Dass Andreas Erb die Essiggurke einmal quer über den Tisch in die Hand eines Gasts wirft, das ist ein spontaner Einfall, sorgt aber freilich für Gelächter. Wobei man sagen muss: Solche Kunststückchen, die braucht Erb eigentlich nicht, um die Menschen im Festzelt Tradition auf dem Münchner Oktoberfest zum Lachen zu bringen. Es reicht, wenn er einfach an ihren Tisch kommt und mit einer lockeren Handbewegung eine Gurke mit der Zange aus seinem Holzfass fischt und eine „gurkige Erfrischung“ verspricht. Diesen Gurkenmann, den finden sie, jung wie alt, einfach urkomisch.
Ausgedacht hat sich die Rolle Toni Winklhofer, Wirt des Festzelts auf der Oiden Wiesn. Wobei: Streng genommen lässt Winklhofer den Gurkenverkäufer nur wieder aufleben. Das Hausierer und Krämer auf dem Oktoberfest Essiggurken verkauften, hatte schließlich um 1900 Tradition. Eine, in der freilich auch die Gurkenverkäufer stehen, die es heutzutage in manch der anderen Zelten gibt. Nur ist es allein Andreas Erb – und an den Wochenenden noch seine Verstärkung –, der auf der Wiesn eine graue Lodenkotze, dazu ein weißes Leinenhemd, einen Schlapphut und über die Schulter das Holzfass trägt. Denn nur er soll eben einen jener Gurkenverkäufer verkörpern, die um die damalige Jahrhundertwende dieser Tätigkeit nachgingen – der Verkauf ist dabei anders als bei seinen Kollegen Nebensache. Für Winklhofer wie Erb gleichermaßen übrigens.
Oktoberfest 2025 – die erste Woche
:Halbzeitbilanz: 3,5 Millionen Gäste waren bisher auf der Wiesn
Weniger Gäste, mehr Straftaten und mehr Wasser – so lässt sich die erste Hälfte des Oktoberfests zusammenfassen. Weil am Samstagnachmittag trotzdem zu viele Leute auf die Theresienwiese drängten, musste die Polizei das Gelände vorübergehend sperren.
Denn als man den Mann mit den verwuschelten Haaren und dem dichten Bart ein paar Tage vor der Wiesn schon mal auf einen Kaffee trifft, sagt der nämlich gleich, dass das für ihn mehr ist als ein neuer Job: „Ich find’s einfach cool, der Gurkenmann auf der Wiesn zu sein.“ Der 36-Jährige hat sich sogar extra eingelesen in die Geschichte der Hausierer und der Gurke und weiß jetzt, dass sie botanisch gesehen eine Beere ist – eine Panzerbeere, um genau zu sein.
Dass sich der Mann vom Wörthsee für diesen doch recht seltenen Job eines historischen Gurkenmannes beworben hat, ist seiner Mutter zu verdanken. Die hat ihm die Anzeige zugeschickt, die sie in der Zeitung gesehen hatte. Sie wusste ja: Einen festen Job hat ihr Sohn gerade nicht, in Regensburg hat er vergangenes Jahr nach sechs Jahren die Zelte abgebrochen, er ist zurück von seinem sechsmonatigen Selbstfindungstrip durch Asien und seine Pläne für die Zukunft sind noch vage, ist er doch erst im Juni zurückgekommen.
Sprich: Erb hat Zeit und als einer, der als Bub mal Pfarrer werden wollte, ausgebildeter Schauspieler ist, sich parallel gerade als freier Redner selbständig macht und ohnehin gut mit Menschen kann, na da ist ihm die Stelle als Gurkenmann ja wahrlich auf den Leib geschneidert. Fand nicht nur seine Mutter, fand er selbst auch. Zumal er ja, wie es der Zufall so wollte, erst Wochen zuvor mit einer Freundin beim Festival „Bucht der Träumer“ rumgesponnen hatte, dass Essiggurken hier sicherlich ein guter Snack wären. Und wenn man so will, dann ist die Wiesn auch irgendwie ein Festival.
