In den kommenden fünf Jahren – und das Jahr 2030 lauert gefühlt gleich um die Ecke – muss Berlin ausnahmsweise einmal nichts werden, sondern etwas bleiben. Und das wird anstrengend genug!

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Während des nun schon 35 Jahre andauernden Findungsprozesses unserer Stadt kommt die Erkenntnishilfe für uns im täglichen Stadt- und Emotionsdschungel leicht desorientierte Berliner meist von außen: Die Welt hält Berlin für einen der tolerantesten, offensten und kulturell anregendsten Orte auf diesem Globus.

Kondensiert heißt das, Stadt der Freiheit: nicht nur wegen der erfolgreichen Niederwerfung einer Diktatur durch ihre Bürger, sondern vor allem wegen der Freiheit, hier eigene Lebensentwürfe, Talente und Ideen ausprobieren zu dürfen, ohne sofort auf erhobene Zeigefinger zu stoßen.

Wenn wir dieses Lebensgefühl nicht nur konservieren wie einen Fisch im Eisblock, sondern klug schützen und weiterentwickeln, wird vieles auch im Jahr 2030 gelingen.

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Willkommen in Sicherheit

Während in vielen Teilen der Welt gerade Narzissten, Egomanen und Verächter demokratisch-liberaler Werte in Mode und an der Macht sind, tut sich für Berlin eine historische Chance auf.

Und zwar als sicherer Hafen für kluge, offene Menschen. Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler – sie alle werden in autokratischen Regimen bedrängt, suchen nach Orten, die den Geist von Freiheit und Toleranz atmen und sie willkommen heißen.

Dass dies in Berlin funktioniert, zeigt der World Liberty Congress im November dieses Jahres. Oppositionsbewegungen aus mehr als 50 diktatorischen Staaten, vertreten durch Persönlichkeiten wie Swetlana Tichanowskaja aus Belarus oder Masih Alinejad aus dem Iran wollen in Berlin tagen.

Eingebettet in die Berlin Freedom Week, eine ganze Veranstaltungswoche, organisiert unsere Stadt erstmals eine Konferenz zur aktuellen global-politischen Lage, ein Treffen zu Sicherheitsfragen schließt sich an. In einer aufgewühlten Welt bietet Berlin so die Chance zur Orientierung, Reflexion.

Ort des intellektuellen Austauschs der besten Köpfe

Konferenzen wie der Falling Walls Science Summit oder der inzwischen bedeutende World Health Summit verdienen jede Unterstützung. Unsere Stadt als ein Ort des intellektuellen Austauschs der besten Köpfe, das ist Chance und Vision.

Berlin sollte die kommenden Jahre nutzen, um seine Stärken zu stärken. Dazu gehört die Kenntnis und die Akzeptanz der eigenen DNA, auch der wirtschaftlichen. Kultur, Tourismus und Messen sind die „Signature Economy“ der Stadt, früher hätte man Schwerindustrie dazu gesagt.

Mit einem Umsatz von 15,1 Milliarden Euro gibt dieser Bereich rund 187.200 Berlinern und Berlinerinnen Arbeit. Der hochtourig drehende Kulturbetrieb ist einer der interessantesten der Welt, ein unersetzlicher Schatz. Wie kaum eine Stadt in Deutschland ist Berlin auf das Empfangen, Unterhalten und – seien wir ehrlich – das Beeindrucken von Gästen ausgerichtet.

Berlin beheimatet viele kulturelle Anziehungspunkte, wie hier die Philharmonie.

© imago images/Shotshop/Lutz Wallroth

Zwar haben wir die magische Grenze von 30 Millionen Übernachtungen wieder überschritten. Mit Zahlen wie im letzten Jahr vor Corona wäre das Haushaltsdefizit und damit die schmerzhaften Kürzungen kleiner ausgefallen, lässt doch jeder Gast pro Tag rund 173,50 Euro in der Stadt.

Mehr Kongresse, Festivals und Nachhaltigkeit

Was ist zu tun? Zunächst geht es um den Ausbau der Kongresskapazitäten, um in den Top Ten weltweit zu bleiben. Und die Welt schläft nicht. Gute Ideen und Pläne sind in der Schublade, demnächst mehr dazu. Endlich soll durch Franziska Giffey die schlafende Architekturikone ICC wachgerüttelt werden, Angebote dafür sind eingegangen.

Das Gebäude des Flughafens Tempelhof, eine weltweit einmalige Chance aus Stein für Kultur und Veranstaltungen, wird sträflich und meistens fantasiefrei unternutzt. Das Gleiche gilt für Tegel, ein Notquartier anstatt ein Zukunftsort der Stadtentwicklung. Für die nächsten Jahre heißt das: Setzen wir einen Schwerpunkt auf diese Möglichkeitsräume, die zu echten Leuchttürmen werden könnten.

Und auch dies muss stets im Blick bleiben als Priorität: Hinter den Kulissen sollten die Berliner und ihre gewählten Politiker die Grundlagen unseres Erfolges verbessern. Ohne gute Schulen, ohne bezahlbaren Wohnraum und mit einer in Teilen vermüllten Stadt erodiert das Zusammenleben.

