DruckenTeilen
Katie Kitamura. © Insidefoto/Imago Images
Im Zentrum steht eine Schauspielerin, die sich mit existenziellen Fragen und überraschenden Wendungen in ihrem Leben auseinandersetzen muss.
Ein Roman wie ein Kristall, der ein Vexierspiel ermöglicht. Dreht sich das Ganze ein unauffälliges Stück weiter, ist wieder alles anders. Völlig anders. Katie Kitamuras Roman „Die Probe“ führt, wie schon die Vorgängerbücher der 1979 US-Amerikanerin – „Trennung“, „Intimitäten“ –, in eine nicht üble Welt von heute. Menschen, die interessante Berufe haben und sich auszudrücken und ihr Leben zu reflektieren wissen, geraten dabei trotzdem in Situationen, in denen sie auf milde Weise den Boden unter den Füßen verlieren. Das hat eine existenzielle Seite, vielleicht, es gibt temporäre Obdachlosigkeiten, Gründe, davonzulaufen, Gründe, sich auf eine Suche zu begeben.
Nicht allerdings in „Die Probe“, diesmal nicht von Kathrin Razum, sondern von Henning Ahrens aus dem Englischen übersetzt. In „Die Probe“ findet alles direkt vor der Nase der Protagonistin statt, einer sehr erfolgreichen Film- und Theaterschauspielerin. Ihr Name wird nicht genannt, er muss aber so exotisch sein (so asiatisch?), dass ihr aus beruflichen Gründen eine Änderung angeraten wird. Macht sie nicht, geht dann auch so.
Sie erzählt selbst, eine selbstbewusste, noch in der Verunsicherung vernünftige Erzählerinnenstimme. Wer sich fürs Theater interessiert, wird nicht nur seine Freude daran haben, wie Kitamura das Milieu erfasst, Menschen wie Situationen, auch die Schauspielerin selbst ist eine fesselnde, interessante Figur, ernsthaft mit ihrem Beruf befasst.
Der Titel ist bereits mehrdeutig, selbstverständlich bezieht er sich auf das, was eine Schauspielerin immer wieder machen muss. Über weite Strecken des Romans ringt sie mit einer neuen Rolle, findet keinen Zugang, leidet dem Text gegenüber, dem sie kein Unrecht tun will durch eine schwache Leistung ihrerseits. Parallel dazu werden aber auch im Buch selbst Dinge ausprobiert. Und wie.
In Teil 1 isst die Schauspielerin mit einem Xavier zu Abend. Man kennt sich flüchtig, er ist jung und schön, und die Leute blicken wohlwollend herüber. Er „ahnte offenbar nicht, wie intensiv die Wirkung war, oder schien sich nicht im Klaren darüber zu sein, dass es in der Welt, in der er sich bewegte, noch weitere Menschen gab“. Es folgt jedoch kein Flirt – den die berühmte Schauspielerin vielleicht erwartete –, sondern ein verblüffendes Bekenntnis. Xavier ist sicher, dass sie seine Mutter ist. Nun gibt es viele Ungewissheiten im Leben. Die Frage der eigenen Mutterschaft gehört nicht dazu.
Wer Mutter ist, weiß das doch
Kitamura hat sich also etwas Besonderes herausgegriffen, ein Coup, eine totale Sicherheit, die dennoch angekratzt wird. Denn Xavier ist nicht zu überzeugen, und die Schauspielerin denkt an ihre Abtreibung – und wie sie in Interviews darüber sprach (warum eigentlich, Trost suchend, was auch immer) und wie sie und die Interviewer in stiller Einigkeit verbrämten, was passiert war. Mit Wendungen wie: Sie habe das Kind „weggegeben“. Es hätte also, das ist es, was Xavier glaubt, eine Freigabe zur Adoption sein können. Und während doch klar ist, dass das nicht der Fall ist, dreht sich der Kristall ein Stück, und in Teil 2 ist es eigentlich schon keine Frage mehr, dass Xavier ihr Sohn ist.
Das ist nicht die letzte erstaunliche Wendung, es ist angenehm, Xavier um sich zu haben, und ad hoc zeigt sich eine traditionelle Vater-Mutter-Kind-Geschichte. Der Vater, Tomas, der Mann der Schauspielerin schon in Teil 1, hat seine Reibereien mit dem Sohn, der es ihm recht machen will. Sie hingegen genießt es, dass der empfindsame Sohn fast immer im Theater ist, wenn sie spielt. Die Rolle, die ihr Kopfzerbrechen bereitet hat, geht ihr inzwischen von der Hand, ein Triumph. Ja, es gibt auch Entfremdungen. „Vielleicht bedeutete es genau das, ein erwachsenes Kind zu haben“, so die Schauspielerin als abgeklärte Mutter.
Als Xavier wieder bei den Eltern – den „Eltern“? – einzieht, sind die erst zögerlich, dann glücklich. Selbst als er fragt, ob seine Freundin eine Weile bei ihm wohnen kann, sagen sie nicht Nein, „was in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass uns inzwischen weit mehr an Xaviers Bleiben lag als diesem selbst“. Hana nervt sie bereits mit ihrem federleichten Händedruck.
Das Buch
Katie Kitamura: Die Probe. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Hanser, München 2025. 175 S., 22 Euro.
Der Kristall dreht sich weiter, jetzt wird es anstrengend in der Kleinfamilie, warten Sie’s ab. Die Kritik hat sich dabei schon an Yasmina Reza erinnert gefühlt, jene sanfte, aber unaufhaltsame Eskalation unter kultivierten Menschen. Da ist etwas dran, auch wenn es nicht turbulent wird.
Im Vordergrund bleibt die Unklarheit bei intensiver Gefühlslage. Kitamura baut Spiegel mit überraschenden Seitengeschichten ein. Die Schauspielerin ist von einem Film beeindruckt, in dem ein Darsteller – seine „schauspielerischen Glanzleistungen“ haben ihr nie imponiert – diesmal in spektakulärer Weise einen desorientierten Menschen spielt. Nun erfährt sie, dass der Mann tatsächlich mit einer beginnenden Demenz kämpft, als Schauspieler damit zwar unhaltbar geworden ist, sich aufgrund seines fabelhaften Spiels in eben jenem Film jedoch nicht retten kann vor Angeboten.
„Ich weiß noch, dass ich die Enthüllung damals als schockierend, ja desillusionierend erlebte, sie veränderte meine Wahrnehmung seines Spiels.“ Leben und Spiel sind für den Profi scharf getrennt. Das Echte ist nicht bloß eine Enttäuschung. Es zählt auch weniger als das Spiel.
„Die Probe“ huldigt nicht nur an dieser Stelle dem Beruf der Protagonistin. Der Roman endet dazu, nach einer weiteren unerwarteten Wendung, mit einer starken, schönen Theaterszene. „Ringsumher das lauernde Dunkel“, der Text aber, „ein Strang von Wörtern, stabil wie ein Kabel“, erscheint als Trost, Halt und als wahre Nabelschnur.