Borussia Mönchengladbach zerlegt sich gegen Frankfurt lange Zeit selbst, ein Debakel von historischem Ausmaß drohte. Die Fans machen Sportchef Roland Virkus verantwortlich und fordern dessen Rauswurf. Während andere klare Worte finden, geht ausgerechnet Virkus zur Tagesordnung über.

Vor knapp zwei Monaten erstrahlte der VfL Borussia Mönchengladbach in großem Glanz. Günter Netzer, Jupp Heynckes, Berti Vogts, Lothar Matthäus, Stefan Effenberg – all die Legenden waren gekommen, um den 125. Geburtstag des Traditionsvereins vom Niederrhein zu begehen. Man saß zusammen, feierte, schwelgte in Erinnerungen, beschwor die Zukunft.

Von der Vorfreude auf die neue Saison, die damit einherging, ist nichts mehr geblieben. Am Samstag, nach einer denkwürdig schwachen Heimvorstellung gegen Eintracht Frankfurt, hatten die Fans genug. Sie forderten lautstark den Rauswurf von Roland Virkus, dem entscheidenden Mann für den Sport.

Bis kurz nach der Halbzeit hatte sich die Mannschaft aus unerklärlichen Gründen selbst zerlegt. Zur Pause lag Gladbach 0:5 zurück, in der 47. Minute gab es auch noch das 0:6. Es drohte ein Debakel historischen Ausmaßes. Dass das Team am Ende noch ein 4:6 schaffte, änderte nicht viel an dem Entsetzen, das im Borussia-Park herrscht.

„Das ist mir völlig unerklärlich. Wir müssen uns bei den Fans entschuldigen. Das ist absolut unakzeptabel“, sagte der ziemlich ratlose Trainer Eugen Polanski. Er hätte dieses Desaster nicht kommen sehen, dann aber spätestens nach dem zweiten Gegentreffer erkannt, dass etwas grundsätzlich nicht stimmt. Denn nachdem Frankfurts Ansgar Knauff nach einem Querpass von Ritsu Doan den Ball ohne nennenswerte Gegenwehr ins Gladbacher Tor geschossen hatte (15. Minute), wurde die Situation minutenlang im Hinblick auf eine Abseitsstellung des Torschützen überprüft.

„Jeder stand nur da, statt zu coachen, sich gegenseitig an den Kragen zu packen“, erklärte Polanski. Diese Körpersprache hätte ihn „fassungslos“ gemacht – genauso wie der „blutleere“ Auftritt insgesamt. Bereits zur Pause hätte er „an die Ehre appelliert“. Die Folge war dann immerhin noch eine gewisse Schadensbegrenzung.

Virkus sieht „ein Fünkchen Hoffnung“

Nach so einer Vorstellung darf normalerweise nicht so einfach zur Tagesordnung übergangen werden. Doch genau das tat Virkus. Er ließ es zwar an Kritik nicht fehlen, versuchte aber das späte Aufbäumen als Indiz zu nehmen, dass noch nicht alles verloren sei. „Was die Mannschaft so ab der 65. Minute gerissen hat, war das, was wir sehen wollen. Das macht das, was vorher war, zwar nicht wett, es macht aber ein Fünkchen Hoffnung“, so Virkus: „Daraus kann etwas entstehen“.

Wirklich? Es fällt schwer, nicht den Glauben zu verlieren, dass Gladbach noch eine erfolgreiche Saison spielen kann. Denn eigentlich hatte es ja schon die entscheidende personelle Veränderung gegeben. Vor zwei Wochen hatten sich die „Fohlen“ nach nur einem Punkt aus drei Bundesligaspielen von Gerardo Seoane getrennt – dem Trainer, an dem Virkus auch gegen Widerstände über zwei Jahre festgehalten hatte.

Mit ihm wollte er eine Mannschaft entwickeln, die auf Sicht auch wieder um den Einzug in den internationalen Wettbewerb spielen kann. In der vergangenen Saison sah es tatsächlich so aus, als könnte das klappen. Bis in den März hinein durfte von Europa geträumt werden – doch dann gab es sieben Spiele ohne Sieg und am Ende einen ernüchternden 10. Platz.

Aktuell ist Gladbach Tabellenletzter – nach zwölf sieglosen Spiele in Folge. Da stellt sich die Frage, ob es möglicherweise nicht allein am Trainer liegt. „Jeder hat seinen Anteil, auch ich“, sagte Virkus und bekannte sich zu seiner Verantwortung. Dem 58-Jährigen, einem Gladbacher Urgestein, werden Fehler in der Kaderzusammenstellung vorgeworfen.

Der Gladbacher Aderlass war enorm

Fakt ist jedoch: Der enge Finanzrahmen gab in den vergangenen dreieinhalb Jahren den Rahmen vor. Der Aderlass, den der Klub deswegen zu verzeichnen hatte, war enorm: Leistungsträger wie Jonas Hofmann, Yann Sommer, Ramy Bensebaini, Marcus Thuram und zuletzt auch Alassane Plea gingen. Der Umbau war schwierig – und aktuell herrscht auch noch ein nicht unerheblicher personeller Engpass. Am Samstag fehlte mit Tim Kleindienst, Franck Honorat, Robin Hack, Nathan Ngoumou und dem Zugang Gio Reyna gleich ein ganzes Offensiv-Quintett.

Die Lage ist kompliziert – auch, weil Polanski, von dem nicht klar ist, ob er nun eine Interims- oder eine Dauerlösung auf dem Cheftrainerposten ist, extrem beliebt ist. Ein weiterer Trainerwechsel könnte weitere atmosphärische Störungen zur Folge haben. Während die Anhänger die Trennung von Virkus forderten, wurde Polanski in Sprechchören gefeiert. „Das freut mich natürlich persönlich, aber es bringt uns als Team nicht weiter“, sagte der.

Wie es weitergehen wird, ist völlig offen – abgesehen davon, dass Polanski auch am kommenden Sonntag, wenn es gegen den SC Freiburg erneut ein Heimspiel geben wird, auf Bank sitzen wird. „Eugen bekommt eine faire Chance – und eine faire Chance sind nicht nur zwei Spiele“, sagte Virkus. Freiburg wird Polanskis drittes Spiel, aber möglicherweise auch schon sein letztes.