Vor zehn Jahren hat die Psychotherapeutin Stefanie Stahl ihr Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ geschrieben. Seitdem hat es sich über drei Millionen Mal verkauft. Zurzeit entsteht eine Verfilmung, für die der Ratgeber eine fiktive Spielhandlung bekommt. Wir haben die Autorin in ihrer Trierer Praxis besucht und über die Erfolgsgeschichte des Bestsellers gesprochen.

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Das Kind in dir: „Viele haben sich mit dem Buch selbst therapiert“

Frau Stahl, Ihr Buch vom inneren Kind ist vor genau zehn Jahren erschienen. Es hat das Leben unzähliger Leute verändert, schreibt der Verlag zum Jubiläum. Wie hat es Ihr Leben verändert?

Ich mache weiter wie bisher. Natürlich hat das Buch mein Leben spannender gemacht. Ich kriege interessante Einladungen, mache interessante Sachen und lerne interessante Leute kennen. Das Buch öffnet Türen. Es wird gerade verfilmt und über die Filmfirma treffe ich Leute wie Sönke Wortmann und Matthias Schweighöfer. Ich würde viel mehr davon mitnehmen, wenn ich nicht in Trier, sondern in Hamburg oder Berlin wohnen würde. Und ich will ehrlich sein: Geldsorgen habe ich auch nicht mehr.

Welche Rückmeldungen erreichen Sie von Lesern?

Bei einer Veranstaltung haben mich gerade zwei Leute angesprochen, die beide dasselbe gesagt haben: Ohne das Buch wären sie nicht mehr am Leben. Das ist natürlich schon richtig krass. Aber sehr oft höre ich, dass sich das Leben der Leser mit dem Buch grundlegend verändert hat. Ich kann es nicht anders ausdrücken: Viele Menschen haben sich damit selbst therapiert. Und das freut mich. Das „Heimatkind“ ist ein Bestseller, das stimmt – aber ich habe kein Blutgeld damit verdient. Ich habe etwas Gutes in die Welt gebracht.

Wie sind Sie damals überhaupt auf die Idee gekommen, dass Sie nicht nur eine Therapeutin sein könnten, sondern auch eine Autorin?

Die Idee kam mir beim Wein mit einer Freundin: Melanie Alt, sie ist auch Psychologin. Mein damaliger Freund war gerade in Übersee, wir hatten telefoniert, ich hatte überhaupt keine Nähe gespürt und war frustriert. Melanie habe ich dann gesagt: Das liegt bestimmt daran, dass er introvertiert ist. Und das war dann die Idee: Introversion, Extraversion – an dieser Unterscheidung hängt ein ganzes Bündel von Persönlichkeitseigenschaften. Darüber sollte man mal ein Buch schreiben.

Das innere Kind im Porträt: In Stahls Praxis steht dieses Bild, mit dem eine Klientin an sich selbst gearbeitet hat.
Foto: Daniel Benedict

Das innere Kind im Porträt: In Stahls Praxis steht dieses Bild, mit dem eine Klientin an sich selbst gearbeitet hat.   Icon MaximizeIcon Lightbox Maximize

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Und dann?

Am nächsten Tag haben wir im Netz recherchiert und sind auf das Konzept der Persönlichkeitstypen gestoßen, mit dem ich bis heute arbeite. Daraus ist das erste Buch entstanden. Später kam ein Buch zur Bindungsangst dazu. Damit war ich auch wieder die Erste in Deutschland. Selbst die Amis hatten auf dem Gebiet nichts zu bieten. Entsprechend erfolgreich wurde das Buch.

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„So bin ich eben!“: Stefanie Stahls erste Bücher

So erfolgreich wie das „Kind in Dir“ waren die ersten Bücher ja noch nicht. Was heißt das denn in Zahlen?

Ein Buch gilt in Deutschland als Bestseller, wenn mehr als 10.000 Exemplare verkauft werden. Mein erstes Buch „Jein“ hatte weit über 50.000 geschafft. Meine Bücher verkaufen sich bis heute gut, alles sind Longseller. Vor zehn Jahren kam dann das „Heimatkind“.

Ist der Titel „Das Kind in dir muss Heimat finden“ im Verlag entstanden? Oder hieß schon das Manuskript so?

Der Titel kommt von mir. Es ist aber nicht so, dass sich das Buch nur über den Titel schon so gut verkauft hätte. Wenn ein Buch neu rauskommt, bestellen ja erstmal die Buchhandlungen – und die Zahlen waren gar nicht so besonders.

Hatten Sie selbst damit gerechnet, dass es diesmal ein Weltbestseller wird?

(Lacht.) Ich sage es Ihnen mal ganz ehrlich: Das hatte ich schon beim ersten Buch gedacht, also kein Weltbestseller, aber einer in Deutschland. „So bin ich eben“ leitet aus vier psychologischen Dimensionen 16 Grundtypen der Persönlichkeit her. Die nenne ich Beziehungsminister, Tugendminister und Ideenminister und so weiter. Ich hatte einen Riesen-Hype erwartet. Ich dachte, die Leute laufen bald alle mit Plaketten rum: „Ich bin ein Ideenminister“. Mit viel Marketing hätte das auch klappen können. Aber anfangs war ich bei einem kleinen Verlag. Und auch das „Heimatkind“ ist nicht über das Marketing zum Spiegel-Bestseller geworden. Das ging ganz langsam über Mund-zu-Mund-Propaganda.

