An der Hyde Park Corner in London, dem wohl berühmtesten Ort der Demokratie und freien Meinungsäußerung, muss nicht jeder Redner geschliffen formulieren und fundierte Ansichten vertreten. Wichtig ist vor allem, dass jeder und jede zu Wort kommen darf, und so ähnlich wurde das auch im Stadion in Köln-Müngersdorf gehandhabt, wo der 1. FC Köln am Samstag seine Mitgliederversammlung abgehalten hat.

Ein auf allgemeiner Teilhabe beruhendes Vereinsleben bescherte den teilweise mehr als 6000 anwesenden Mitgliedern Freud und Leid und vor allem einen langen Tag in der Arena, wo es zum Glück Frikadellen, Bratwürste und Getränke gab. Was um 11 Uhr begonnen hatte, endete mit der Wahl des neuen Vorstands gegen sieben Uhr am Abend. Und dann war immer noch nicht Schluss – es gab noch Musik und Kölsch für alle. Verdienter Lohn: Der Klub hatte eine langwierige, aber friedliche Generalversammlung exerziert, die durch die offene Wahl des neuen Vereinspräsidiums eine nicht unheikle Aufgabe gestellt hatte. Die Mitglieder bestanden die demokratische Herausforderung, und auch wenn das viel Zeit kostete, durften die Leute in dem Gefühl nach Hause gehen, ihrem Traditionsverein nicht nur passiv anzugehören.

Kurz vor 18 Uhr wird es unruhig: Es stehen noch 32 Redner auf der Liste

Drei Kandidatenteams standen zur Abstimmung, die nur Anwesenden und nicht per Internet gestattet war. Eines war vom Mitgliederrat, einem Vereinsgremium, vorgeschlagen worden, die beiden anderen hatten ihre Teilnahme durch Unterschriftensammlung erstritten. Das Ergebnis des Wettkampfs, eine Zweidrittelmehrheit für das vom Mitgliederrat präferierte Trio mit dem Immobilien-Geschäftsmann Jörn Stobbe an der Spitze, war so eindeutig, dass mancher Besucher hin und wieder am Sinn der Basisdemokratie zweifelte. Kurz vor sechs standen noch 32 Redner auf der Liste. Unruhe kam auf.

Schon mittags verzögerte sich beim Thema „Aussprache“ der gewünschte Tagesablauf. Mancher Redebeitrag diente eher der Erheiterung als der Erkenntnis. Etwa als ein Referent die Besucher auf der Osttribüne mit „liebe Mitgliederinnen und Mitglieder“ begrüßte. Oder als ein anderer es als „Blasphemie“ – als Gotteslästerung – bezeichnete, dass der noch amtierende Klubvorstand sich selbst für die Steigerung der Spielerwerte gelobt hatte. Mutig auch die Rednerin, die dem Vizepräsidenten Carsten Wettich dafür dankte, dass der FC zuletzt auf einem Europacup-Platz stand. Die Bewunderung wurde vom Wahlvolk nicht geteilt. Wettich war der einzige unter den drei zuletzt aktiven Vorstandsherren, der sich – in anderer Konstellation – um ein erneutes Mandat bemühte. Vergeblich.

Der neuen Klubspitze gehören außer dem buchstäblich überragenden Stobbe – er ist 2,06 Meter groß – der Sportwissenschaftler Ulf Sobeck und der Rechtsanwalt Jörg Alvermann an. Für das Trio hatte unter anderem auch der Vorstandsvorsitzende des Hauptsponsors Rewe leidenschaftlich geworben: Der Franzose Lionel Souque ist seit Jahren nicht nur in den Gremien des Klubs tätig (zuletzt bei der Abberufung des Managers Christian Keller), sondern auch bei allen möglichen Fußballspielen mit FC-Beteiligung anzutreffen. Am Samstag war ihm jedoch durch das abtretende Präsidium der Platz auf dem Podium versagt worden, auch seine Redezeit wurde begrenzt – ein seltsamer Umgang mit einem wichtigen Alliierten, wie viele Anwesende meinten. Am Rednerpult zerriss Souque dann demonstrativ sein schriftliches Manuskript und begnügte sich mit einer resoluten Wahlempfehlung für das Team Stobbe. So viel Applaus wie er erhielt kaum ein anderer Redner im Kölner Hyde Park.

Das Programm des gewählten Vorstands unterscheidet sich nicht grundlegend von dem der anderen Bewerber: Im Nein zum Einstieg von Investoren beim 1. FC Köln und im Wunsch nach einem Ausbau des Vereinsgeländes am Geißbockheim waren sich ohnehin alle einig. Auch das Eintreten der Wahlgewinner für den Erhalt des Stadionstandortes Müngersdorf entspricht allgemeinen Erwartungen. Zur Debatte stehen ein Kauf der Arena und die Investition von bis zu 50 Millionen Euro in das Nachwuchsleistungszentrum.