Angefangen hatte alles mit einer Frage: Spanien oder Mexiko? „Ich hatte schon Lust auf ein bisschen mehr Abenteuer“, sagt Debora. Also ging sie nach Mexiko, um dort den zweiten Teil ihres Bachelorstudiums anzutreten.

Eine Entscheidung, die ihr Leben nachhaltig prägen sollte. Denn wie es der Zufall wollte, landete sie an der gleichen Universität wie Corazón. Das war 2009. Zwei Jahre später heirateten die beiden.

Heute haben sie zwei Töchter und leben in Fellbach – doch nicht mehr lange. Die Kisten sind gepackt, das Visum für Debora ist organisiert, inzwischen sind die Möbel in Deboras Heimat bei Chemnitz untergebracht. Sie wandern aus. Nach Mexiko.

Familie aus Fellbach: Im Winter flüchten sie nach Mexiko

Nach ihrer Hochzeit 2011, zogen sie nach Stuttgart für das Masterstudium. Später dann nach Fellbach in eine größere Wohnung. Dort bekamen sie die Töchter Valentina und Paulina. Corazón arbeitete bei Mercedes-Benz, Debora blieb bei den Kindern zuhause. In den kalten deutschen Wintern flüchteten sie oft nach Mexiko, um Sonne zu tanken und Zeit mit Corazóns Familie zu verbringen. In der Regel vier Wochen, während der Elternzeit waren es auch mal siebeneinhalb Wochen.

So fühlte die Familie sich lange wohl in Fellbach. Doch seit zwei, drei Jahren beschäftigte sie der Gedanke: Wie wäre es, mal in Mexiko zu leben? „Ich glaube, manche Leute haben gedacht, wir machen es nie“, sagt Debora. So lange hätten sie darüber gesprochen, und dann den Plan wieder ein bisschen angepasst, geändert, verschoben – aber nie verworfen. Dann passierten zwei Dinge: Nachdem sich schon länger angebahnt hatte, dass Corazóns Job nicht so sicher bleiben würde, wie er es bisher war, unterschrieb der 39-Jährige im Juli die Kündigung und nahm eine Abfindung mit.

Erst im September sind die Erstklässler in Baden-Württemberg eingeschult worden – bevor Tochter Valentina in die Schule muss, wollten Debora und Corazón mit den Kindern weg. Foto: picture alliance / dpa

Und: Für die jetzt siebenjährige Valentina nahte die Schulzeit. „Wenn ein Kind hier in die Schule geht, bindet einen das noch mehr an einen Ort“, sagt Debora. Sie wollten ihre Tochter ungern einschulen und ein paar Monate später auswandern. Also beschlossen sie, gleich zu gehen. Im August buchten sie den Flug. Mitte Oktober geht es los.

Ihr Plan ist, die Kinder in Mexiko selbst zu unterrichten. In Deutschland wäre das nicht möglich. Hier müssen Kinder wegen der Schulpflicht zwangsläufig in eine Schule gehen – Homeschooling ist (im Normalfall) verboten. So streng sind viele andere Länder nicht: Oftmals ist zwar das Lernen Pflicht, aber auch Homeschooling oder alternative Bildungseinrichtungen sind in Ordnung, solange bestimmte Standards eingehalten werden. Zwar gibt es laut der Verfassung auch in Mexiko eine Schulpflicht, die wird laut Informationen unserer Zeitung aber nicht wie in Deutschland streng verfolgt.

Warum die Schulpflicht für die Auswanderer-Familie ein Grund ist, zu gehen

Wir fühlen uns durch die Schulpflicht schon eingeschränkt“, sagt Debora. Ein Grund sind die vorgeschriebenen Ferienzeiten: Sie wollen ihren Kindern ermöglichen, ihre beiden Herkunftsländer intensiv zu erleben, nicht nur in den Schulferien.

Ein weiterer Grund: Sie finden freies, nach den Interessen der Kinder geleitetes Lernen besser als fixen Schulunterricht. „Kinder wollen ja lernen“, sagt Debora. Es sei angeboren, dass sie neugierig sind und Fragen stellen. „Wenn man dem in dem Moment nachgeht, wo das Kind dafür offen ist, saugt es den Inhalt nur so auf“, sagt die 36-Jährige. „So kommt es einen Riesenschritt weiter, als wenn man dem Kind ein Heft kauft und zu bestimmten Zeiten mit ihm lesen üben will.“

Sie habe oft Dinge erklärt, wenn sie mit den Kindern unterwegs war. Hier ein Wort, das sie lesen lernten, dort ein paar Zahlen zum Nachrechnen. „Lernen ist unserer Meinung nach nicht auf einen Klassenraum oder ein Schulbuch begrenzt“, sagt Debora. „Das kann man überall.“