Auf dem Gebiet der Persönlichkeits-Typologien gab es wirklich mehrere Bestseller: Fritz Riemanns „Grundformen der Angst“ oder Helen Palmers „Enneagram“.

Mit einem Unterschied: „So bin ich eben“ ist tausendmal besser. Ich darf das sagen, weil es gar nicht mein Verdienst ist. Das saustarke Konzept haben wir nicht entwickelt, sondern weiterentwickelt – und dann viel Originäres hinzugefügt. Wir – das sind in diesem Fall meine Freundin Melanie Alt und ich. Die erste Fassung hatten wir noch zusammen geschrieben.

Die Heimat des inneren Kindes: Stefanie Stahl guckt aus ihrer Praxis in Trier.
Foto: Daniel Benedict

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Stefanie Stahl hat keine Lust mehr auf Langzeit-Therapien

Inzwischen machen Sie zwei Podcasts und Bühnenprogramme. Sie treten als Speaker auf, geben Interviews und entwickeln Kurse für die Stefanie-Stahl-Akademie. So ganz wie früher kann Ihr Berufsalltag eigentlich nicht mehr sein, oder?

Früher war mein Berufsalltag wesentlich anstrengender. Zum Beispiel, weil ich damals noch psychologische Gutachterin war. 23 Jahre habe ich das gemacht, bevor ich es – Gott sei Dank – aufgegeben habe. Bis vor ein, zwei Jahren hatte ich auch noch eigene Psychotherapie-Klienten, zuletzt schon extrem reduziert. In meiner Praxis übernimmt das jetzt komplett mein Team. Ich selbst mache psychotherapeutische Gespräche nur noch im Podcast. Irgendwann wollte ich nicht mehr.

Warum denn nicht?

Ich habe über 30 Jahre Psychotherapie gemacht. Und jetzt habe ich keine Lust mehr – vor allem habe ich keine Lust mehr auf Langzeitbegleitung. Ich bin supergut darin, im Erstgespräch den roten Faden zu erkennen, die Struktur eines Konflikts. Langzeitbegleitung will ich nicht mehr machen. Mit meinem Podcast, mit meiner Akademie, mit den Büchern erreiche ich am Ende viel mehr Leute als im Eins-zu-eins-Gespräch. Aber ich habe auch einfach keine Lust mehr. Vielleicht schreiben Sie das lieber nicht. Es hört sich doof an – wobei: So bin ich halt.

Warum soll man nach 30 Jahren nicht merken: Mich interessieren neue Dinge?

Wenn Sie es so formulieren, klingt es besser. Mich interessieren neue Dinge.

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Wie Stefanie Stahl zur Psychologin wurde

Als Teenager sollen Sie die „Psychologie heute“ gelesen haben. Kommt daher auch schon der Anspruch, Ihr Wissensgebiet zu popularisieren – genau wie das Magazin?

Ich habe mich immer für psychologische Themen interessiert Und schon als Jugendliche habe ich mir um die Grundstrukturen Gedanken gemacht. Wenn da so eine Art Berufung in mir ist, dann wäre es das: Ich wollte die Struktur der Psyche verstehen.

Und was da auffällt, wenn man Ihre Bücher liest: Sie schildern es als etwas, das im Grunde sehr einfach ist.

Es ist auch einfach. Man muss nur begreifen, dass unsere Psyche kein Zufallsprodukt ist. Die Evolution hat unseren Körper so geformt, dass er überlebensfähig ist. Unsere Psyche hat sie auch geformt. Und so wie unsere Körper einem bestimmten Bauplan folgen, so ist auch die Psyche gleich strukturiert. Individualität ist nur eine Variante von Grundmustern. Es geht uns allen um Selbstwertgefühl und Anerkennung. Es geht um Bindung: Wenn ich versage, fliege ich aus der Gruppe. Das dritte große Thema ist Kontrolle und Autonomie. Und zuletzt geht es um Lust und um die Vermeidung von unguten Gefühlen. Damit haben Sie alle vier großen psychischen Grundbedürfnisse.

Hier hat das innere Kind seine Heimat gefunden: Stefanie Stahls Praxis in der Trierer Gilbertstraße.
Foto: Daniel Benedict

Hier hat das innere Kind seine Heimat gefunden: Stefanie Stahls Praxis in der Trierer Gilbertstraße. Icon MaximizeIcon Lightbox Maximize

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Ist das auch Ihre Antwort auf Kritiker, die finden, dass Sie vereinfachen?

