
Stand: 29.09.2025 05:23 Uhr
Seit zwei Wochen läuft in der neuen Grundschule Kiel-Gaarden der Unterricht – nach dem sogenannten Churermodell aus der Schweiz. Die Lehrer setzen auf individuelles Lernen und Sprachförderung.
„Der Herbst, der Herbst, der Herbst ist da“ – auch in der Turnhalle der neuen Grundschule Kiel-Gaarden. Jeden Tag treffen sich hier alle Schülerinnen und Schüler, singen gemeinsam und bewegen sich. Schulleiter David Janowitz greift in die Saiten seiner Gitarre, der Herbst „schüttelt ab die Blätter“ – und ein paar Auserwählte schütteln Rassel-Eier oder schlagen Klanghölzer aneinander. Janowitz möchte das Morgenritual dauerhaft beibehalten, damit sich die verschiedenen Klassen als Gemeinschaft verstehen. Auch jeder Geburtstag wird hier gefeiert.
Start mit Unterricht für drei erste Klassen
Seit zwei Wochen läuft der Unterricht, bisher nur mit drei ersten Klassen. Das Schulgebäude in der Johannesstraße wurde gerade rechtzeitig fertig, vor der Tür arbeiten die Bagger weiter. Nachdem die Schwimmhalle 2018 schließen musste, sollten hier zunächst Wohnungen entstehen. Doch weil auch in der Umgebung gebaut wurde und umliegende Schulen voll waren, entschied die Stadt anders. Jetzt steht hier eine neue Grundschule für bis zu 344 Kinder, mit Turnhalle und Schulhof auf dem Hallendach.
„Riesenchance“ – aber auch Herausforderungen
Schulleiter Janowitz und sein Team bauen den Schulbetrieb neu auf und können dabei viel gestalten: „Das ist eine Riesenchance, die man nur einmal im Leben hat.“ Doch die Grundschule im Stadtteil Gaarden geht auch auf besondere Herausforderungen ein. Viele Kinder müssen „einen riesigen Rucksack mit sich herumschleppen“, weil sie in Armut leben oder erst die Sprache lernen müssen. Dabei sind Sprachkenntnisse nicht unbedingt vom Migrationshintergrund abhängig.

Um später selbst Geschichten zu schreiben, müssen die Kinder lernen, wie eine klingt – zum Beispiel Räuber Hotzenplotz.
Die sprachliche Förderung ist deshalb besonders wichtig, zum Beispiel mit Literatur: In den ersten Klassen wird täglich vorgelesen. Bevor die „Quallen-Klasse“ heute das nächste Kapitel von Räuber Hotzenplotz hört, erklärt Janowitz, was eine Kaffeemühle ist, und liefert die richtigen Wörter: Pulver, Bohnen, Kurbel. Wichtig sind auch ein „sprachsensibler Unterricht“, in dem die Kinder die Wörter für das jeweilige Fach lernen, und die Lehrkräfte als gute Vorbilder.
Neues Konzept sieht mehr individuelles Lernen vor
Auch im Unterricht möchten Schulleiter Janowitz und sein Team individuell auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen. In der Mathestunde bei Konrektorin Maraike Ihle sieht das so aus: In einer kurzen Runde an der Tafel wird die Aufgabe besprochen: Obst und Gemüse zählen und dabei Strichlisten anfertigen. Umut zählt die Äpfel an der Tafel, Frau Ihle macht Striche. Noch drei Beispiele, dann suchen sich alle einen Platz für ihre Arbeit aus – wer Hilfe braucht, wird unterstützt.
Vor den Klassenräumen gibt es deshalb für jede Jahrgangsstufe Lernlandschaften mit verschiedenen Sitzmöglichkeiten. Auch das Klassenzimmer ist nicht streng zur Tafel ausgerichtet. Die Lehrerinnen und Lehrer in Gaarden orientieren sich dabei am Churermodell, einem Konzept aus der Schweiz, das die Gestaltung des Raums, die kurzen Inputs und die individuelle Arbeit mit freier Platzwahl empfiehlt.
Konzept ist inklusiv und fördert Selbstständigkeit
Dieses Modell sei „empfehlenswert für heterogene Gruppen, verlangt aber qualitativ hochwertige Lernaufgaben und professionelle Lernbegleitung“, sagt Christian Filk. Er ist Professor für Medienpädagogik und interdisziplinäre Medienforschung an der Europa-Universität Flensburg und hat selbst zehn Jahre in der Schweiz gearbeitet.
Bei Gruppen mit verschiedenen sozialen Hintergründen haben die Lehrkräfte durch das Churermodell mehr Spielraum. Der Oberbegriff für solche Methoden lautet Binnendifferenzierung, weil die Schülerinnen und Schüler innerhalb derselben Lerngruppe individuell gefördert werden. Das ist einerseits inklusiv und fördert außerdem die Selbstständigkeit der Kinder. Ob das Churermodell auch die kognitiven Ergebnisse verbessert, also erlerntes Wissen und Fähigkeiten, ist allerdings noch nicht nachgewiesen.
Wichtig sei, dass die Schülerinnen und Schüler bezüglich ihrer Selbstständigkeit nicht überfordert werden, sagt Filk. Dazu wiederum seien genügend Ressourcen und professionelle Teams notwendig, die gut weitergebildet werden. Wichtig sei außerdem, von Beginn an den Stand der Kinder zu kennen. „Eine sinnvolle Binnendifferenzierung setzt „gut evaluierte und kommunizierte Lernstandsdiagnosen voraus“, so Filk.
Schulleiter: Es funktioniert überraschend gut

Schulleiter David Janowitz freut sich, dass das Churermodell „überraschend gut funktioniert“.
Konrektorin Ihle hat konnte sich von ihren Schülern schon beim sogenannten Schulspiel ein erstes Bild machen – einem Verfahren vor der Einschulung, bei dem die Kinder spielerische Aufgaben lösen und beobachtet werden. Jede erste Klasse bekommt außerdem eine „Klassenbegleitung“, eine zweite pädagogische Kraft, die die Kinder während des Unterrichts, aber auch am Nachmittag begleitet. „Das gibt den Kindern ganz viel Halt, wenn sie so eine feste Bezugsperson haben“, erklärt Schulleiter Janowitz.
Jede Person, die an der Schule arbeite, habe sich ganz bewusst dafür entschieden. Und: „Es funktioniert überraschend gut“, findet Janowitz, obwohl auch die Lehrkräfte erst vor zwei Wochen eingezogen sind. Nun hofft der Schulleiter, dass bald ein wenig Alltag einkehrt. Und nach den Herbstferien beginnt dann schon die Anmeldung für das nächste Schuljahr.

Von August 2026 an haben Erstklässler in Schleswig-Holstein einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung.

Der Johannes-Schwennesen-Schule geht der Platz aus. Container sollen helfen, werden aber frühestens in den Herbstferien fertig.

Die Grundschule ist jahrelang saniert worden. Die Arbeiten haben zwölf Millionen Euro gekostet.