Bei Borussia Mönchengladbach sind die Sympathien klar verteilt. Als der Fußball-Bundesligist am Samstagabend gegen Eintracht Frankfurt zunächst eine Stunde lang desolat spielte und sich wehrlos in ein Debakel fügte, skandierten die meinungsführenden Fans des neuen Tabellenletzten auf der Nordtribüne schon weit vor dem Gegentreffer zum 0:6-Tiefpunkt in der 47. Minute: „Virkus raus!“ Als die Mannschaft anschließend Charakter zeigte und gegen abbauende Frankfurter im Rahmen eines respektablen Endspurts immerhin noch ein Endergebnis von 4:6 erreichte, skandierten die Fans anerkennend: „Eugen Polanski!“

Roland Virkus, 58, ist bei der Borussia seit dreieinhalb Jahren der sportlich Verantwortliche und für viele das Gesicht des Gladbacher Niedergangs. Polanski, 39, ist seit zwei Spielen Interimstrainer mit der Chance auf Festbeschäftigung und für viele die personifizierte Hoffnung auf bessere Zeiten. Für Gladbachs 0:6-Debakel in den ersten 50 Minuten gegen Frankfurt wäre demnach Virkus verantwortlich. Für Gladbachs 4:0-Endspurt in der letzten halben Stunde wäre es Polanski.

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:„Ich denke, sie sind zufrieden mit mir“

Er trifft und trifft und trifft und hält eine Dankesrede wie bei der Oscar-Nacht. Harry Kane ist auch gegen Bremen der Spieler des Abends. Und ganz beiläufig erwähnt er die Möglichkeit einer Vertragsverlängerung in München.

SZ PlusVon Philipp Schneider

Virkus sagte am Samstagabend, Polanski werde am kommenden Sonntag im Heimspiel gegen den SC Freiburg auf jeden Fall noch einmal auf dem Trainerstuhl am Spielfeldrand sitzen dürfen, ehe man anschließend in der zweiwöchigen Länderspielpause sehen werde, wie es weitergeht. Ob vergleichbare Überlegungen in der zweiwöchigen Länderspielpause auch für den Sportgeschäftsführer Virkus gelten, ist Gegenstand von Spekulationen. Dafür wäre der Aufsichtsrat der Borussia VfL 1900 Mönchengladbach GmbH zuständig, der sich nach Heimspielen aber nicht im Kabinengang erklärt.

Gladbach hat von seinen bislang fünf Saisonspielen drei verloren und keines gewonnen. Saisonübergreifend hat die Mannschaft seit zwölf Spielen nicht mehr gewonnen. Der letzte Bundesligasieg, ein 1:0 gegen RB Leipzig, datiert vom 29. März. Als Gladbach zuletzt einmal zwölf Bundesligaspiele nacheinander nicht gewonnen hatte, trat mitten in der Saison 2006/07 der Trainer Jupp Heynckes zurück.

Gladbach hat schon jetzt Probleme, die man in der wochenlangen Sommerpause besser hätte lösen können

Zumindest aktuell tritt bei Gladbach aber niemand zurück. Den Trainer Gerardo Seoane hatte der Klub suspendiert, Sportchef Virkus sagte am Samstagabend: „Der Trainer ist weg, jetzt fokussiert sich natürlich alles auf den sportlich Verantwortlichen.“ Damit könne er umgehen. „Als sportlich Verantwortlicher stelle ich mich natürlich, aber auch die Jungs müssen sich stellen.“ Virkus will nicht exklusiv zur Verantwortung gezogen werden: „Ich weiß, dass immer der eine Schuldige gesucht wird, aber es gibt nie nur den einen Schuldigen – wir sitzen alle in einem Boot.“

