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Brände in russischen Ölraffinerien, Terminals, Öldepots – ein Feuer für die Freiheit will die Ukraine entzünden. Doch Drohnen als Zunder taugen wenig.
Kiew – „Die wirksamsten Sanktionen – diejenigen, die am schnellsten wirken – sind die Brände in Russlands Ölraffinerien, Terminals und Öldepots“, sagt Wolodymyr Selenskyj. Die Washington Post (WP) zitiert den Präsidenten der Ukraine aus einer seiner Videobotschaften während des Ukraine-Krieges. Jetzt hat die Ukraine offenbar wieder mitten hineingefunkt ins Herz von Wladimir Putins kriegswichtiger Wirtschaft.
Effekt der Drohnenattacken der Ukraine: Ein Mann trägt ein Fass Treibstoff an einer Leto-Tankstelle, während auf der russischen Republik Krim Benzinknappheit herrscht. Republikchef Sergei Aksyonov erklärte in einer Videobotschaft, dass einige Ölraffinerien physisch nicht funktionstüchtig seien, was zu den Engpässen beitrage. © IMAGO/RIA Novosti
In der Region Krasnodar will die Ukraine eine Ölraffinerie mit Drohnen angegriffen haben, hat der ukrainische Generalstab gemeldet, so ntv. Dort soll hauptsächlich Benzin, Diesel und Flugbenzin produziert worden sein – Stoff, der den russischen Terror befeuert. „Die Raffinerie wird zur Versorgung der Besatzungsarmee der Russischen Föderation genutzt“, teilt der Generalstab laut ntv mit „Eine erhebliche Einschränkung der russischen Ölindustrie bedeutet eine erhebliche Einschränkung des Krieges“, hatte Wolodymyr Selenskyj seine Videobotschaft ergänzt, so die WP. Ihm zufolge habe ein Angriff auf das russische Ölterminal Primorsk in der Ostsee am 12. September „,erheblichen Schaden‘“ verursacht, der ,für den Feind spürbar‘ gewesen sei“, zitieren ihn die WP-Autoren David L. Stern, Catherine Belton und Natalia Abbakumova.
Russland effizient im Vertuschen: „Nur drei Stunden später waren all diese Beweise verschwunden“
Die allerdings einräumen, dass wenige bis gar keine Angaben zu Schäden an der russischen Kriegs-Infrastruktur unabhängig nachzuweisen seien. Die ukrainischen Meldungen sind insofern zunächst Propaganda über die Potenz ukrainischer Langstrecken-Angriffe über die Fronten hinweg. Auch bleibt abzuwarten, inwieweit russische Vorstöße durch Treibstoffknappheit verlangsamt würden. Oder dass durch Angriffe auf Fabriken Material knapp geworden wäre. „Einmal erfuhren die Ukrainer durch Satellitenbilder, dass ihre Drohnen einen Militärflughafen erfolgreich getroffen hatten. Sie konnten Trümmer, Ölverschmutzungen und andere Beweise für einen erfolgreichen Angriff sehen. Nur drei Stunden später waren all diese Beweise verschwunden: Die Russen hatten den Flugplatz geräumt und das Rollfeld gereinigt“, schreibt Anne Applebaum.
