30 Kunstdarstellungen des weiblichen Geschlechtsorgans schmücken aktuell die Wand hinter dem Altar der evangelischen Versöhnungskirche am Platz der Diakonie – und zwar in Form von Taschen. Aber was hat es damit auf sich?
Die Einzelstücke wurden anlässlich des 50. Jubiläums der Icklack angefertigt. Die Icklack ist eine Unterkunft ausschließlich für wohnungslose Frauen. Als die Unterkunft 1975 eröffnet wurde, war sie eine der ersten Einrichtungen bundesweit, die sich der weiblichen Wohnungslosigkeit widmete.
„In den 70er-Jahren wurde Wohnungslosigkeit als ein Problem der Männer erkannt“, erklärt Stefanie Volkenandt, Abteilungsleiterin Selbstbestimmung und Teilhabe der Diakonie Düsseldorf. Weiter: „Die Annahme war, dass Frauen nicht wohnungslos werden.“ Die Diakonie habe damals verstanden, dass es dieses Problem gibt, und habe damit auch richtig gelegen – die Einrichtung war sofort voll, erzählt Volkenandt. Auch die Fachwelt sei sich mittlerweile sicher, dass geschlechtsspezifische Unterkünfte wichtig seien, berichtet sie.
3000 Frauen kamen in den vergangenen 50 Jahren in der Icklack unter und konnten mit ihrer Unterstützung ein neues Leben anfangen. Die Wohnungslosenunterkunft hilft den Frauen bei der „Stabilisierung der Allgemeinsituation“, um ein „sicheres Fundament“ zu schaffen, erklärt die stellvertretende Leiterin der Icklack, Nina Brauckhoff. „Existenzsicherung, Vermittlung, Anträge, dabei werden die Frauen unterstützt“, so Brauckhoff. Das Personal in der Unterkunft ist dabei ausschließlich weiblich. „Viele unserer Bewohnerinnen haben negative Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht. Durch das weibliche Personal wollen wir einen Schutzraum schaffen“, erklärt die stellvertretende Leiterin.
Scheiternde, häufig gewalttätige Partnerschaften seien bei Frauen einer der häufigsten Gründe für Wohnungslosigkeit. Häufig treffe es Frauen, die aus toxischen Beziehungen kommen. Teils sind sie finanziell abhängig von ihrem Partner und können nach der Trennung keine eigene Wohnung stemmen, so Volkenandt. Allerdings gelinge es Frauen auch besser ihre sozialen Netzwerke auszuschöpfen. „75 Prozent der wohnungslosen Frauen sitzen nicht auf der Straße“, berichtet die Abteilungsleiterin, „sie wissen sich zu helfen.“ Daher sei die Dunkelziffer bei der Wohnungslosigkeit von Frauen deutlich höher. „Statistisch gesehen sind 30 Prozent aller wohnungslosen Menschen Frauen“, in der Realität seien es aber deutlich mehr.
Auch aktuell sind die 31 Plätze der Icklack belegt. Frauen ab 18 Jahren dürfen in die Unterkunft einziehen. Momentan seien die 20- bis 29-Jährigen die größte Gruppe. „Wir sind auch eine der ersten Unterkünfte, die Mütter mit Kindern aufnehmen“, erklärt Brauckhoff. So wohnen aktuell auch sechs Kinder in der Unterkunft.
Die Aufenthaltsdauer ist dabei sehr individuell. Durchschnittlich seien es ungefähr 18 Monate, so Volkenandt. Die 62-jährige Bewohnerin Erika wohnt seit 22 Monaten in der Icklack. „Hilfe holen ist das Beste, was man machen kann“, erzählt sie. Die Icklack habe ihr Rückhalt gegeben und sie aufgefangen. Bevor sie in die Wohnungslosenunterkunft für Frauen gekommen ist, war sie in einer geschlechtergemischten Unterkunft in Mönchengladbach. Dort habe sie sich aber nicht wohlgefühlt. Die Zeit in der Icklack habe ihr Leben verändert, sagt Erika.
Auch an dem Kunstprojekt zum Jubiläum hat Erika mitgearbeitet. Jeden Donnerstag sei sie dafür nach Köln gefahren, um an den Taschen mitzunähen. „Das hat viel Spaß gemacht“, so die 62-Jährige. Aber weshalb wurde sich für die Tasche als Motiv entschieden? Seit 50 Jahren habe jede Frau, die in die Icklack kam, ihre Tasche mitgebracht. „Die Tasche ist das, was sie noch retten konnten – das letzte bisschen Intimität“, erklärt die Kunst- und Modeschöpferin Fenja Ludwig. Deswegen sollte die Tasche im Zentrum der Ausstellung stehen und „die Weiblichkeit zelebrieren“. In den Taschen seien außerdem die Wünsche jener Frauen versteckt, die an dem Projekt mitgearbeitet haben. „Aber da darf auch im übertragenen Sinne nicht jeder rein – das bleibt ein Geheimnis“, so Ludwig.