Solche Debatten, wie sie am 24. September im Leipziger Stadtrat geführt wurden, werden derzeit in fast allen Städten Deutschlands geführt. Die Haushalte laufen aus dem Ruder, die Ausgaben – insbesondere die Sozialausgaben – steigen ungebremst, während die Gewerbesteuereinnahmen sinken. Am Horizont steigt ein Gespenst auf, das mittlerweile Generationen von Politikern und Wählern immer wieder ignoriert haben. Der einzige, der es am 24. September wenigstens beiläufig erwähnte, war Oberbürgermeister Burkhard Jung. Schelte bekam er jedenfalls jede Menge.

Ursprünglich hatte die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen eine Aktuelle Stunde zum Haushalt beantragt. OBM Burkhard Jung packte das Thema dann in seinen Bericht des Oberbürgermeisters.

Manche Redner, vornehmlich AfD-Stadtrat Tobias Keller – bewiesen dann auch, dass sie von Leipzigs Haushaltsproblemen überhaupt nichts begriffen haben. Man kann auf alles das schöne Wort „Ideologie“ draufklatschen, wie es die AfD tut, und jede Investition in die Zukunft (Energiewende, Wärmewende, Mobilität) als „ideologisch“ verteufeln. Aber es ist nur heiße Luft aus einer Fraktion, die zur Leipziger Haushaltsdebatte seit über zehn Jahren nichts Substanzielles beigetragen hat.

Da wurden dann Franziska Riekewald, die für die Linksfraktion sprach, und Anja Feichtinger, die für die SPD-Fraktion sprach, sehr deutlich. Beide wuschen freilich auch OBM Burkhard Jung und Finanzbürgermeister Torsten Bonew den Kopf. Denn die Kommunikation um Leipzigs Haushaltsprobleme war in den letzten Monaten unterirdisch. Nicht nur die um das von Torsten Bonew kurzerhand inszenierte Investitionsmoratorium.

Anja Feichtinger (SPD) im Leipziger Stadtrat am 24.09.25. Foto: Jan Kaefer

Logisch, dass im Grunde fast alle Fraktionen an diesem Tag ihren Unmut darüber äußerten, dass sie in so grundsätzliche Entscheidungen nicht vorher und schon gar nicht transparent eingebunden waren. Denn das Haushaltsrecht ist nun einmal das Hoheitsrecht des Stadtrates.

Was aber nicht nur Dr. Tobias Peter für die Grünen, Franziska Riekewald und Anja Feichtinger feststellten, ist ein aus Sicht der gewählten Stadträte beängstigender Prozess, dass grundsätzliche Haushaltsentscheidungen immer mehr in die Verwaltungsspitze abwandern. Insbesondere zu Torsten Bonew, der sich auch vorwerfen lassen musste, dass er über sein Amt die CDU-Politik der Landesregierung in Leipzig zur Geltung bringen würde.

Was wahrscheinlich überspitzt und nicht ganz zutreffend ist. Denn in den Handlungszwängen stecken längst alle Finanzbürgermeister in Sachsen. Auch wenn das nicht so aussieht und etwa die Landeshauptstadt Dresden scheinbar nur über ein Haushaltsdefizit von 65 Millionen Euro in diesem Jahr debattiert. Und 144 Millionen im nächsten Jahr.

Zusätzlich. Das lassen auch die Schnellschützen des MDR gern weg. Ganz abgesehen davon, dass die Landesdirektion den Dresdner Haushalt schon im Juli genehmigt hat, den Leipziger erst im September. Nur zu Recht kann Torsten Bonew sagen: „Das hat zu lange gedauert.“

Auch Dresden rutscht in die Schuldenaufnahme

Dass Dresden jetzt auch rotiert, hat damit zu tun, dass es 2025 eigentlich noch mit einem Plus im Ergebnishaushalt gerechnet hat. Übrigens genauso wie Leipzig. Aber seine Investitionen kann Dresden auch nur noch über Kreditaufnahmen finanzieren. Die Rücklagen sind aufgebraucht.

„Allerdings wird bereits im Haushaltsjahr 2026 eine Finanzierungslücke in Höhe von rund 239,4 Millionen Euro entstehen. Daher ist die Landeshauptstadt Dresden beauflagt, ihre finanzielle Leistungsfähigkeit durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen und den Fehlbetrag zu vermeiden. Dazu ist insbesondere ein Haushaltsstrukturkonzept“, verordnete die Landesdirektion.