Serie „Berlin 2030“

In unserer Serie „Berlin 2030“ wollen wir konstruktive Lösungen für die Herausforderungen der Hauptstadt finden und dabei helfen, positiv in die Zukunft zu schauen. Dafür sprechen wir mit Vordenkerinnen und Visionären, mit Wirtschaftsvertretern, mit Kulturschaffenden, mit Stadtplanern, mit Wissenschaftlerinnen und Politikern.

In Gastbeiträgen fragen wir sie nach ihrer Vision für Berlin. Wie soll Berlin im Jahr 2030 aussehen? Welche Ideen haben sie für die Zukunft unserer Stadt? Und welche Weichen müssen dafür jetzt gestellt werden?

Die Beiträge der Serie stammen unter anderem von Kai Wegner, Renate Künast, Ulrike Demmer, Tim Raue, Mo Asumang und Christian Schertz. Alle bisher erschienen Beiträge finden Sie hier.

Sie haben auch eine Idee? Schicken Sie uns Ihre Vorschläge an: checkpoint@tagesspiegel.de.

Die deutsche Hauptstadt sollte nicht aufhören, auch in Sachen Nachhaltigkeit ein Vorbild zu sein. Zwar ist dies kein Reiseanlass, aber doch in Zukunft eine Selbstverständlichkeit. visitBerlin arbeitet mit Unterstützung des Senats und vielen Akteuren der Stadt wie Hotels, Kongress-Veranstaltern und Veranstaltungsorten an diesem Ziel. Platz fünf der nachhaltigsten Städtereise-Destinationen der Welt haben wir bereits geschafft. Warum nicht Nummer eins?

Zu den hervorragenden Bahnverbindungen (280 ICEs jeden Tag) wäre es für die Weltstadt Berlin hilfreich, wenn es dem Flughafen gelänge, an die alten Erfolge vor der Pandemie anzuknüpfen. Konnektivität in Europa und der Welt ist eine der Grundzutaten für das, was wir sind. Ein Connectivity Board mit allen Akteuren der Wirtschaft und Politik ist in Vorbereitung. Mit einer solchen Förderaktion haben bereits Barcelona und Kapstadt große Erfolge erzielt.

Global Nomads brauchen gute Konnektivität

Gute Konnektivität ist auch die Voraussetzung, um weiterhin die begehrten Global Nomads, wichtigster „Rohstoff“ für unsere boomenden Start-ups, an die Stadt zu binden. Hier ist die schon etwas angegraute Theorie des Stadt-Soziologen Richard Florida eine gute Leitplanke. Erfolg und Zukunft hat demnach die Stadt, der es gelingt, die drei Ts zu vereinen: Technologie, Talent und Toleranz.

Festivals, Kongresse, Konzerte tragen in Zukunft zum Magnetismus unserer Stadt bei. Auch sollten wir aufhören, das elektrisierende Nachtleben dieser Stadt durch ständiges Reden vom Clubsterben tatsächlich ins Grab zu reden. Clubs und Restaurants (was für eine faszinierende Landschaft) unterliegen dem Gesetz des Dschungels: Werden und Vergehen. Vielleicht bieten ja die sich zunehmend entleerenden Einkaufsmalls neue aufregende Räume für die, die das richtige Gespür für die Trends haben.

Berlin bleibt Schmelztiegel und braucht Zuzug aus allen Kulturen und Teilen der Welt. Entwickelte Gesellschaften, die sich dem verweigerten und abschotten, das zeigt die Geschichte, waren selten erfolgreich und oft bald obsolet. Es ist die kulturelle Reibung von fast vier Millionen dicht miteinander lebenden Menschen dieser Stadt, die neue Ideen produziert, Trends und Moden. Genau das zu besichtigen, zu erspüren ist eine der wichtigsten Motivationen für eine Reise nach Berlin. Als wir letztens 20 internationale Designstudenten vom Los Angeles Art Center fragten, was unsere Stadt für sie sei, war die Antwort so simpel wie beeindruckend: Berlin is always now!

Mehr Visionen für Berlin 2030 Ludwig Engels Vision für Berlin 2030 „Umbau statt Neubau, renovieren statt abreißen“ Daniela Hensels Vision für Berlin 2030 „Eine Verwaltung, die nahe an der Lebenswirklichkeit der Menschen ist“ Aletta von Massenbachs Vision für Berlin 2030 „Reisen und Freiheit gehören zusammen“

Berlin, eine Stadt, in der zwei Weltkriege ihren Ausgang nahmen, ist durch die Hölle von Diktaturen, durch Zerstörung und Teilung gegangen, um authentisch das leben zu können, was es heute für so viele Menschen ist: ein Sehnsuchtsort der Freiheit und Toleranz, ein Wohlfühlbiotop für Kreative und Wissenschaftler, Global Nomads. Vielleicht auch deswegen sehen uns so viele unsere bemerkenswerte organisatorische Verpeiltheit immer wieder nach. Übrigens kein Grund, nicht auch daran bis 2030 zu arbeiten.