Im Magazin The Atlantic zeichnet die Autorin allerdings ein eindeutiges Bild: Russlands Ölexporte seien auf ihrem niedrigsten Stand seit Kriegsbeginn, und den Russen gehe im Inland das Öl aus. Ihr zufolge habe die Ukraine allein seit August dieses Jahres 16 von 38 Raffinerien getroffen, manche seien sogar mehrfach angegriffen worden. Die Genauigkeit der Angriffe hätten zugenommen, die Luftabwehr der Russen sei zu grobmaschig, um alle wirtschaftlich bedeutsamen Ziele zu schützen – das würde tatsächlich Effekte zeitigen, behauptet Wladislaw Inozemzew. Allerdings andere als die beabsichtigten, schreibt der russische Ökonom für die „Wissensplattform Russian And Eurasian Studies“ der Universität Leiden. „Die Auswirkungen der ukrainischen Angriffe sind erheblich.“
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Wie die Nachrichtenagentur Reuters berechnet haben will, hätten „ukrainische Angriffe auf zehn Anlagen mindestens 17 Prozent der russischen Raffineriekapazität oder 1,1 Millionen Barrel pro Tag lahmgelegt. Inozemzew geht eher von 20 Prozent aus. Seit Mai 2025 hätten mehr als 300 unabhängige Einzelhandelsunternehmen schließen müssen, so der Ökonom: „Der Treibstoffmangel hat schwerwiegende psychologische Auswirkungen auf die russische Bevölkerung. Er verdeutlicht die Folgen des Krieges und widerlegt Putins Beteuerungen, ,alles laufe nach Plan‘.“ Allerdings scheint Russland diese Verluste kompensieren zu können. Wie er schreibt, geht Inozemzew davon aus, „dass die aktuelle Krise den Kreml nicht zu einer Änderung seiner Militärpläne zwingen oder die russische Wirtschaft in eine Rezession stürzen kann“. Andererseits fehlt den Bauern Treibstoff für Ernte, Anbau, Viehwirtschaft.
„Die ,spezielle Militäroperation‘ verschlingt weniger als acht Prozent des russischen Bruttoinlandsproduktes, wovon mindestens zwei Prozent in Form von Militärlöhnen und Prämien an die Bürger zurückfließen und so zur Aufrechterhaltung der Verbrauchernachfrage beitragen.“
Tatsächlich verweist Inozemzew auf die Hoffnung, die viele Analysten gehegt hatten: Dass sich Russland aufgrund der Verluste an Mensch, Material, Munition oder Ressourcen würde in Verhandlungen zwingen lassen, wenn der Preis für Russland in unerschwingliche Höhen zu treiben sei. Wovon die Ukraine noch weit entfernt zu sein scheint. Sehr weit vielleicht. „Die Ukraine hat mit ihrer Fokussierung auf die russische Ölindustrie tatsächlich den Nagel auf den Kopf getroffen. Ob diese Angriffe Russland jedoch ernsthaften wirtschaftlichen Schaden zufügen werden, bleibt ungewiss“, schreibt der Ökonom ernüchtert. Gegenüber Euronews hatte er erst kürzlich seine Vorstellungen von Angriffen auf Raffinerien ausgebreitet.
Selenskyjs Erfolgs-Indikator: Eine Ölraffinerie „würde wochenlang brennen“
Wenn eine Drohnenfabrik getroffen würde, wäre der Schaden binnen kürzester Zeit behoben, und die Produktion starte von Neuem. „Aber wenn man eine Ölraffinerie trifft, sind die Folgen viel gravierender, sie würde wochenlang brennen.“ Zudem bestünden seines Wissens nach die Förderanlagen aus europäischen wie US-amerikanischen Teilen – die seien nur schwer durch chinesische Pendants zu ersetzen. Fakt ist, dass Russlands militärische Hartleibigkeit kaum unter den immensen Verlusten gelitten hat. Möglicherweise aber preist der russische Diktator Wladimir Putin aber auch schon ein, dass seine Reserven zur Neige gehen – was die Moscow Times (MT) aktuell veröffentlicht.
Für die Aufrechterhaltung der bisherigen Menge an gefördertem und exportiertem Öl seien „nennenswerte Investitionen, technologische Durchbrüche, regulatorische Änderungen und die Aufhebung westlicher Sanktionen“ notwendig, so das Magazin. Ansonsten „könnte Russland in den kommenden Jahrzehnten einen rapiden Rückgang seiner Ölproduktion erleben und im schlimmsten Fall vollständig vom globalen Ölmarkt verschwinden“, geht hervor aus der „Energiestrategie 2025“, die Ministerpräsident Michail Mischustin bereits im Frühjahr vorgestellt hatte.
