Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie schnell sich Viren weltweit ausbreiten können – und wie entscheidend schnelle, verlässliche Systeme für den Schutz der Bevölkerung sind. Genau hier setzt die Forschung von Al Ozonoff an. Der Epidemiologe und Associate Professor an der Harvard Medical School arbeitet am Boston Children’s Hospital zum Beispiel an dezentralen Frühwarnsystemen für Epidemien.
Bei einer Konferenz über „Complex Systems“ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien wird Ozonoff auch darüber sprechen, wie Künstliche Intelligenz (KI) einerseits helfen kann, Krankheitsausbrüche frühzeitig zu erkennen und warum sie andererseits Risiken mit sich bringt. Ozonoff arbeitet mit seinen Kolleg:innen auch eng mit afrikanischen Forschungsinstituten wie dem Institute for Genomics and Global Health (IGH) in Nigeria zusammen, um Kapazitäten vor Ort aufzubauen, große Ebola-Ausbrüche zu verhindern und globale Gesundheit zu stärken. Im Interview gibt Al Ozonoff vorab Einblicke in seine Arbeit.
Frühwarnsystem für Pandemien
Herr Ozonoff, Sie forschen zu dezentralen Frühwarnsystemen für Epidemien. Was genau steckt dahinter?
Al Ozonoff: Mein Forschungsgebiet ist die Überwachung von Krankheitsausbrüchen in der menschlichen Bevölkerung. Diese Aufgabe ist sehr komplex geworden – durch die vielen Interaktionen zwischen Menschen, zwischen Menschen und Tieren, aber auch mit Viren und Bakterien. Was wir aus der Forschung deshalb vorschlagen, ist ein lokaler Ansatz: herauszufinden, wer in einer Region an welchen Krankheiten erkrankt ist und wie sich diese ausbreiten. Die Überwachung kann aufgrund der Komplexität nicht auf globaler oder nationaler Ebene gelöst werden, sondern am besten lokal. Die Herausforderung ist dann, viele solcher lokalen Systeme miteinander zu vernetzen – sodass ein widerstandsfähiges globales System entsteht, das uns vor großen Krankheitsausbrüchen schützt.
KI kann eingesetzt werden, um sehr schnell einen neuen PCR-Test zu entwickeln.
Wie weit ist man damit?
Ozonoff: Das ist noch viel Arbeit, aber die gute Nachricht ist: Technologie macht es einfacher. Interessant ist, welche technologischen Fortschritte in den nächsten fünf, zehn, 25 Jahren helfen können. Die Forschung hat schon gezeigt, dass diese Methode ein möglicher Trend für die Zukunft ist. Ich bin zuversichtlich, dass dezentrale Überwachung die Richtung ist, in die wir gehen müssen.
Künstliche Intelligenz als Fluch und Segen
Sie arbeiten auch mit Künstlicher Intelligenz (KI). Wie funktioniert das?
Ozonoff: KI ist ein sehr breites Feld, und viele Forschungsgruppen entwickeln spannende Anwendungen für Epidemien. Wir konzentrieren uns auf ein paar ganz konkrete Fälle, die besonders vielversprechend sind – vor allem im Bereich Diagnostik, weil das wichtig für die lokale Überwachung von Krankheiten ist. Diagnostik bedeutet: herauszufinden, wer krank ist und an welcher Krankheit er oder sie leidet. Die große Herausforderung dabei ist – wie wir während der COVID-Pandemie gelernt haben –, dass bei einem neuen Erreger, einem neuen Virus oder auch einem bereits bekannten Virus, das sich weiterentwickelt oder mutiert ist, die gängigen Tests oft nicht verfügbar oder nicht zuverlässig sind. Ein PCR-Test zum Beispiel basiert auf der genetischen Sequenz des Virus. Wenn sich diese verändert, kann der Test ungenau oder sogar nutzlos werden. KI kann eingesetzt werden, um sehr schnell einen neuen PCR-Test zu entwickeln, ein anderes diagnostisches Verfahren zu entwerfen oder bestehende Tests anzupassen. Normalerweise dauert die Entwicklung solcher Tests recht lange. Wir sind überzeugt, dass wir mithilfe von KI den Prozess stark beschleunigen können – von der Entwicklung über die Optimierung und Validierung bis hin zur Verfügbarkeit des Tests. Unser Ziel ist es, das innerhalb von etwa zwei Wochen zu schaffen. Denn wie wir 2019 bei SARS-CoV-2 gesehen haben: Am Beginn einer Epidemie herrscht enorme Unsicherheit, und Tage, ja sogar Stunden, können den Unterschied machen und Leben retten. Deshalb sind wir überzeugt, dass KI hier einen echten Unterschied machen und unsere Fähigkeit und Schnelligkeit verbessern wird, auf künftige Ausbrüche zu reagieren.
