standing deutlich schlechter als im Verein selbst, aber das dürfte auch daran liegen, dass die Zukunft von Sportdirekter Weber konkret mit Leitl zusammenhängen könnte“, erläutert Blaseio. „Weber hatte wiederholt die Möglichkeit mit ligaweit besten Voraussetzungen einen sehr teuren Kader zusammenzustellen, der um den Aufstieg kämpft. Seine Personalie wird stark mit Leitl verknüpft, denn neben den strategischen Fehlern von Weber hat Leitl es nicht vermocht, auch nur annähernd etwas aus der Kaderqualität zu produzieren.“
Was sind die Kritikpunkte, die Hertha-Trainer Leitl vorgeworfen werden?
„Zunächst wirkt Leitl enorm rat- sowie leidenschaftslos – eine denkbar schlechte Bedingung, um sportlich und auf mentaler Ebene eine Dynamik im Kader zu erzeugen. Seine Spielsysteme wirken hilflos, weil er wiederholt Spieler auf ungewohnten Positionen einsetzt, wie zuletzt Linus Gechter als Rechtsverteidiger. Durch sein passives oder kaum sichtbares In-Game-Coaching scheint er der Mannschaft keinen funktionierenden Plan an die Hand zu geben“, attestiert Blaseio. Diese „Hilflosigkeit“ sei auf dem Platz sichtbar und lasse im Stadion nicht selten die Frage nach einem klaren Plan aufkommen. „Gegenpressing scheint ein Fremdwort zu sein“, so der Hertha-Experte weiter.
„Leitl lässt die Mannschaft reagieren und kann so in glücklichen Spielen gegen ballorientierte Gegner wie Hannover einen Erfolg verbuchen. Gegen die regulären Zweitligateams wirkt man häufig planlos und nicht selten muss sich Leitl den Vorwurf gefallen lassen, dass er die Spiele schon vor dem Anpfiff vercoacht hat. Auch ein ehrliches Leistungsprinzip ist schwer erkennbar, vielmehr kommt der Eindruck auf, Leitl habe seine bevorzugten Spieler und schleppt diese so lange durch, bis der Druck von Außen zu groß und eine Reaktion unvermeidlich wird. Diese fehlende Leistungskultur ist allerdings auch eine Debatte rund um den gesamten Verein, da wichtige Positionen (Torwarttrainer, Physios, Standardtrainer als Beispiele) trotz nachweisbarer Mängel nicht hinterfragt werden. Es scheint eher eine Kuschel- und Festhalte-Politik zu geben. Dazu passt auch die mögliche Verpflichtung von Jeremy Dudziak, der aufgrund von Verletzungen einfach nie sportlich helfen konnte und trotzdem erneut ein Vertragsangebot bekommt.“
Gerücht



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Hertha BSC: Was spricht für, was gegen eine Trennung von Leitl?
„Aktuell spricht kaum noch etwas für ihn. Sein fehlender Mut, das ständige Suchen von Ausreden und das ungenügende Leistungsprinzip sprechen eine deutliche Sprache“, so Blaseio. Für den TM-Experten ist „ein Umschwung sehr schwer vorstellbar, da seine in die Jahre gekommenen Methoden leider nicht den Entwicklungen des aktuellen Fußballs standhalten können. Diese Mannschaft benötigt Mut und positive Ausstrahlung, beides ist Leitl leider komplett verloren gegangen.“
Wie wahrscheinlich ist es, dass Leitl die Saison bei Hertha BSC übersteht?
„Leitl hätte mit diesem Kader genug Möglichkeiten, um mutigen Pressingfußball zu spielen. Seine Integration der Jugend ist trotz Kennet Eichhorn nicht existent. Das ist mit der Ausrichtung, die der Verein kurz und langfristig benötigt, einfach nicht vereinbar. Jeder Punkt oder Sieg wird eine Entlassung nur zeitlich etwas hinauszögern. Ein Happy End ist unvorstellbar in der aktuellen Konstellation“, meint Blaseio. „Die Hoffnung liegt derzeit beim neuen Geschäftsführer Dr. Peter Görlich, der bereits in Hoffenheim nachgewiesen hat, dass er Ordnung und ein Leistungsprinzip in die Vereinsstrukturen einführen kann.“
Hertha BSC: Wer wäre eine Alternative für Leitl?
„Als Trainer wünschen sich nicht wenige Anhänger einen Kandidaten wie Oliver Reiß von ManCity, der dort hervorragende Arbeit leistet, erst vor einem Jahr von Herthas Jugend dorthin gegangen ist und von Pep Guardiola in höchsten Tönen gelobt wird. Mit ihm hätte man einen modernen Trainer, der auch auf taktischer Ebene auf der Höhe zu sein scheint. Ansonsten hat die 2. Liga jetzt schon gezeigt, dass es genügend Nachwuchstrainer gibt, die sich schnell adaptieren können, weil sie die neuesten Entwicklungen der Fußballwelt verstanden haben und umsetzen können.“
1. FC Nürnberg: Gelingt Klose beim Club die Wende?
Etwas weniger akut scheint zumindest vor dem Duell mit Hertha die Situation beim Club. Aufgrund der positiven sportlichen Entwicklung in der vergangenen Saison und einem wilden Transfersommer ohne nachbesetzten Sportdirektor (Olaf Rebbe ging im Februar 2025 nach Unstimmigkeiten mit Sportvorstand Joti Chatzialexiou) startete Trainer Klose mit ausreichend Kredit in die Spielzeit. Nach dem peinlichen Pokal-Aus gegen Illertissen und fünf Ligaspielen ohne Sieg war dieser allerdings schnell verflogen. Transfermarkt-Pate „Hagenauer“ ordnet die aktuelle Situation am Valznerweiher ein.