Auch Leipzig hätte mit dem Haushaltsbeschluss vom März im Jahr 2025 ein Plus im Ergebnishaushalt erwirtschaftet. Aber Investitionen leistet Leipzig schon seit 2024 nur noch über Kreditaufnahmen. Und der Grund ist nicht wirklich schlechtes Wirtschaften. Der Grund sind massiv wachsende Sozialausgaben, die von Bund und Land nicht vollständig ausfinanziert werden.

Einige Sozialausgaben, die in Leipzig nicht durch Bundes- und Landesgelder gedeckt sind. Grafik: Stadt LeipzigEinige Sozialausgaben, die in Leipzig nicht durch Bundes- und Landesgelder gedeckt sind. Grafik: Stadt Leipzig

Aber nicht nur.

Noch ist ja eine Linke-Anfrage zu dieser Lücke bei den Finanzierungen von Pflichtaufgaben noch nicht komplett beantwortet. Das Finanzdezernat hat diese Zahlen bislang noch nie zusammengetragen. Einen Ausschnitt zeigte am 24. September Torsten Bonew (siehe oben).

So sind es bei den Hilfen zur Pflege 40 Millionen Euro, bei den Zuweisungen für den KSV 38 Millionen Euro, beim Wohngeld 25 Millionen Euro, bei der Asylunterbringung 11 Millionen Euro und bei den Kosten der Unterkunft 53 Millionen Euro.

Alles Summen, die in Leipzig deutlich höher sind als in Dresden. Insgesamt 167 Millionen Euro, die sich Bonew eigentlich vom Freistaat ausgeglichen wünscht.

Nur kennen die Sozialausgaben mittlerweile nur noch eine Richtung: Sie steigen immer weiter. Schock für Bonew und Jung im Sommer: weitere 25 Millionen Euro Steigerung bei den aktuellen Sozialausgaben der Stadt. Womit dann das rechnerische kleine Plus von 20 Millionen Euro im Ergebnishaushalt schon mal Makulatur war. Und dann noch Nachrichten von der Gewerbesteuerfront: Zum Stand Sommer nahm Leipzig 75 Millionen Euro weniger ein. Das Minus schnellte auf 100 Millionen Euro.

Wie sich das Einnahmedefizit von Leipzig 2025 verstärkt hat. Grafik: Stadt LeipzigWie sich das Einnahmedefizit von Leipzig 2025 verstärkt hat. Grafik: Stadt Leipzig

Mitten hinein in den monatelang Genehmigungsprozess der Landesdirektion, die am 22. September den Leipziger Haushalt nur mit Auflagen genehmigte. Vorher schon hatte Bonew sein umstrittenes Investitionsmoratorium verkündet. Logisch, dass nicht nur die Grünen da genauer wissen wollten, was alles unter das Moratorium fällt und was nicht. Eins jedenfalls wolle er nicht, sagte Torsten Bonew in seiner Präsentation der Leipziger Haushaltslage: Die Stadt kaputtsparen.

Bald geht es nicht nur um 100, sondern 200 bis 300 Millionen Euro Einsparungen

Nur: Wo sind die Freiräume, wenn die Einnahmen sinken und die von Leipzig nicht beeinflussbaren Ausgaben aus dem Ruder laufen? FDP-Stadtrat Sven Morlok bezweifelte aus guten Gründen, dass Leipzig sein Ausgabedefizit bis 2030 in den Griff bekommen würde. Auch Bonew zeigte sich deutlich skeptisch. Denn wenn die Entwicklung so weitergeht, wird Leipzig dann auch seine Kredittilgungen nicht mehr stemmen können.

Sven Morlok (Freie Fraktion/ FDP) im Leipziger Stadtrat am 24.09.25. Foto: Jan Kaefer

Und wie gesagt: Es geht den Kommunen deutschlandweit so. Ihr Defizit stieg allein von 2023 auf 2024 von 6,3 auf 25 Milliarden Euro. 2025 wird es wohl 37 Milliarden Euro erreichen. Logisch, dass Burkhard Jung im Deutschen Städtetag darum ringt, dass die deutschen Sozialsysteme endlich reformiert werden.

