Die Eskalation im Streit um Stuttgart 21 am Schwarzen Donnerstag ist 15 Jahre her. Einige Protagonisten traten danach unfreiwillig in den Vordergrund, andere traten ab.

Am Schwarzen Donnerstag, dem 30. September 2010, ist der Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21 endgültig aus dem Ruder gelaufen. Bei der Räumung des Schlossgartens durch ein massives Polizeiaufgebot gab es Hunderte Verletzte. Damals spielten viele Beteiligte auf beiden Seiten eine Rolle. Manche davon konnte nie ganz abschließend geklärt werden. Doch was ist eigentlich aus einigen der Protagonisten geworden?

Dietrich Wagner 2015 bei einem Gerichtstermin Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Von Dietrich Wagner hatte in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Stuttgart 21 bis zum Schwarzen Donnerstag noch kaum jemand etwas gehört. Danach kannte ihn die ganze Welt – oder zumindest ein Foto, auf dem er mit blutenden Augen aus dem Schlossgarten geführt wird. Wider Willen wurde er so zum Symbolfigur für die Ereignisse an jenem Tag, als er vom Wasserwerfer im Gesicht getroffen wurde und in der Folge sein Augenlicht fast vollständig verlor. In der Widerstandsbewegung hatte er bis dahin keine aktive Rolle eingenommen.

Nach dem 30. September 2010 blieb Wagner allerdings für mehrere Jahre öffentlich präsent. Er besuchte zahlreiche Gerichtsverhandlungen, in denen der Einsatz aufgearbeitet wurde, trat als Kläger und Nebenkläger auf. 2015 saß der Stuttgarter Ingenieur mit anderen Geschädigten in der Villa Reitzenstein. Ministerpräsident Winfried Kretschmann entschuldigte sich offiziell für die Ereignisse im Schlossgarten, die in der Verantwortung der Vorgängerregierung passiert waren. Eine für Wagner sehr wichtige Geste.

Später zog sich Wagner mehr und mehr zurück – die Gesundheit machte nicht mehr mit. An den Kundgebungen zu den Jahrestagen des Schwarzen Donnerstags nahm er aber regelmäßig teil. Im Juni 2023 starb er im Alter von 79 Jahren in einem Stuttgarter Krankenhaus an einer Lungenentzündung, wenige Monate, nachdem er seine langjährige Lebensgefährtin geheiratet hatte.

2. Matthias von Herrmann Carola Eckstein und Matthias von Herrmann Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Für mehrere Jahre ist Matthias von Herrmann zum Gesicht des aktiven Widerstands gegen Stuttgart 21 geworden. Als Sprecher der Parkschützer-Initiative verstand er es auch am Schwarzen Donnerstag, eloquent Medien Interviews zu geben und in scharfem Ton den Polizeieinsatz zu kritisieren. Nach Schlichtung, Volksabstimmung und zunehmender Bautätigkeit wurde es ruhiger um den Politologen und Volkswirt. Er nutzte seine Erfahrungen aus der Protestbewegung und gründete eine Beratungsfirma für Pressearbeit. Diesem Berufsfeld ist er auch treu geblieben. Der heute 52-Jährige lebt mit seiner Frau Carola Eckstein, die er bei den Parkschützern kennengelernt hat, noch immer in Stuttgart.

Stefan Mappus (hier ein Foto aus dem Jahr 2016) Foto: picture alliance/dpa/Uli Deck

Die Rolle des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus beim Schwarzen Donnerstag blieb lange umstritten – trotz Gerichtsverhandlungen und Untersuchungsausschuss. Der heute 59-Jährige war erst wenige Monate zuvor ins Amt gekommen und galt als Freund einer klaren Linie pro Stuttgart 21. Kritiker gaben ihm die politische Hauptschuld an dem harten Polizeieinsatz. Mappus war am Vortag persönlich über die Einsatzpläne informiert worden und hatte sie abgesegnet. Eine direkte Einflussnahme konnte aber nie bewiesen werden.