1. FC Nürnberg: Wie ist Kloses Standing vor dem Duell mit Hertha?
„Klose hat trotz der aktuellen Krise nach wie vor ein überraschend hohes Standing in Nürnberg. Nach dem Sieg gegen Bochum gab es von der Kurve auch Sprechchöre für ihn. Auch der gemeinsame Jubel der Mannschaft nach den Toren und nach dem Spiel mit ihm hat gezeigt, dass es zwischen Trainer und Team noch stimmt. Es gibt natürlich auch kritische Stimmen, aber die Mehrheit der Fans und im Verein hält ihm die Stange“, so der TM-Experte.
Was sind die Kritikpunkte, die Club-Trainer Klose vorgeworfen werden?
„Es sind vor allem taktische Aspekte. Zu Beginn der Vorbereitung wurde mit einer Dreierkette geplant, für die die Innenverteidigung aber zu langsam war. Im Pokal gegen Illertissen hat man dann zu Halbzeit gesehen, dass die Umstellung auf Viererkette sofort Früchte trug, trotzdem wurde gegen Münster wieder mit der Dreierkette gespielt – und das, obwohl Robin Knoche, der der Hauptgrund für die Dreierkette war, zu diesem Zeitpunkt schon auf die Bank gesetzt wurde. Erst gegen Karlsruhe war dann die Viererkette auch Startformation. Diese verspätete Erkenntnis führte letztlich dazu, dass große Teile der Vorbereitung hergeschenkt wurden. Auch offensiv fehlen teilweise die Ideen, wie man sich Chancen erspielen kann. Die Hauptkritik in Nürnberg richtet sich aber gegen Sportvorstand Joti Chatzialexiou, der den Kader erst in den letzten zwei Tagen des Transferfensters an wichtigen Positionen vervollständigen konnte“, meint „Hagenauer“.
1. FC Nürnberg: Was spricht für, was gegen eine Trennung von Klose?
„Für eine Trennung von Klose würden die taktischen Kritikpunkte und die Ergebnisse sprechen. Auch die Leistungen in den ersten Spielen waren gelinde gesagt furchtbar.“ Gegen eine Trennung spreche in Augen des TM-Experten „viel mehr: Zum einen steht der Kader faktisch erst seit zwei Spielen und in diesen zwei Spielen ist schon eine deutliche Entwicklung zu sehen. Auch der Fußball ist wieder attraktiver. Das erinnert ein bisschen an letzte Saison, als man bei der Niederlage gegen Hannover schon Fortschritte erkannt hatte, die dann über einen glücklichen Sieg gegen Münster bestätigt wurden und danach attraktiver und erfolgreicher Fußball gespielt wurde. Kurioserweise war es damals taktisch die Umstellung von Vierer- auf Dreierkette, die den Ausschlag gegeben hat – heuer könnte es offenbar andersherum sein. Außerdem macht Klose Spieler individuell besser und ist gerade bei jungen Offensivtalenten auch ein Pfund im Transferwettbewerb. Für Stefanos Tzimas war letzte Saison Klose der ausschlaggebende Faktor für den Wechsel nach Nürnberg. Außerdem scheint das Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaft intakt zu sein.“
Wie wahrscheinlich ist es, dass Klose die Saison in Nürnberg übersteht?
„Viel wird von den nächsten Spielen abhängen. Bestätigt sich hier der Aufwärtstrend, dürfte Klose nach menschlichem Ermessen die Saison überstehen. Bleibt der Sieg gegen Bochum eine Eintagsfliege, wird für Klose wohl im Oktober die Luft dünn“, bewertet „Hagenauer“ die Situation bei den Franken.
1. FC Nürnberg: Wer wäre eine Alternative für Klose?
„Alternativen werden momentan kaum genannt, auch weil man mit etablierten Namen auf der Trainer-Position in letzter Zeit keine guten Erfahrungen gemacht hat (siehe Hecking & Weinzierl). Der Club arbeitet mit den Datenexperten von ‚Jamestown Analytics‘ zusammen und hat auf Datenscouting umgestellt. Das soll ausdrücklich auch das Trainerscouting betreffen. Von daher wäre es nicht überraschend, wenn ein unbekannter Name aus dem Hut gezaubert würde. Oder jemand vom DFB, wohin Joti Chatzialexiou ja seine Verbindungen hat. Aus Fan-Sicht wäre auch Andreas Wolf, der aktuell die U21 trainiert, spannend. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob er die nötige Lizenz hat. Aber Plan A ist aktuell weiterhin Miro Klose und das ist bei den Fans größtenteils ebenfalls so“, sagt der TM-Experte.