AUDIO: Welche Rolle spielt Kunst für Mafia? (4 Min)
Stand: 24.09.2025 13:44 Uhr
Was hat die neapolitanische Camorra mit einem Van-Gogh-Diebstahl zu tun? Den unglaublichen Fall rollt der True Crime-Podcasts Kunstverbrechen auf. Wie nutzt die Mafia Kunst für ihre illegalen Geschäfte?
Der Tatort ist eigentlich gut bewacht – und doch wird das Van Gogh Museum in Amsterdam 2002 zum Schauplatz eines unglaublichen Diebstahls. Der erfahrene Dieb und Bankräuber Octave Durham entdeckt am Museumsgebäude eine Schwachstelle: ein Glasfenster, das vom Dach aus erreichbar ist. Er bereitet mit Leiter, Vorschlaghammer und einem Komplizen, Henk Bieslijn, einen Einbruch vor:
Wenn Octave Durham den Einbruch ins Van Gogh Museum 2002 schildert, klingt es wie ein Kinderspiel. Dennoch werden sein Komplize und er überführt.
„Ich habe mir die Kameras oder die Alarmanlage nicht einmal angeguckt. Das war mir egal. Ich wusste, dass die Kameras sowieso aufzeichnen werden und der Alarm losgehen wird. Ich wusste, dass es ein großes Risiko wird, das durchzuziehen. Ich würde sagen, eine 70-prozentige Chance erwischt zu werden, und 30 Prozent es zu schaffen. Aber das größte Risiko bei dem Einbruch war, dass mich jemand mit der Leiter erwischt“, erzählt Octave Durham, genannt Okki, im NDR Kultur Podcast Kunstverbrechen.
Gestohlene Van-Gogh-Gemälde schwer zu verkaufen
Ihm und seinem Komplizen gelingt das Unglaubliche: Sie stehlen Vincent van Goghs Bilder „Meeresansicht bei Scheveningen“ und „Die Kirche von Nuenen mit Kirchgängern“. Die Männer entwischen der Polizei. Zwar ist die Beute sehr wertvoll, aber auch schwer verkäuflich. Die Wahl auf Van Gogh fiel eher zufällig – wegen der Sicherheitslücke.
„Ich finde Van Gogh nicht schön – Entschuldigung. Eine Menge meiner kriminellen Freunde haben gesagt: Nächstes Mal klau‘ bitte einen Rembrandt. Van Gogh ist mega hässlich“, so Durham.
Die vierte Staffel des True-Crime-Podcasts startet spektakulär: Der Fall um gestohlene Van-Gogh-Gemälde bringt Host Torben Steenbuck in eine heikle Situation.
Raffaele Imperiale vom Amato-Clan kauft die Van-Goghs
Die Medienaufmerksamkeit ist groß, die Ware heiß. Die Diebe verkaufen die Bilder an Raffaele Imperiale, den Kopf des Amato-Clans, einer Untergruppe der italienischen Camorra. Zu welchem Preis, verrät Durham nicht. Aber es kursieren danach Summen, die bei 350.000 Euro beginnen. 2025 zeigte in Italien die Wanderausstellung „salvArti“ Kunst, die aus den Fängen der Mafia gerettet wurde: beispielsweise von Salvador Dalí, Andy Warhol, Christo.
Der deutsch-italienische Investigativ-Journalist Sandro Mattioli gibt Einblicke, wie Kunstdiebstähle und die italienische Mafia zusammenhängen.
Natürlich können solche Werke ein Prestige-Objekt für einen Mafiaboss sein. Noch entscheidender ist aber: Kunstwerke sind wichtig für die kriminellen Geschäfte der Mafia. „Es gibt eine lange Geschichte von Kunstdiebstahl durch die Mafia und von Nutzung der Kunst durch die Mafia für verschiedene Zwecke“, erklärt Sandro Mattioli. Er ist deutsch-italienischer Investigativ-Journalist und Experte für die italienische Mafia.
Wertvolle Kunstwerke als Pfand oder zur Geldwäsche
„Man kann – und das ist etwas, was wir gemeinhin unterschätzen – sehr viel Geld auf wenig Raum transportieren, wenn man einen van Gogh oder Ähnliches hat. Das heißt: Es bietet sich an für Geldwäsche-Zwecke. Es bietet sich aber auch an, mit Kunst als Sicherheiten zu arbeiten.“ Das kann konkret bedeuten: Ein Drogenboss lässt in einem weit entfernten Land seine Drogen produzieren und verschiffen. Damit er nicht vorab bezahlen muss und so das Risiko eingeht, dass nicht geliefert wird, schickt er ein wertvolles Kunstwerk, quasi als Pfand. Das behält der Produzent der Drogen so lange, bis der Deal abgewickelt ist.
Eines der beiden 2002 gestohlenen Gemälde von Vincent van Gogh war die „Meeressicht bei Scheveningen“.
Wenn die Bilder doch an den Wänden von Mafiosi landen, dann sind die 2002 gestohlenen, eher düsteren post-impressionistischen Gemälde von Vincent van Gogh nicht die erste Wahl: „Es gibt schon so eine gewisse Neigung zu Opulenz bei Mafiosi. Ich hatte erst neulich ein Gespräch mit jemandem, der in der Wohnung eines Drogenhändlers war, da war sehr viel Gold und Prunk. Man mag den eigenen Reichtum mit Opulenz nach innen – nicht nach außen – zur Schau stellen“, berichtet Mattioli.
Polizei findet Van Goghs hinter Geheimtür in Neapel
Jahrelang fehlt von den gestohlenen Gemälde aus Amsterdam jede Spur. Die beiden Diebe landen letztlich doch im Gefängnis – Durham hat am Tatort sein Käppi mitsamt DNA-Spuren verloren. Doch über den Verbleib der Bilder schweigen die Männer. 2016 suchen Polizisten im Haus der Eltern des Mafiabosses Raffaele Imperiale am Golf von Neapel nach Beweisen für kriminelle Aktivitäten. In einem Raum hinter einer Geheimtür finden sie stattdessen zwei Gemälde. Nienke Bakker, die Kuratorin des Van Gogh Museums, fliegt zur Polizei nach Neapel. Sie soll beurteilen, ob es das spektakuläre Raubgut ist:
„Ich wusste sofort, dass das die Bilder aus dem Museum sind. Aber ich nahm mir ein paar Minuten, um sie zu begutachten und sicher sein zu können. Alle standen um mich herum und warteten darauf, dass ich es aussprach. Dann sagte ich: Sie sind es!“, erinnert sich Nienke Bakker an das Ende dieses Falls, der erst nach fast 14 Jahren aufgeklärt werden konnte.
Mehr zu diesem aufsehenerregenden Diebstahl hören Sie in der aktuellen Staffel des True Crime-Podcasts von NDR Kultur: „Kunstverbrechen – Van Gogh und Mafia“ – alle Folgen in der ARD Audiothek.
Gestohlene van Goghs oder dubiose Kunstsammler: Lenore Lötsch und Torben Steenbuck bringen ihren True-Crime-Podcast live auf die Bühne.
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