Damit hat die Familie schon Erfahrung. Auch bisher waren Valentina und Paulina nicht in der Kita oder im Kindergarten. Eine bewusste Entscheidung. „Wir haben es sehr zu schätzen gelernt, den Tagesablauf frei gestalten zu können“, sagt die Mama, „und auch die Einflüsse, denen die Kinder ausgesetzt sind, oder ihre Kontakte bewusst zu gestalten.“ Oft denken andere, die Kinder hätten ohne Kita und Kindergarten keine Freunde und säßen nur zuhause herum. „Wir haben das ganz anders erlebt“, sagt Debora.

Fast jeden Tag haben sie Termine. Spielgruppen, Chor, Kunstschule, ein Nachmittag im Park, bei dem die Mama Sport macht und die Kinder spielen. So sei ein richtiger Freundeskreis entstanden. Viele Freunde betreuen ihre Kinder ebenfalls selbst. Und auch zu Arztbesuchen oder aufs Rathaus hat Debora die Kinder eben mitgenommen. „Viele denken, das geht nicht – aber es geht“, sagt sie. Zeit für sich habe sie in den vergangenen Jahren zwar nur selten gehabt. Aber einen kleinen Onlineshop mit mexikanischen Produkten kann sie nebenher betreiben. Sie sagt: „Wir haben das alles immer als sehr bereichernd empfunden“.

Wie genau sie die Lernzeit ihrer Kinder gestalten wollen, haben Debora und Corazón noch nicht festgelegt. „Ich habe mich schon belesen und bei anderen Familien erkundigt, die ihre Kinder zuhause beschulen“, sagt Debora. Die meisten hätten erst einmal Zeit gebraucht, um eine für sich passende Methode zu finden. „Es gibt verschiedene Apps, Fernschulen, Material, das man bestellen kann“, sagt Debora. So etwas könne sie sich als Anregung gut vorstellen.

Ihr Plan ist, in Mexiko zunächst bei Corazóns Eltern unterzukommen, und sich dann umzuschauen, wo sie leben wollen. „Wir probieren mal eine Stadt aus, vielleicht am Meer, und dann probieren wir eine andere aus“, sagt Debora. Mit Homeschooling und Homeoffice. Denn auch Corazón will sich in Mexiko einen Job suchen, den er zu hundert Prozent von zuhause machen kann. So will die Familie sich ihren Freiraum schaffen.

Vielleicht geht es auch noch ganz woanders hin

Denn auch wenn sie primär in Mexiko leben, wollen sie weiterhin regelmäßig nach Deutschland kommen. Im Sommer. Und wer weiß – wenn es sie später noch woanders hinzieht, sei auch das nicht ausgeschlossen, sagt Debora. „Wir mögen das Ortsunabhängige.“

Dass die Wahl jetzt auf Mexiko fiel, war ein Stück weit vorprogrammiert – immerhin kommt der Papa von dort. Die Familie hat das Land aber auch unabhängig davon als kinderfreundlich erlebt. Etwa, weil Kinder dort einfach dazugehören und auch mal laut sein dürfen, sagt Debora. Wenn sie bei ihren bisherigen Aufenthalten medizinische Hilfe brauchten, seien sie und die Kinder bisher immer versorgt worden. Machen sie sich Sorgen wegen der Sicherheit? „Nein“, sagt Corazón. „Klar muss man aufpassen, aber es gibt genügend Familien und Kinder, die dort leben.“ Debora ergänzt: „Manche Sachen, die man hier macht, würde man dort vielleicht nicht machen“. Aber sie sind ja auch nicht ganz neu im Land.

Das ist der Plan. Jetzt gilt es erst einmal, fertig zu packen und sich von den Freunden zu verabschieden. „Im Moment empfinde ich es schon als Befreiung, so viel Kram loszulassen“, sagt Debora. Gleichzeitig sei ein bisschen Wehmut dabei, aus der Wohnung auszuziehen, in der sie so lange als Familie gewohnt haben.

Auch die Kinder sind irgendwie traurig, dass sie nicht mehr hier wohnen werden, sagt Debora. Sicherlich müssten sie sich nun umgewöhnen, das Essen neu ausprobieren, zum Beispiel. Aber bisher hätten sie sich immer gut eingefunden und schnell Freundschaften geschlossen. Valentina spricht gut Spanisch, die vierjährige Paulina versteht alles. „Das geht bei Kindern ja schnell“, sagt Corazón. Er freut sich natürlich, zurück nach Mexiko zu ziehen. Auf seine Familie und auf das Essen ganz besonders.