Nominierte Romane für den Bayerischen Buchpreis 2025 | Bild: BR / Britta Barchet

Vor Publikum und in Anwesenheit der Nominierten diskutiert eine dreiköpfige Jury am 28. Oktober 2025 in der Allerheiligen Hofkirche der Münchner Residenz über drei Bücher der Kategorie Belletristik, außerdem über drei Bücher der Kategorie Sachbuch. Die Titel wurden aus allen deutschsprachigen Neuerscheinungen der letzten zwölf Monate ausgewählt. Das jeweils beste Buch aus beiden Kategorien wird auf der Bühne live gekürt, die Gewinner erhalten je 10.000 Euro und eine Preisfigur.

Am selben Abend verleiht Markus Söder auch den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten an Hape Kerkeling. Dieser Preis soll das „herausragende publizistische Gesamtwerk“ des Entertainers und Autors würdigen.

Zudem wird ein Buch mit dem Bayern 2-Publikumspreis ausgezeichnet. Leserinnen und Leser dürfen unter fünf vorausgewählten Bestsellern bayerischer Buchhandlungen ihren Favoriten bestimmen. Auch dieses Ergebnis wird während der Preisverleihung bekanntgegeben.

Nominierte Titel in der Kategorie Belletristik

Dorothee Elmiger: Die Holländerinnen

„Mit blinkenden Warnlichtern fährt die Erzählerin an den Straßenrand, als ein unerwarteter Anruf sie erreicht. Am Apparat ist ein gefeierter Theatermacher, der sie für sein neuestes Vorhaben zu gewinnen versucht – ein in den Tropen angesiedeltes Stück, die Rekonstruktion eines Falls. Wenige Wochen später bricht sie auf, um sich der Theatergruppe auf ihrem Gang ins tiefe Innere des Urwalds anzuschließen.“

Hanser Verlag


Cover von "Die Holländerinnen" | Bild: Hanser Verlag

Sabine Abel: „In Dorothee Elmigers neuem Roman steht eine namenlose Schriftstellerin im Mittelpunkt, die den Auftrag erhält, das Verschwinden zweier niederländischer Frauen zu rekonstruieren. Diese ‚Holländerinnen‘ brachen zu einer Wanderung durch den lateinamerikanischen Dschungel auf und kehrten nie zurück. Was als Recherche für ein gewagtes Theaterprojekt beginnt, weitet sich für die Erzählerin zu einer vielschichtigen Erkundung aus: einer Reise ins Ungewisse, bei der sich die Ereignisse bei der Expedition und das innere Erleben mehr und mehr ineinander verschieben. Die Theatergruppe versucht, den Weg der Verschwundenen nachzugehen. Im Dschungel herrschen Bedingungen, die alle Beteiligten immer wieder an körperliche und psychische Grenzen führen. Die Schriftstellerin beginnt trotzdem Material zu sammeln: Fotografien, Mitschriften, Zeugenaussagen und auch ihre eigenen Gedanken. Die Frage, was dort tatsächlich geschah, bleibt dabei stets offen. Vielmehr verschiebt sich der Fokus zunehmend hin zum Erzählen selbst. Wie lässt sich das Unsagbare in Sprache fassen?
Im Roman wechseln sich Recherchenotizen, innere Monologe und essayistische Passagen ab. Die Autorin verwebt konkrete Spuren mit Reflexionen über Erinnerung, Repräsentation und die Machtverhältnisse im Erzählen. Immer wieder geraten Zuschreibungen ins Wanken: Sind die Verschwundenen Opfer, Aussteigerinnen, Abenteurerinnen? Oder Projektionsflächen für unsere Sehnsüchte nach Fremdheit, Gefahr und Erlösung?