Dieselbe KI, die einen Diagnosetest entwickelt, um ein Virus nachzuweisen, könnte auch genutzt werden, um ein Virus zu entwerfen, das sich jedem Test entzieht.
Gleichzeitig warnen Sie davor, dass KI auch missbraucht werden könnte. Wie groß ist dieses Risiko?
Ozonoff: Das ist eine reale Sorge. Jede Technologie, die Gutes bewirken kann, kann die Welt auch schlechter machen. Auf der Skala von „sehr besorgt“ bis „weniger besorgt“: Ich will die Risiken keineswegs kleinreden, aber bisher habe ich noch nichts gesehen, was mich davon abgehalten hätte, die Anwendungen weiterzuverfolgen, die wir für besonders vielversprechend halten. Aber klar: Dieselbe KI, die einen Diagnosetest entwickelt, um ein Virus nachzuweisen, könnte auch genutzt werden, um ein Virus zu entwerfen, das sich jedem Test entzieht. Darüber müssen wir international diskutieren – mit Regierungen, Behörden, Wissenschaft. Manche fürchten, dass zu viele Regeln Innovation bremsen, andere, dass zu wenige Regeln gefährlich sind. Es braucht jedenfalls ein gemeinsames Nachdenken.
Pandemie-Vorsorge: Detect, Connect, Empower
Was sind die größten Baustellen, um die nächste Pandemie möglichst zu verhindern?
Ozonoff: Vorneweg: Pandemien zu verhindern und auf Pandemien zu reagieren – das ist unglaublich komplex. Wir haben drei Schwerpunkte: detect, connect, empower. Das sind für uns die drei zentralen Bereiche, in denen wir Verbesserungen erreichen wollen – auch wenn es natürlich noch viel mehr gibt. Detect bedeutet: Diagnosetests verfügbar machen. Connect bedeutet: unsere Datensysteme verbessern, ihre Vernetzung und Zugänglichkeit – vor allem, wenn es um Gesundheitsdaten geht. Und empower meint: Kapazitäten aufbauen, sowohl Infrastruktur als auch menschliche Ressourcen – Ausbildung, Training, ein gut geschulter öffentlicher Gesundheitssektor. Dazu gehören auch funktionierende Einrichtungen: kleine Gesundheitsstationen im ländlichen Raum auf ein gutes Niveau bringen, große städtische Krankenhäuser oder Labors so ausstatten, dass sie mehr leisten können.
Also gibt es viel zu tun…
Ozonoff: Ja, aber all das ist machbar. In den letzten 20 Jahren hat es etwa einen enormen Schub in der wissenschaftlichen Ausbildung gegeben. Nehmen wir Afrika als Beispiel: Es gibt inzwischen eine ganze Generation afrikanischer Wissenschaftler:innen, die ihre gesamte Karriere in Afrika verbracht haben, auf dem Kontinent forschen und ihre eigenen Studierenden ausbilden. Ich sehe da einen großen Wandel: Diese Forscher:innen bauen inzwischen ihre eigenen Labors auf, schaffen Kapazitäten, übernehmen Positionen in den Gesundheitsministerien und werden zu wichtigen Entscheidungsträger:innen. In unseren Partnerschaften in Nigeria oder in Sierra Leone versuchen wir stets zu unterstützen. Es gehört zu den bedeutendsten Arbeiten meiner gesamten Laufbahn mit den Kolleg:innen in Westafrika zusammenzuarbeiten, etwa mit dem Institute for Genomics and Global Health (IGH). Schlussendlich muss man sagen: Es ist ein Prozess. Und die große Frage ist immer: Was passiert, wenn die nächste Pandemie kommt? Derzeit gibt es etwa einen sehr ernsten Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo, bei dem über 30 Menschen gestorben sind. Selbst wenn dieser Ausbruch eingedämmt wird, müssen wir uns bewusst machen: Ebola und andere hämorrhagische Fieber sind endemisch, sie treten immer wieder auf. Und es ist unvermeidlich, dass wir erneut einen großen Ausbruch erleben werden – wie 2014 und 2015, als 11.000 Menschen starben.