Gleichwohl geriet der politische Stern des Ministerpräsidenten nach dem 30. September 2010 ins Sinken. Mappus eckte immer wieder an, bei der Landtagswahl 2011 wurde die CDU unter ihm zwar mit 39 Prozent erneut die klar stärkste Partei in Baden-Württemberg, die neue Regierung bildeten aber SPD und Grüne. Mappus trat als CDU-Landesvorsitzender zurück und legte wenige Monate später auch sein Landtagsmandat nieder. Damit war seine politische Karriere beendet, auch wenn er später immer mal wieder mit einer möglichen Rückkehr liebäugelte.

Mappus wechselte danach in die Wirtschaft. Er war in der Pharma- und Chemiebranche tätig, später in der IT-Branche. Im April 2024 wurde er Geschäftsführer der Eutop Group, einer Münchner Beraterfirma, die politische Lobbyarbeit für Konzerne und Verbände betreibt. In der Öffentlichkeit tritt Mappus nur noch selten auf.

Tanja Gönner hat sich zuletzt auch beim VfB Stuttgart engagiert, hier ein Foto aus dem April 2024. Foto: Pressefoto Baumann/Hansjürgen Britsch

Die CDU-Politikerin hatte zum Zeitpunkt des Schwarzen Donnerstags eine Doppelrolle inne: Die frühere Sozialministerin war seit 2005 Umweltministerin in Baden-Württemberg, im Februar 2010 ernannte Stefan Mappus sie zusätzlich zur Verkehrsministerin. Damit war die erfahrene Politikerin auch für Stuttgart 21 zuständig. Über die Rolle der engen Mappus-Vertrauten am 30. September 2010 gab es Diskussionen – und einen Streit um die Offenlegung ihrer Dienstmails aus diesem Zeitraum.

In der Schlichtung zu Stuttgart 21 unter der Moderation von Heiner Geißler trat Tanja Gönner 2011 als Befürworterin auf. Ihre politische Karriere nahm danach allerdings einen ähnlichen Verlauf wie die von Stefan Mappus. Nach der verlorenen Landtagswahl schied sie als Ministerin aus. Bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz der Landtags-CDU scheiterte sie ebenso wie bei der Wahl zum CDU-Bezirksvorsitz für den Bezirk Württemberg-Hohenzollern. Ihr Landtagsmandat legte sie 2012 nieder.

Die heute 56-Jährige ging danach in die Wirtschaft. Zehn Jahre lang war sie Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Seit dem 15. November 2022 arbeitet Gönner als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Daneben engagiert sie sich auch auf anderen Feldern. So gehört sie dem Aufsichtsrat des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart an und war für einige Monate dessen Vorsitzende.

Siegfried Stumpf im April 2015 Foto: dpa/Daniel Naupold

Siegfried Stumpf hatte bereits eine lange Polizeikarriere im Land hinter sich, als er 2006 zum Stuttgarter Polizeipräsidenten ernannt wurde. Als solcher war er auch am Schwarzen Donnerstag im Amt und wurde deshalb als Hauptverantwortlicher für die Linie der Polizei an diesem Tag gesehen. Er bedauerte danach, wie der Einsatz gelaufen ist, beteuerte aber, er sei gerechtfertigt gewesen und es habe keine direkte Einmischung der Politik gegeben.

Stumpf war während des Einsatzes selbst im Schlossgarten, ohne einzuschreiten. Die Staatsanwaltschaft nahm auch deshalb Ermittlungen gegen ihn auf. 2015 erhielt er wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt einen Strafbefehl über 120 Tagessätze, den er akzeptierte, obwohl er damit als vorbestraft gilt. Polizeipräsident war der heute 74-Jährige zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr: Er hatte 2011 aus gesundheitlichen Gründen um die Versetzung in den Ruhestand gebeten.