Dorothee Elmiger schreibt präzise, beobachtend, mit großem Gespür für Zwischentöne und das Unsichtbare. Die Sprache wirkt nüchtern, fast protokollartig, aber zwischen den Zeilen entfaltet sich eine starke, dichte Atmosphäre. Der Roman verwebt Recherche, Selbstreflexion, Reiseliteratur und Gedankengänge – ohne sich je ganz einer Form zu verpflichten. Elmiger interessiert sich nicht für Eindeutiges, sondern für das Schweigen, die Lücken, die Leerstellen. Die Figuren – allen voran die Erzählerin selbst – bleiben in Bewegung, tastend, fragend, offen. ‚Die Holländerinnen‘ ist kein Buch, das schnell zu fassen ist. Vielmehr verlangt es Geduld, Aufmerksamkeit und eine gewisse Bereitschaft, sich auf das Unabschließbare einzulassen. Dafür belohnt es mit einem klugen, stillen Nachdenken über Erinnerung, Repräsentation und koloniale Erzählmuster – Themen, die unter der Oberfläche immer mitschwingen, ohne sich aufzudrängen.“

Annette Pehnt: Einen Vulkan besteigen

„Das schiere Glück eines gemeinsamen Ausflugs, die Verlorenheit zweier Kinder, dröhnende Einsamkeit nach dem Tod des Vaters. Wenn alles Überflüssige wegfällt, bleibt das Wesentliche: Aus knappen Worten, einfachsten Sätzen und klaren Momenten entstehen bei Annette Pehnt Dringlichkeit und Nähe. Dabei erzählt sie von den Kleinigkeiten des Lebens, von beruflichen Zwängen und Urlaubseindrücken bis zum Schmerz familiärer Erfahrungen. ‚Einen Vulkan besteigen‘ – das sind Geschichten, die so wenig wie möglich und so viel wie nötig erzählen. Sie sind reizvoll, eröffnen Verlockungen, befremden oder berühren. Immer aber sind sie messerscharf beobachtet, lebensnah und elementar.“

Piper Verlag


Cover von "Einen Vulkan besteigen" | Bild: Piper Verlag

Sabine Abel: „Annette Pehnt versammelt in ‚Einen Vulkan besteigen‘ kurze Prosatexte – Miniaturen, Erzählungen, Skizzen, Momentaufnahmen -, die lose verbunden sind durch ihre zurückhaltende, oft beiläufige Art, sich existenziellen Fragen zu nähern. Die Geschichten handeln von Eltern und Kindern, von Paaren, von alten und jungen Menschen, vom Alleinsein und vom Miteinander, von Selbstbildern, Erinnerungen, kleinen Fluchten – und immer wieder vom Suchen nach einer Sprache für das, was im Alltäglichen schwer greifbar bleibt.
Thematisch kreisen die Texte um viele vertraute Situationen: Eine Mutter sehnt sich danach, dass die erwachsenen Kinder noch einmal klein sind, und holt alte Spielsachen hervor. Ein Paar will endlich aufhören zu streiten und gerät doch wieder in gewohnte Routinen. Ein Arzt wird zu einer Frau gerufen, doch der fehlt nichts. Ein Familienvater baut das Haus zu einer Festung um, weil er überall Gefahren wittert. Ein Geschwisterpaar büxt aus und übernachtet in einer Höhle, die Eltern aber nehmen davon keine Notiz.
Was alle Texte verbindet, ist eine genaue Beobachtung der Zwischentöne und Stimmungen. Die Figuren werden nie detailliert beschrieben, sie bleiben oft namenlos oder flüchtig. Dennoch spürt man sofort die inneren Konflikte. Vieles bleibt angedeutet, wird nicht zu Ende erzählt – gerade darin liegt die Stärke dieser Sammlung. Die Sprache ist knapp, klar, gelegentlich von trockenem Humor durchzogen. Oft reicht ein Absatz, eine Szene, um einen ganzen inneren Zustand zu erfassen.  Es geht ums genaue Hinsehen, um das, was man im Alltag ganz schnell übersieht, oder lieber gar nicht sehen will.