In einem Satz merkte er an, was da tatsächlich falsch läuft. Und zwar nicht erst seit 2021, seit Leipzig in sein strukturelles Haushaltsdefizit hineinläuft. Sondern mit ganz langem Vorlauf, bis in die 1990er Jahre hinein. Drei Jahrzehnte verhinderter Reformen bei Rente, Pflege und so weiter.

Es könne nicht sein, dass ein Mensch, der 40 Jahre gearbeitet habe, dann nicht mal das Geld hat, seine Pflegekosten zu bezahlen, merkte Jung an. Das sollte eigentlich die Ausnahme sein, dass so ein Mann zum Sozialamt gehen muss, damit die Kommune seine Pflege bezahlt.

Aber die Ausnahme ist zur Regel geworden. Gerade in Ostdeutschland. Immer mehr Menschen gehen in Rente und sind auf finanzielle Hilfe angewiesen. Die Pflegekosten können sich die Allerwenigsten leisten. Hier schlägt auch die in Sachsen über Jahrzehnte geübte Niedriglohnpolitik zu Buche.

Niedrige Löhne gleich mickrige Rente gleich nicht leistbare Pflegekosten. Und die Welle rollt gerade erst an. Nach 30 Jahren politischer Verweigerung schlägt das Erwartbare jetzt bei den Kommunen durch. Die falsche Steuer-, Renten- und Lohnpolitik der Vergangenheit rächt sich. Unbarmherzig und berechenbar.

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) im Leipziger Stadtrat am 24.09.25. Foto: Jan Kaefer

Für Leipzig bedeutet das schon im nächsten Doppelhaushalt 2027/2028, dass nicht nur 100 Millionen Euro irgendwo eingespart werden müssen, sondern 200 bis 300 Millionen. Da hat Sven Morlok recht. Die richtig harten Debatten kommen erst.

Zwei Jahre Galgenfrist

Und niemand weiß bislang, wo eine Stadt wie Leipzig derartige Größenordnungen einsparen kann. Ein Investitionsmoratorium ist dabei die leichteste Übung, genauso wie die Haushaltssperre, die nach Aussage von Torsten Bonew ab dem 6. Oktober gilt.

Denn da kann man immer Investitionen streichen, vertagen, verschieben. Auch wenn das – wie Franziska Riekewald feststellte – das Gegenteil von Wirtschaftsförderung ist. Denn das sind alles Aufträge, die der lokalen Wirtschaft fehlen werden.

Aber die steigenden Ausgaben liegen ja so gut wie alle im Bereich der Pflichtaufgaben. Da kann Leipzig nichts kürzen oder verschieben. Der Zähler tickt unbarmherzig. Also geht es an die freiwilligen Ausgaben und das Personal.

Wie sich Zinsen und Tilgung in Leipzig in den nächsten Jahren entwickeln werden. Grafik: Stadt LeipzigWie sich Zinsen und Tilgung in Leipzig in den nächsten Jahren entwickeln werden. Grafik: Stadt Leipzig

Und da werden die Fetzen fliegen, weil es da tatsächlich um die Funktionsfähigkeit der Stadt geht. 500 Stellen kann man streichen, das scheint möglich. Und was dann? Wenn die Sozialausgaben weiter steigen und ein Defizit erzeugen, das Leipzig auch mit Krediten nicht mehr abfedern kann?

Burkhard Jung sieht nur noch zwei Jahre Handlungsspielraum, in denen der Bund die Sozialsysteme grundlegend reformieren muss. Mehr Spielraum hat Leipzig nicht. Danach geht nichts mehr, wird es die Stadt nicht mehr schaffen, auch nur andeutungsweise einen gesetzmäßigen Haushalt aufzustellen.

Aber man müsse wenigstens versuchen, die eigenen Möglichkeiten zur Konsolidierung zu nutzen, so Jung, um überhaupt noch Handlungsspielräume zu bewahren. Ansonsten läuft die Uhr. Und zwei Jahre, das ist sportlich für einen Berg von Sozialreformen, an die sich neun Bundesregierungen nicht gewagt haben. Von der Steuerreform ganz abgesehen, die noch viel dringender ist, wie Franziska Riekewalkd feststellte.