Nachdem das weltweit größte Volksfest offenbar sehr knapp an einem Unglück vorbeigeschlittert ist, fordern Bürger und Stadtpolitiker Aufklärung über die Ursachen und mögliche Konsequenzen. „Wie konnte es zu diesem Engpass kommen – ohne rechtzeitige Warnung oder Umleitung der Besucherströme? Warum war die Kommunikation so unklar, teils unverständlich, teils gar nicht vorhanden?“ Das fragt Oktoberfest-Besucher Markus Lindinger in einem offenen Brief an die Verantwortlichen.

Gegen 18 Uhr hatten die Veranstalter am Samstag das Festgelände wegen Überfüllung abgeriegelt und per Lautsprecher-Durchsagen die Menschen aufgefordert, das Festgelände zu verlassen. Da waren aber viele Besucher besonders in der Straße zwischen den Festzelten so eingekeilt, dass sie weder vor noch zurück konnten. Weil anfangs in der Kommunikation wohl kein Grund für die Räumung genannt wurde, fürchteten Besucher auch einen Anschlag. Nach etwa einer Stunde wurde die Sperrung der Theresienwiese wieder aufgehoben, weil sich die Lage entspannt hatte.

Auch Stadträte aus verschiedenen Parteien zeigten sich tief besorgt und unzufrieden mit den Auskünften, die bis Montagmittag von offizieller Seite gekommen waren. „Wenn Besucher von Todesangst berichten, ist eindeutig etwas schiefgelaufen. Das darf man nicht kleinreden“, sagte der Vorsitzende der Fraktion aus CSU und Freien Wählern, Manuel Pretzl. „Eine solche Situation darf sich keinesfalls wiederholen.“

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Für die Grünen forderte Fraktionschef Sebastian Weisenburger ebenfalls schnelle Antworten, insbesondere von Christian Scharpf (SPD), Referent für Arbeit und Wirtschaft und damit Wiesn-Chef der Stadt: „Die Münchner*innen müssen wissen, wo es gehakt hat. Das soll die Festleitung darlegen. Diese Aufklärungsarbeit muss jetzt stattfinden!“

Die ÖDP hatte schon als erste Partei am Montagmorgen gefordert, dass die Gefahrensituation öffentlich und transparent aufgearbeitet werden müsse. „Wie durch ein Wunder ist niemand verletzt worden“, sagte Fraktionschef Tobias Ruff. Gleich bei der nächsten Stadtratssitzung am Mittwoch müssten sich die Verantwortlichen erklären.

Viele Wünsche nach Transparenz, doch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) war trotz zweimaliger Anfrage nicht bereit, sich zu dem Vorfall am Samstag zu äußern. Wer war verantwortlich? Wie konnte es zu solch einer Gefahr kommen? Wie schätzt der OB den Vorfall ein? Welche Konsequenzen sind jetzt nötig? Zu all diesen Fragen mag der Chef der Münchner Stadtverwaltung kein Wort sagen. Die Festleitung solle antworten, lässt der Oberbürgermeister seine Sprecherin ausrichten, „sprich Herr Scharpf“.

Der neue Referent für Arbeit und Wirtschaft, der für die Stadt das Oktoberfest verantwortet, hatte am Sonntag mit der Aussage irritiert, das Gedränge und die Platznot sei wie ein „Sommergewitter“ gewesen. Es habe sich sehr schnell zugespitzt, sei aber auch gleich wieder vorüber gewesen, sagte Scharpf.

„Wir waren über 40 Minuten lang vollständig in der Menschenmenge gefangen. Kein Vor und Zurück, kein Ausweichen – nur massiver Druck von allen Seiten. Um uns herum wurde geweint, geschrien, gedrückt“, so beschreibt Wiesn-Besucher Lindinger seine Eindrücke: „Besonders Kinder und Frauen gerieten in Panik. Auch wir selbst hatten große Angst – vor allem, weil niemand wusste, was gerade passierte oder wie man sich verhalten sollte.“

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Die Folgen seien bei ihm noch lange spürbar gewesen. „Ich war danach völlig erschöpft, stand noch lange unter Schock und konnte in der Nacht kaum schlafen. Ich zitterte lange, war schweißnass, innerlich aufgewühlt“, schreibt er. Seine Schilderungen decken sich mit Äußerungen anderer Besucher.