Dieser Roman ist kein lautes Buch, sondern eines, das sich langsam entfaltet und nachwirkt. Ideal für Leserinnen und Leser, die sich auf leise Töne einlassen möchten und Freude an literarischen Miniaturen haben, die mehr andeuten als erklären. Ein kluges, vielschichtiges Buch. Auch für diejenigen bestens geeignet, die gerne zwischendurch eine tolle Geschichte lesen, aber keine Lust auf einen ausladenden Roman haben.“

Dagmar Leupold: Muttermale

„Wie erzählt man von der eigenen Mutter? Vor über hundert Jahren in Ostpreußen geboren, vor der Roten Armee geflohen, auf Umwegen im deutschen Westen angekommen und dort immer fremd geblieben. Fremd auch der eigenen Tochter. ‚Muttermale‘ ist der Roman einer Annäherung. Dagmar Leupold versucht Verlorenes wiederzugewinnen. Sie greift auf das zurück, was vom Leben der Mutter geblieben ist, Alltagsgegenstände, Fotos, Redewendungen: alles, was über die Zeit hinweg von der Mutter zu ihr spricht. Sie lauscht diesem Sprechen, um ihm Unausgesprochenes abzulauschen, und findet immer wieder Spuren eines Traumas.“

Jung und Jung Verlag


Cover von "Muttermale" | Bild: Jung und Jung Verlag

Sabine Abel: „Nach dem Tod der Mutter kehrt eine Frau, alleinstehend und selbst kinderlos, zurück in das Haus ihrer Kindheit. Das Haus ist leer, still, und doch voller Spuren. Aus dieser Situation heraus entwickelt Dagmar Leupold eine Geschichte über Erinnerungen, Herkunft und dem Verhältnis zwischen Mutter und Tochter – kein einfaches Verhältnis, das durch Distanz, Schweigen und Unausgesprochenes geprägt ist.
Die Erzählerin durchstreift die Räume, öffnet Schubladen, sortiert Fotos, betrachtet Kleider, Gegenstände, Möbel. Jedes Objekt wird zum Auslöser für Rückblenden und Reflexionen, nicht nur über die Mutter, sondern auch über die gesellschaftlichen Umstände, unter denen diese gelebt hat: eine Frau der Kriegs- und Nachkriegszeit, in engen Rollenzuschreibungen gefangen, pflichtbewusst, sparsam, kontrolliert. Sie hat funktioniert, ohne zu hinterfragen – so empfindet es zumindest die Tochter. Doch dieses Bild bleibt bruchstückhaft. Die Mutter war keine, die viel erzählte. Ihre Sprache war knapp, ihr Blick kritisch. Für ihre Tochter bleibt sie unverständlich, vielleicht auch unversöhnlich.
Jetzt sucht die Erzählerin auch nicht nach Versöhnung, sondern nach einem klareren Bild vom Leben der Mutter und von den Spuren, die dieses Leben hinterlassen hat, auch in ihrer Tochter. Dabei werden größere Themen berührt: das Altern, die Einsamkeit, die Weitergabe von Normen und Lebenshaltungen, vor allem aber die Frage, wie sehr die Vergangenheit in der Gegenwart weiterlebt.

Die Autorin erzählt leise, mit großer sprachlicher Genauigkeit. Es gibt keine dramatische Handlung, kein auflösbares Rätsel – dafür intensives Nachdenken und feine Beobachtungen. Die Sprache bleibt dabei immer kontrolliert, fast nüchtern. Der Roman ist ein zurückhaltendes, kluges Buch über das Erinnern und das Verstehen-Wollen. Was prägt uns? Die Geschichte einer ganz ’normalen‘ Frau jenseits von Klischees – ein ruhiges, nachdenkliches Buch, das lange nachklingt.“

Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten

Sabine Abel hat aus dem Werk des diesjährigen Ehrenpreisträgers Hape Kerkeling ihr persönliches Lieblingsbuch für Sie ausgewählt – es ist zugleich die jüngste Veröffentlichung des Autors.

