Ist es Miriam Scherff oder ist es Matthias Nocke? Was die beiden in ihrer Politik unterscheidet, wissen die Leserinnen und Leser der Westdeutschen Zeitung spätestens seit Freitag, als beide in großen Interviews Stellung zu den großen Fragen bezogen haben, vor denen Wuppertal steht. Es sind gewaltige Aufgaben. Es sind Hürden, die eine finanziell und strukturell gebeutelte Stadt vermeintlich nicht überwinden kann. Es muss aber doch gehen und es geht. Dafür muss die neue Rathausspitze wichtige Kriterien erfüllen. Das Amt verlangt die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, es erfordert große Führungsqualität, Verlässlichkeit, Beharrlichkeit und größte Moderationsfähigkeit, Geschick darin, über Parteigrenzen hinweg Bündnisse zu schmieden – wenn schon nicht dauerhaft, dann zumindest dafür, die wichtigsten Themen zu bearbeiten, die wichtigsten Fragen zu beantworten. Für Selbstverständnis und Lebensgefühl etwa braucht Wuppertal ein anderes Konzept, vor allem für die Elberfelder Innenstadt. Die Dinge einfach laufen zu lassen, hat sich als falsch erwiesen, das ist seit Langem unübersehbar. Wuppertal braucht Wirtschaftswachstum, damit Menschen aus dem Sozialsystem in Arbeit kommen können, zum eigenen Nutzen, aber auch zur Entlastung der Stadtfinanzen. Wuppertal braucht die Umsetzung seiner Leuchtturmprojekte Pina Bausch Zentrum, Bundesgartenschau und zirkulär errichtete Eventarena. Sie sind kein Schmuck, nicht die Befriedigung bestimmter mehr oder weniger großer Interessengruppen. Sie sind ein Bekenntnis dazu, dass diese Stadt überzeugt davon ist, eine Zukunft zu haben. Dieses Signal sendet nach außen wie nach innen. Es ist überlebenswichtig für Wuppertal. Das klingt so dramatisch, wie es ist. Deshalb kommt es darauf an, wer an der Spitze des Rathauses steht. Und doch ist das nicht das allein Wichtige.
Nach der Wahl beginnt die Arbeit. Das ist für Amts- und Mandatsträger geübte Praxis. Für Wählerinnen und Wähler leider noch nicht. Bei den meisten erschöpft sich die Ausübung von Demokratie darin, auf Papier Kreuze hinter Parteikürzeln und Namen zu machen. Mit mehr sind Bürgerinnen und Bürger im Grunde nicht beauftragt. Und über viele Jahrzehnte hat das ja auch gereicht. Aber die Zeiten sind andere geworden. Die Aufgaben der Politikerinnen und Politiker wiegen heute schwerer denn je, und sie treffen auf Personal, das anscheinend nicht immer entscheidungssicher ist oder dem es einfach nicht gelingen will, über den eigenen Parteischatten zu springen, um im Sinne aller vernünftige, pragmatische Wege zu beschreiten.
Deshalb ist es dringend geboten, Demokratie etwas anders zu interpretieren. Deshalb sollte Demokratie heute über die Wahlentscheidung an Sonntagen hinausgehen. Politik braucht konstruktive Begleitung, sie braucht Korrektiv. Deshalb sind Wählerinnen und Wähler eigentlich aufgefordert, die Parteien und Personen nicht aus den Augen zu lassen, denen sie ihre Stimmen gegeben haben. Das heißt: Hinzugehen und an Wahlversprechen sowie an Bedürfnisse beispielsweise im eigenen Wohnquartier zu erinnern, kann zu einer besseren, zielorientierteren und erfolgreicheren Politik führen. Ja, das ist natürlich mit Arbeit verbunden, und wer als Journalist genau dafür bezahlt wird, hat leicht reden. Aber die Zeiten sind so, dass Demokratie von interessierten Kreisen grundsätzlich infrage gestellt wird. Und seriöse Medien sind allein nicht mehr durchgängig in der Lage, den absurden Kampagnen, dem politischen Wahnsinn in den sozialen Medien genügend entgegenzusetzen. Deshalb ist der Kampf für die Demokratie und die Forderung nach besserer Politik und besseren Politikern inzwischen eine gesellschaftliche Aufgabe geworden. Sie ist dann lösbar, wenn sich viele Bürger dazu bereitfinden, Politik in ihrer Stadt, kritisch, aber konstruktiv und wertschätzend zu begleiten. Das kostet ein paar Stunden im Monat, aber den Versuch ist es allemal wert. Weiter wie bisher ist auf die Dauer garantiert anstrengender.