Demnach müssten 1.500 als unverzichtbar deklarierte Teile an Förderanlagen ersetzt werden. Von den geschätzt 31 Milliarden Tonnen nachgewiesener Ölreserven seien der Strategie zufolge zehn Milliarden Tonnen nur unwirtschaftlich zu verarbeiten; insofern sei die geschätzte Produktionszeit des gesamten Reservoirs von 65 Jahren viel zu optimistisch, so die MT.
Putin in der Bredouille: „Russlands Ölreserven reichen nur noch für etwas mehr als 20 Jahre“
„Russlands Ölreserven reichen nur noch für etwas mehr als 20 Jahre“, titelt die MT folgerichtig. „Stressszenarien“ nennt das Medium die Situationen, auf die Russland zusteuert. Aufgrund schwindender Reserven, maroder Fördertechnik und verschärfter Sanktionen prophezeit Michail Krutikhin einen Rückgang der russischen Ölfördermenge um zwei Drittel pro Jahr bis auf 171 Millionen Tonnen, so der Wirtschaftsjournalist in der Moscow Times. Diese „Stressszenarien“ werden allerdings in Russland weniger kritisch betrachtet, wie die BBC angedeutet hat. Als „absolute Lüge“ hat der russische Ökonom Jewgeni Nadorschin jedwede Behauptung eines wirtschaftlichen Kollapses Russlands abgetan. Ihm zufolge sei zwar ein Abschwung zu erwarten, der jedoch falle „milde“ aus.
Geld würde einfach umgeschichtet von beispielsweise der wirtschaftlichen oder zivilen Infrastruktur in kriegswichtige Sektoren „Nichts davon dürfte Russlands Fähigkeit, Krieg zu führen, kurzfristig ernsthaft beeinträchtigen“, zitiert die BBC András Tóth-Czifra. „Aber es könnte die Fähigkeit der russischen Wirtschaft, in den kommenden Jahren zu wachsen oder sich zu diversifizieren, beeinträchtigen“, so der ungarische Politikanalyst. Wie so oft in diesem schwärenden Krieg: Die ukrainischen Aktivitäten sind erfolgreich und zeigen Wirkung – aber in einem weitaus geringeren Maße als erhofft. „Die Frage ist, ob die Ukrainer in der Lage sein werden, das Tempo, den Umfang und die Intensität aufrechtzuerhalten“, sagt Sergey Vakulenko gegenüber der Washington Post bezüglich der Drohnenangriffe auf Industrieanlagen.
„Wenn sie das können und die Russen ihre Luftabwehr nicht verstärken können, könnte das Ergebnis zu ihren Gunsten ausfallen“, so der Analyst vom „Russia Eurasia Center“ des US Thinktanks „Carnegie Endowment for International Peace“. Allerdings ist Zeit der bestimmende Faktor, wie Vladislav Inozemtsev für den RAAM betont – ihm zufolge die russische Bevölkerung immer noch an eine „spezielle Militäroperation“ glaube, weil sie „Krieg“ mit dem Zweiten Weltkrieg assoziieren. Demnach sei Russlands Wirtschaft weit zurück hinter dem, was im Westen als „Kriegswirtschaft“ beurteilt werde: „Die ,spezielle Militäroperation‘ verschlingt weniger als acht Prozent des russischen Bruttoinlandsproduktes, wovon mindestens zwei Prozent in Form von Militärlöhnen und Prämien an die Bürger zurückfließen und so zur Aufrechterhaltung der Verbrauchernachfrage beitragen.“ (Quellen: Wissensplattform Russian And Eurasian Studies, Carnegie Endowment for International Peace, Reuters, Washington Post, ntv, The Atlantic, Euronews, Moscow Times, BBC) (hz)