Ein ausführlicher Fragenkatalog an den verantwortlichen Referenten der Stadt, Wiesn-Chef Scharpf, bleibt bis Redaktionsschluss am Montag weitgehend unbeantwortet. Was ist genau passiert, wer hat wie reagiert? Wo lagen die Fehler, wer trägt Verantwortung? Wie ordnet der Wiesn-Chef den Vorfall vom Samstag mit etwas mehr Abstand ein? Welche Konsequenzen sind nötig, um am kommenden Woche das Oktoberfest für alle sicherer zu machen? All das hätte man gerne erfahren, doch eine Sprecherin erklärte, dass es dazu noch keine Erkenntnisse für die Öffentlichkeit gibt.

„Die Aufarbeitung der Abläufe vergangenen Samstag hat gerade höchste Priorität. Wir sind seitdem im engen Austausch mit allen Sicherheitsbehörden, Wiesn-Wirten und Beschickern. Hierzu finden aktuell noch Gespräche statt“, heißt es in einer Mitteilung. Es sei Geduld nötig, „bis die Festleitung und die Sicherheitsbehörden gemeinsam erste Maßnahmen kommunizieren werden, wie man künftig derartige Menschenansammlungen vermeidet“. Die Polizei verweist auf das Sicherheitskonzept und die verantwortliche Festleitung. Genauso macht es auch das Kreisverwaltungsreferat als Behörde für die öffentliche Sicherheit der Stadt. Man habe das Konzept zwar mit abgezeichnet, erklärte eine Sprecherin. Die Analyse, wie es „umgesetzt wurde und wie es zu dieser Situation kommen konnte, ist noch nicht abgeschlossen“.

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Nicht nur bei den Besuchern, auch bei den Beschäftigten auf dem Oktoberfest ist Verunsicherung zu spüren. Normalerweise, sagt einer der Souvenirverkäufer, würden die Beschicker von der Festleitung immer gleich informiert, wenn etwas passiert. Als am vergangenen Samstag die erste Durchsage gekommen sei, sei er es aber gewesen, der angerufen habe. Immerhin: Danach habe er die verunsicherten Menschen rund um seinen Stand beruhigen können. Nicht wenige Gäste vermuteten nach den ersten Durchsagen einen Anschlag auf das Oktoberfest.

Auch eine Mitarbeiterin von einem der Kettenkarussells auf dem Festgelände sagt: „Zuerst waren wir alle ein bisschen ratlos.“ Informationen von der Festleitung hätten nämlich auch sie zunächst keine bekommen. Erst nach und nach habe sich dann in einer gemeinsamen Chatgruppe mit den anderen Schaustellern herumgesprochen, dass der Grund für die Durchsage Überfüllung ist. Viele andere, mit denen man über die Sperrung sprechen will, wollen unterdessen nicht mal anonym etwas zu den Vorfällen sagen, oder besser gesagt: Sie dürfen nicht, Ansage von oben. Der Schausteller-Vorstand dementiert solch ein angebliches Redeverbot. Auch eine Sprecherin der Festleitung weist das zurück.

Was in den Gesprächen noch auffällt: Die Wahrnehmungen der Augenzeugen unterscheiden sich deutlich. Auf Höhe der Hühner- und Entenbraterei Ammer sprechen Standbetreiber von dramatischen Szenen, ja Panikattacken, an anderen Stellen heißt es: alles halb so wild.

Einig sind sich diejenigen, die das Chaos miterlebt haben, jedoch in einem: Die ersten Durchsagen sorgten für viel Verunsicherung, es habe zu lange gedauert, bis der Grund für die Sperrung genannt worden sei – der große Andrang.