Dieses Boot wirkte nun recht morsch und drohte zu sinken. Nachdem Robin Koch (11. Minute), Ansgar Knauff (15.), Jonathan Burkardt (35.), Farès Chaïbi (39.), Can Uzun (45+1.) und noch einmal Koch (47.) die Frankfurter in Führung geschossen hatten, schien das Schicksal des Borussia-Interimstrainers Polanski bereits besiegelt. Den Trainer, der eines der größten 50-minütigen Debakel der Vereinshistorie verantwortete, hätte man unmöglich behalten können. Doch dann erlebte dieses Debakel eine Art Wende. „In der Pause war’s heftig“, berichtete hinterher der Kapitän Rocco Reitz. Der Stürmer Haris Tabakovic verriet: „In der Pause haben wir auch über Stolz und Ehre gesprochen.“

Toreschießen leicht gemacht: Eintracht-Verteidiger Robin Koch darf sich bis zur 6:0-Führung gleich zweimal in die Türschützenliste gegen Mönchengladbach eintragen.Toreschießen leicht gemacht: Eintracht-Verteidiger Robin Koch darf sich bis zur 6:0-Führung gleich zweimal in die Türschützenliste gegen Mönchengladbach eintragen. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Nicht Stolz und Ehre, aber mit ihrer Hilfe die Spieler Jens Castrop (72.), Tabakovic (78.), Yannik Engelhardt (83.) und Grant-Leon Ranos (90+9.) haben für die Gladbacher in der letzten halben Stunde noch vier Tore geschossen. Das 4:6-Endergebnis hat die Tür für den Trainer Polanski vielleicht doch noch einmal geöffnet. „Von der ersten bis zur 60. Minute war es desolat“, sagte Virkus, „aber was dann passiert ist, gibt ein Fünkchen Hoffnung, daraus kann etwas entstehen.“

Tabellenletzter waren die Gladbacher zuletzt vor genau zehn Jahren: am fünften Spieltag der Saison 2015/16. Damals sind sie unter dem kollektiven Lieblingstrainer Lucien Favre mit fünf Niederlagen gestartet, woraufhin Favre zurücktrat. Anschließend übernahm wie jetzt auch der Trainer der zweiten Mannschaft. Der hieß damals nicht Polanski, sondern André Schubert, und führte Gladbach noch in derselben Saison auf Platz vier sowie in der Qualifikation dann sogar in die Champions League.

Auch das wirft man den Verantwortlichen bei der Borussia vor: dass sie zu harmoniesüchtig sind

Von so etwas träumt am Borussia-Park diesmal niemand. Sie wären schon froh, in dieser Saison noch das gesicherte Mittelfeld zu erreichen. „Es ist erst der fünfte Spieltag!“, sagte Virkus und wollte damit klarmachen, dass in dieser Saison noch vieles möglich ist. Aber man kann diesen Satz auch anders verstehen. Es ist erst der fünfte Spieltag, und Gladbach hat schon Probleme, die der Klub in der wochenlangen Sommerpause eigentlich besser hätte lösen können. Im Sommer hatten Virkus und die Gremien am Trainer Seoane noch festgehalten in der Annahme, er werde die Mannschaft schon auf Kurs bringen. Vor einer Woche, kurz nach Seoanes Suspendierung, hat der Borussia-Präsident Rainer Bonhof, 73, doch tatsächlich noch behauptet: „Gerardo hat einen geilen Job gemacht.“

Auch das wirft man den Verantwortlichen bei der Borussia vor: dass sie zu harmoniesüchtig sind, dass da niemand auf den Tisch haut. Schon auf der Mitgliederversammlung 2024 hatte ein Fan bei der Aussprache am Mikrofon dem Sportchef Virkus vorgehalten: „Sie sehen alles viel zu rosarot.“ Und jetzt, gut ein Jahr später, ist Gladbach Tabellenletzter.

„Blutleer“, nannte Polanski die Leistung seiner Mannschaft in der ersten Halbzeit. So etwas könne er nicht akzeptieren. Nach dem nächsten Spiel gegen Freiburg beginnt die zweiwöchige, länderspielbedingte Saisonunterbrechung, und während dieser Zeit die interne Aufarbeitung. Dann wird sich zeigen, ob es bei der Borussia einen Willen zur Erneuerung gibt.