Er, den sie damals einen Klassenclown nannten, weil ADHS noch kein Thema war, will als Gurkenmann aber keine Rolle spielen: Er will er selbst sein. Wenn er das so sagt, wirkt es fast wie ein Befreiungsschlag – zumal, wenn man ihn dann während der Wiesn in Aktion erlebt.
Die Essiggurken fischt er mit einer Zange aus dem Holzfass, das samt Füllung gute zehn Kilo wiegt. (Foto: Johannes Simon)
Das Rezept für den Sud, in dem die Gurken baden, hat Michael Schubaur entwickelt, Küchenmeister im Ratskeller. (Foto: Johannes Simon)
„Lass di ned stress’n von den ganzen Schurken, entspann di mit a Essiggurken“, das war Erbs Bewerbungsspruch. Auch andere gurkige Sprüche hat er auf Lager: „Lass da gurk geh“ zum Beispiel. Wie er ausländischen Gästen seine Gurken anpreist? Na klar, als „vegetarian bavarian sausage“. Vieles ist aber nicht einstudiert, sondern kommt ihm ganz spontan über die Lippen, je nach Gast. Nur so viel steht fest: Gurke, dieses Wort kommt ihm in diesen Tagen oft über die Lippen. Nerven tut ihn das zumindest nach Woche eins bis jetzt nicht, im Gegenteil: Er ist selbst der größte Fan seines Produkts, bis zu fünf esse er am Tag.
Das Rezept für den Sud, in dem die Gurken baden und der laut Erb unter anderem mit alkoholfreiem Augustinerbier, Chilis, Rosmarin und Knoblauch angesetzt wird, hat übrigens Michael Schubaur entwickelt, Küchenmeister im Ratskeller. Für gerade einmal 1,60 Euro bekommt man mit einer solchen Gurke also das wohl mit einigem Abstand billigste Schmankerl auf der Wiesn – selbst in anderen Zelten kostet die Essiggurke meist locker drei Euro oder mehr. Winklhofer hatte am Telefon, in der Annahme, dass die meisten vermutlich einen Zwickl geben werden, noch dazu von einem „trinkgeldfreundlichen Preis“ gesprochen. Nach der ersten Woche muss Erb allerdings sagen: Ganz so locker sitzt das Geld bei den Menschen wohl doch nicht. Aber wie gesagt: Es geht ihm nicht allein ums Geld. Und er arbeitet anders als Bedienungen auch nicht auf Umsatz.
Mittags, sagt Erb noch, als er am zweiten Wiesn-Samstag seine erste Runde dreht, laufe das Geschäft immer etwas zäh. Gurkenzeit, die sei vorwiegend nachmittags. Nicht mal eine Stunde später muss er dennoch schon in die Kühlung zum Auffüllen seines Fasses. So 25 Gurken, die sind dann doch schnell an den Mann und die Frau gebraucht, an guten Tagen sind es in einer Acht-Stunden-Schicht um die 200 Stück. Und selbst, wenn sie noch keine wollen: Lachen tun sie wirklich alle, manchen kommen den Leuten dabei sogar die Tränen.
Doch das Leben als Gurkenmann ist nicht nur eitel Sonnenschein. „Schleich dich“, das bekommt er schon auch gelegentlich zu hören. Andere sagen, er solle doch mal sein „Gurkerl“ rausholen.
Für den Job als Gurkenmann beworben haben sich übrigens rund 20 Personen, eingeladen zum Bewerbungsgespräch hat Wirt Winklhofer nur fünf. Der Rest hatte das mit dem derben Spruch nämlich wohl etwas missverstanden – genau wie einige der Gäste mit ihren anzüglichen Sprüchen. Verderben lässt sich Erb seine Tage davon nicht, weiß er doch, dass seine Oma stolz ist auf ihn, den Gurkenmann. Oder wie sie sagt: „Der Andi ist der Gurkenkönig.“