Unternehmer Karl-Otto Cord könnte sich in diesen Tagen erst einmal zufrieden zurücklehnen. Hat er doch zumindest einen Teilerfolg erzielt: Die Abstimmung über die Veränderungssperre für das ehemalige H.-W.-Meyer-Gebäude in Werthers Innenstadt wurde vertagt. Die Tür für sein Vorhaben, dort einen Komplex mit Supermarkt – gerne Lidl – anzusiedeln, ist damit noch nicht vom Tisch. Und er musste dafür noch nicht einmal Klage einreichen.
Aber warum werden die Karten in diesem Machtpoker jetzt wieder neu gemischt, wo Verwaltung und Politik doch bislang relativ einstimmig an ihrem Konzept festgehalten haben? Das besagte, an dieser Stelle nur Ansiedlungen zuzulassen, die den bestehenden Einzelhandel im Zentrum nicht schwächen.
Zum einen steht dahinter sicherlich politisches Kalkül. Wir befinden uns im Jahr der Kommunalwahl. Und mit diesem Thema – der Zukunft der Innenstadt – lässt sich gegen den amtierenden Bürgermeister Veith Lemmen nun einmal vortrefflich Wahlkampf machen. Weil der eben konsequent die Haltung der Verwaltung und seiner Vorgängerin Marion Weike vertritt, an dieser Adresse keinen Supermarkt zuzulassen.
Innenstädte im Altkreis Halle zunehmend von Leerständen bedroht
Die CDU argumentiert plötzlich gegen die Veränderungssperre. Ratsfrau Birgit Ernst betont voller Unschuld, dass man Investor Karl-Otto Cord mit den geheimen Vorabgesprächen keinesfalls den roten Teppich habe ausrollen wollen. Die Christdemokraten inszenieren sich damit schulbuchmäßig als die Partei der wirtschaftlichen Vernunft, die auf Gespräche statt Verbote setzt und Lösungen anstrebt, die Geldgeber nicht verprellen.
Der Kommunalwahlkampf hatte also schon begonnen, ehe die großen Parteien ihre Kandidaten in Werther überhaupt offiziell benannt hatten. Und der einzige bereits feststehende Bürgermeister-Kandidat Hannes Dicke-Wentrup nutzte die Vorlage dann auch gleich, um den Vorschlag der Verwaltung ebenfalls abzulehnen. Man muss kein Prophet sein, um dieser Auseinandersetzung Potenzial für Diskussionen bis September zu bescheinigen.
Zum Hintergrund: Supermarkt-Dilemma in Werther: Pläne lösen Machtkampf aus
Hinter diesen offensichtlichen Motiven treten allerdings noch andere zutage: So ein großer Komplex in zentraler Innenstadtlage wird ja gemeinhin als attraktives Rendite-Objekt, als „Filetstück“ beschrieben. Aber ist das denn noch so? Selbst ein erfahrener Investor wie Cord ist in den vergangenen Jahren daran gescheitert, an dieser Stelle ein Vorzeigeprojekt umzusetzen. Und zwar nicht aus mangelndem Biss, sondern weil er nicht die nötige Rendite erzielt hätte.
Eigentlich genügend Supermärkte – doch Kaufkraft fließt ab
Ein Beleg dafür, dass sich die klassischen, vom vielfältigen Handel belebten Innenstädte weiter auf dem Rückzug befinden. Kein Wunder, dass Werthers Bürgermeister Veith Lemmen bei seinen Gesprächen mit Cord nach eigenen Angaben „Banken und Ärzte“ als Mieter ins Spiel gebracht hat.
Doch mit den klassischen Rezepten lassen sich Innenstädte offenbar nicht mehr gestalten. Zumal das H.-W.-Meyer-Gebäude auch noch im zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt liegt – hier spräche theoretisch nichts gegen Einzelhandel.
Also müssten Veränderungssperre und Bebauungsplan her, es mutet zunehmend wie der verzweifelte Kampf um etwas an, das sich nicht mehr zurückholen lässt. Obwohl es für die Haltung der Verwaltung und von Teilen der Politik durchaus Argumente gibt: Mit Rewe, Edeka, Netto und Aldi ist die 11.000-Einwohner-Stadt ohnehin schon reich an Supermärkten, die verkehrliche Erschließung wäre an diesem zentralen Knotenpunkt in Werther wohl schwierig.
Halle steht vor einem Mammutprojekt für seinen Einzelhandel
So soll die Rosenstraße, hier im Abschnitt zwischen Pizzeria da Toni und Familie-Isenberg-Platz zukünftig aussehen.
(© Stadt Halle)
Aber würde mit einem Lidl eben auch Kaufkraft in der Stadt gehalten, die bislang abfließt. Und eine Brachfläche inmitten der Stadt, die nun alles andere als belebend wirkt, würde beseitigt. Womöglich hätte das sogar positive Auswirkungen auf den bestehenden Handel.
Werther steht mit diesem Problem bei Weitem nicht alleine da. In allen Altkreis-Kommunen ist der klassische Einzelhandel auf dem Rückzug. In Halle verspricht man sich aktuell sehr viel von der Neugestaltung der Innenstadt entlang der früheren Bundesstraße 68 und der Rosenstraße. Keine Blechlawine fließt mehr durch den Ort, das Zentrum ist einkaufsfreundlich – die Menschen sollen gerne verweilen.
Doch erstens hat Halle noch einen steinigen Weg vor sich, bis dieses Komplett-Lifting abgeschlossen ist. Und dann bleibt immer noch fraglich, wie groß das Potenzial für den stationären Handel überhaupt ist. Wer heute aus Borgholzhausen nach Halle hineinfährt, sieht links und rechts leer stehende Ladenlokale in stark verbesserungswürdigem Zustand – und selbst in attraktiven Lagen wie der Rosenstraße wird jede Vermietung eines Ladenlokals als Erfolg gefeiert.
In Versmold weicht der Handel altersgerechten Dienstleistern
Noch einen Schritt weiter ist da schon Versmold: Zunehmend erobern Sanitätshäuser, Optiker und Hörgeräte-Hersteller das Zentrum, während weiter westlich die einst renommierte Einkaufszeile entlang der Münsterstraße rund um das Einrichtungshaus Bartels zunehmend leer steht.
Der Handel ist nicht tot, aber er wird sich in kleinen Städten künftig auf immer kleinere Bereiche im Zentrum konzentrieren, die es von den Kommunen dann zu hegen und zu pflegen gilt. Und fest steht schon heute: Knifflige Entscheidungen wie jene um einen weiteren Supermarkt für Werther stehen den Stadträten künftig noch häufiger ins Haus.
Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK