Der Historiker Michael Zeuske legt in einem Gastbeitrag in der „Berliner Zeitung“ dar, dass der schwarze Philosoph Anton Wilhelm Amo – Namensgeber für die frühere Mohrenstraße – wohl nie Sklave war. Vielmehr könnte er in Westafrika elitären Kreisen angehört haben.
Michael Zeuske, Historiker und Experte für globale und atlantische Sklaverei, argumentiert in einem Gastbeitrag in der „Berliner Zeitung“, dass der Gelehrte Anton Wilhelm Amo, der als erster schwarzer Philosoph und Jurist an deutschen Universitäten gilt, fälschlicherweise als Opfer von Versklavung gilt. Nach Amo war Ende August die frühere Mohrenstraße in Berlin-Mitte benannt worden.
Der Senior-Professor des Center for Dependency und Slavery Studies der Universität Bonn fasst seinen Fund über Amo selbst folgendermaßen zusammen: „Erster schwarzer Philosoph im deutschsprachigen Raum ist richtig, Opfer und Sklave falsch.“
Zeuske betont, dass Amo sowohl in Europa als auch in Westafrika vielmehr elitären Kreisen angehört haben könnte. Als Beleg führt er zwei Dokumente aus dem Bestand der „Zweiten Westindischen Compagnie (WIC)“ an, die sich heute im „Nationaal Archief“ in Den Haag befinden.
So legt Zeuske dar, dass Amo 1746 – nachdem sein Dienstherr, der Herzog von Braunschweig verstorben war – um eine kostenlose Überfahrt an Bord eines Schiffes der WIC nach Westafrika bat. Amo war bereits 1707 mit einem Schiff der WIC nach Europa gelangt. Seiner Bitte wurde stattgegeben, er durfte als Passagier an Bord des Compagnie-Schiffs „Catherina Galeij“ zurück nach Guinea reisen.
„Welcher Sklave oder ehemalige Sklave, späterer Philosophie-Professor hin oder her, konnte darum bitten, ohne etwas zu bezahlen von Europa nach Westafrika per Schiff transportiert zu werden? Richtig: keiner – völlig unmöglich“, schreibt Zeuske. Er argumentiert, dass die WIC gewusst haben muss, dass Amo auch in Afrika zur Elite gehörte. Dementsprechend privilegiert sei er behandelt worden.
Ebenfalls geht aus diesem Dokument hervor, dass Amo nach Europa von Christian Bodel begleitet wurde, einem Sergeant, der einen hohen militärischen Posten in der WIC besetzte – laut Zeuske ein weiteres Indiz, dass Amo schon in seiner Heimat einen hohen Rang einnahm: „eine hochrangige Begleitung für einen hochrangigen Jungen.“
Vertrag mit indigenem König regelte Amos Überfahrt
Zeuske präsentiert in seinem Gastbeitrag noch ein weiteres Dokument – einen Vertrag von 1706 – der nach Angaben des Historikers in der Amo-Forschung bis heute keine Rolle spielt. Der Vertrag wurde zwischen dem damaligen Generaldirektor der WIC und einem Oberkönig der Agonnaze-Nation in Westafrika, zu der auch Amo gehört haben soll, geschlossen. In diesem Dokument, so erläutert Zeuske, steht Amo abermals in Verbindung mit dem Sergeant Christian Bodel, der ihn nach Europa begleitete.
„Die Analyse beider Dokumente erlaubt es uns festzuhalten, dass weder der junge Amo noch der Amo am Hof in Wolfenbüttel jemals Sklave gewesen ist. Der Vertrag von 1706 erlaubt es im Gegenteil, von Amo als Mitglied einer indigenen Sklavenjäger- und Sklavenhalter-Gemeinschaft zu sprechen, die damals Agonnaze-Nation oder Agonnazen genannt worden sind und mit den Niederländern verbündet waren“, führt Zeuske aus. Deren Anführer, sogenannte Caboceers, seien indigene lokale Machthaber und Sklavenhalter gewesen, so der Historiker.
Sein Fazit: „Der Junge Amo kann durchaus der Neffe oder Sohn eines solchen Caboceers gewesen sein. Dafür spricht, dass er überhaupt so prominent in dem Vertrag von 1706 erwähnt wird und einen Militär als Schutz und Leibwache neben sich hat.“
Die „Mohrenstraße“ war im August nach einem langen juristischen Hin und Her offziell umbenannt worden. Der Bezirk und mehrere Initiativen trieben die Umbenennung voran. Ihnen galt der Begriff „Mohr“ als rassistisch.
jho mit dpa