Hape Kerkeling: Gebt mir etwas Zeit

„Hape Kerkeling versteht es, die Herzen der Menschen zu berühren – mit seinem unverwechselbaren Humor, feinem Scharfsinn und großer Wärme. Was im Fernsehen und Kino begann, setzt sich in seinen Büchern eindrucksvoll fort: Als begnadeter Erzähler begeistert er sein Publikum auf dem Papier. Seine Werke sind seit Jahren eine Bereicherung für die Leserinnen und Leser – mit Tiefgang und feinem Gespür für die großen und kleinen Fragen des Lebens. Hape Kerkelings Bücher sind mehr als Unterhaltung: Einfühlsam und mit einem Augenzwinkern bringt er uns zum Lachen und Nachdenken und begeistert uns immer wieder aufs Neue.“

Ministerpräsident Dr. Markus Söder


Cover von "Gebt mir etwas Zeit" | Bild: Piper Verlag

Sabine Abel: „In ‚Gebt mir etwas Zeit‘ öffnet Hape Kerkeling ein neues Kapitel seiner autobiografischen Arbeit – und überrascht mit einem sehr amüsanten und liebevoll erzählten Buch über familiäre Wurzeln, Geschichte und Identität. Im Mittelpunkt steht seine intensive Beschäftigung mit der eigenen Herkunft: Wer waren die Menschen, von denen er abstammt? Wie lebten sie, was mussten sie durchmachen – und was davon wirkt bis heute in ihm weiter?
Die wohl wichtigste Figur in diesem Buch ist seine Großmutter Bertha, die ihn nach dem frühen Tod seiner Mutter liebevoll aufzog. Kerkeling schildert sie mit großer Wärme. Eine Frau aus einfachen Verhältnissen, geprägt von Krieg, Verlust und Überlebenswillen. Ihre Kindheit, die Flucht im Zweiten Weltkrieg, der mühsame Neuanfang im Ruhrgebiet – all das erzählt Kerkeling behutsam und mit spürbarer Dankbarkeit.
Doch er geht noch weiter zurück, verfolgt die Geschichte der Familie über Generationen und taucht tief ein in Archive, Kirchenbücher und Standesregister. Seine Suche führt ihn unter anderem nach Holland, wo seine Familie von erfolgreichen Kaufleuten abstammte. Besonders faszinierend wird es, als sich eine Verbindung zum englischen Königshaus andeutet – eine Tatsache, die ihn selbst überrascht, die er aber mit detektivischer Neugier und einer guten Portion Selbstironie nachverfolgt. Hatte seine Großmutter etwa doch keine Märchen erzählt, wenn sie ihm von ihrer Kindheit im Schloss berichtete?
Dabei stellt er keine überzogenen Behauptungen auf, sondern beschreibt die Freude an der Entdeckung, an den Verbindungen durch die Jahrhunderte hindurch.

‚Gebt mir etwas Zeit‘ ist ein sehr persönliches, aber nie selbstverliebtes Buch. Es erzählt nicht nur von Kerkelings Familie, sondern auch von der Kraft der Erinnerung und der Bedeutung von Herkunft. Wer sich für Ahnenforschung, deutsche Familiengeschichte, aber auch für die feinen Verbindungen zwischen Privatem und Weltgeschehen interessiert, wird hier viel entdecken – und womöglich Lust bekommen, den eigenen Wurzeln nachzugehen. Selbstverständlich kommt man beim Lesen nie aus dem Schmunzeln heraus, so gespickt ist das Buch mit witzigen Anekdoten aus seinem Leben und dem Leben seiner Vorfahren.“

Bayern 2-Publikumspreis

Neben dem Bayerischen Buchpreis wird auch demnächst der Bayern 2-Publikumspreis verliehen. Dafür stehen weitere fünf Bücher zur Auswahl. Diese wurden von einer Jury aus bayerischen Buchhändlerinnen und Buchhändlern sowie Redakteurinnen und Redakteuren von Bayern 2 vorausgewählt. Berücksichtigt wurden ebenfalls deutschsprachige Originalausgaben, die in den vergangenen zwölf Monaten erschienen sind.

Interessierte haben bis zum 22. Oktober 2025 Zeit, für einen der fünf Titel zu votieren. Unter allen, die sich an der Abstimmung beteiligen, werden tolle Preise verlost.