Die Antwort gebe ich Ihnen am Beispiel vom „inneren Kind“. Das Konzept ist ein alter Hut. Das ist nicht von mir. Im ursprünglichen Ansatz ging es hierbei nur um einen Gefühlszustand, der durch frühe Kindheitserfahrungen getriggert wird. Aber ich habe ganz neue Aspekte hinzugefügt: die Idee von den Glaubenssätzen, die wir ein Leben lang mit uns tragen. Die Beschreibung von zahlreichen Selbstschutzstrategien. Die Unterteilung vom Schatten- und vom Sonnenkind, die für negative und positive Prägungen stehen. Sowie ein psychotherapeutisches Konzept zur Selbsthilfe. Ich habe also gar nichts vereinfacht. Ich habe einem bestehenden Ansatz Komplexität hinzugefügt.

So war Stefanie Stahls eigene Kindheit

Was sind Ihre eigenen Glaubenssätze und Schutzstrategien?

Ich habe das Glück, aus einer sehr geliebten Kindheit zu kommen. Ich habe gar nicht so ein großes Schattenkind. Aber durch die Geschwisterkoalition war ich immer die Kleine. Das war so ein Glaubenssatz, den ich auflösen musste: Ich bin klein. Ein bisschen steckt es immer noch in mir drin. Und da muss ich denselben Schritt machen wie jeder andere auch – verstehen, dass das eine willkürliche Prägung von früher ist, die nichts mit meiner Gegenwart zu tun hat. Unser Gehirn verwechselt ständig die Vergangenheit mit der Gegenwart. Und das zu unterscheiden, ist die hohe Kunst.

Haben Sie bei Ihren verschiedenen Aufgaben als Therapeutin, Coach und vielleicht sogar auch als Entertainerin schon Rollenkonflikte erlebt? Was bedeutete es für die Therapie, dass die Klienten Sie und Ihre Bücher schon kannten?

Das war eher hilfreich. Auf Klientenseite gibt es einen riesigen Vertrauensbonus. Den müssen andere Therapeuten erst erarbeiten. Für die Leute bin ich die Steffi. Die kennen meine Podcasts, die kennen meine Stimme und meine Konzepte. Da kann ich sofort einsteigen.

Sie haben erwähnt, dass „Das Kind in dir“ ins Kino kommt. Wie verfilmt man ein psychologisches Sachbuch?

Das wird eine Drama-Comedy. Die Autoren haben sich eine Spielfilmhandlung ausgedacht. Und der Clou ist, dass die Schattenkinder – also die kindlichen Anteile der Hauptfiguren – sich materialisieren und im Film eigene Rollen kriegen. Es ist aber wirklich nicht leicht. Vier Drehbuchversionen sind schon durchgefallen, die fünfte wird’s jetzt aber. Im nächsten Schritt denken wir über die Besetzung nach. Und da sind ganz große Namen im Spiel.

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Was Stefanie Stahl für ihr letzte Buch im Sinn hat

Wenn ein Verlag einen Bestseller hat, will er weiterverkaufen – und dann entsteht ganz schnell ein Produktuniversum rund ums Buch. Was finden Sie dabei gut und wo ist Schluss?

Ich bin kein großer Freund von Fortsetzungen und Spin-offs. Deswegen ist es auch bei „Das Kind in dir muss Heimat finden“ geblieben. „Das Kind in dir muss Arbeit finden, das Kind in dir muss Liebe finden, das Kind in dir muss bla, bla, bla“ – nach diesem Muster hätte man 1000 weitere Bücher schreiben können und ich wollte kein einziges davon machen. Aus Überzeugung habe ich ein Arbeitsbuch zu „Das Kind in dir muss Heimat finden“ gemacht. Das hatte mal eine Seminarteilnehmerin angeregt. Sie ist selbst Psychologin und hatte sich ein Buch mit praktischen Übungen gewünscht. Als der Verlag noch ein Arbeitsbuch zu „Jeder ist beziehungsfähig“ haben wollte, hab ich abgelehnt, weil das vorhandene Arbeitsbuch für beide Bücher taugt. Jetzt schreibe ich noch ein Buch, und das wird dann wahrscheinlich auch mein letztes sein.

Hier behandelt ein Star: Am Empfang von Stefanie Stahls Praxis liegen Autogrammkarten und „Sonnenkind“-Artikel.
Foto: Daniel Benedict

Hier behandelt ein Star: Am Empfang von Stefanie Stahls Praxis liegen Autogrammkarten und „Sonnenkind“-Artikel.Icon MaximizeIcon Lightbox Maximize

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Was für ein Buch wird das sein?

Ein Essaybuch. Ich will diesmal nicht strukturiert ein Thema auffächern, sondern zu ganz unterschiedlichen psychologischen Themen Aufsätze schreibe. Es gibt nämlich viele psychologische Themen, die ich sehr spannend finde, die aber nicht ein ganzes Buch ausfüllen. Man kann dann einfach querlesen, wenn Sie wollen, auch auf dem Klo. Da komme ich noch mal richtig auf den Punkt. Das kann ich gut. Und das war es dann für mich mit dem Bücherschreiben. Mehr habe ich nicht zu sagen.