Liebe
Leserin, lieber Leser,
vor ein paar Jahren bin ich schmerzhaft und
demütigend mit einem Stück Weltgeschichte zusammengestoßen. Es ging um 9/11,
den Anschlag auf die New Yorker Zwillingstürme und das
US-Verteidigungsministerium, in Hamburg verkörpert durch die
Sicherungsmaßnahmen für das US-Konsulat am Westufer der Außenalster. Zu dem
Zusammenstoß kam es, als ich auf der Fahrradstraße am Alsterufer, eingezwängt
in das Feierabend-Peloton der Pendelpedaleure, am Konsulat vorbeiradeln wollte.
Ich hing meinen Gedanken nach, als plötzlich zwischen den beiden Fahrern vor
mir ein Poller auftauchte, an dem angesichts meiner Geschwindigkeit und des
kurzen Abstands kein Weg vorbeiführte.
In der vergangenen Woche kam
ich dort wieder vorbei – und siehe da, freie Fahrt! Die heimtückischen Poller
sind weg, stattdessen halten nun auf kleinen Verkehrsinseln platzierte Pfosten den
Autoverkehr draußen. Und man fährt jetzt fast direkt
an dem prunkvollen Portal vorbei, das dem Gebäude der mittlerweile umgezogenen
US-Vertretung sein palastartiges Aussehen verleiht.
Ich mag die Straße am westlichen Ufer der
Außenalster, weil sie nicht nur Geschichte verkörpert, sondern weil sie auch
eine eindeutige Richtung zu haben scheint: Fortschritt, Demokratie,
Öffentlichkeit, Umweltschutz.
Einmal hatte ich Gelegenheit, die Räume des
früheren Konsulats von innen zu sehen. Die abgehängten Bürodecken waren
entfernt worden, man sah die dahinter verborgene alte Malerei. Welch ein
immenser Reichtum, dachte ich, den die Hamburger Kaufleute einst angesammelt
hatten. Und wie billig muss die Arbeitskraft der Handwerker und Künstler
gewesen sein. Gemessen an diesen Verhältnissen, leben wir in einer Welt großer
wirtschaftlicher Gleichheit.
© ZON
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Das Ex-Konsulat hat mehr Geschichte, der größte
Teil ist finster: das Gauleiter-Büro und die Häftlingszelle im Keller, der
Panikraum zum Schutz der Diplomaten im Fall von Terrorüberfällen. Da ist die
Gegenwart, bei all ihrer Bedrohlichkeit, doch zivilisiert, harmlos und noch
einigermaßen friedlich. Das gesamte Alsterufer, das in weniger egalitären
Gesellschaften wohl Teil privater Gartenanlagen wäre – und es bis nach dem
Zweiten Weltkrieg auch tatsächlich war –, ist ja für sich schon eine großartige
öffentliche Errungenschaft. Nun kommt hier, wo früher ein ordinärer Straßenzug
verlief, der Verkehr der Zukunft vorbei: leise, sauber, energieeffizient und mit
bescheidenem Platzbedarf.
Und wenn die neuen Eigner
des ehemaligen Konsulats, die es gerade zu einem Hotel umbauen, eine
Ankündigung wahr machen, dann wird hier in Zukunft noch mehr Öffentlichkeit
möglich sein. Irgendwann sollen Spaziergänger in ihren Räumen Kaffee trinken
oder einen Gedenkraum besuchen können, der an die NS-Verbrechen erinnert, die
hier in schlimmeren Zeiten begangen wurden. Hoffentlich klappt es.
Haben
Sie einen schönen Tag!
Ihr Frank Drieschner
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an hamburg@zeit.de.
WAS HEUTE WICHTIG IST
Der Bund der Steuerzahler
hat in seinem gestern veröffentlichten sogenannten Schwarzbuch zehn
Bauprojekte in Hamburg angeprangert, bei denen seiner Meinung nach
Steuergeld verschwendet wird oder wurde. Beim neuen Quartier für die
Alsterschwäne kritisiert er etwa eine fehlende Kontrolle der Kosten – diese
seien innerhalb von drei Jahren von 3,6 auf fast 7,1 Millionen Euro gestiegen.
Darüber hinaus werden etwa das Deutsche Hafenmuseum, die neue Oper in der HafenCity
und ein Fahrradstreifen auf der Elbchaussee genannt. Hamburgs Finanzsenator
Andreas Dressel (SPD) sagte, die verantwortungsvolle und transparente
Verwendung öffentlicher Mittel habe für den Senat höchste Priorität. Die Auflistung bezeichnete er als „populistische Sprechblasen“.
© Bodo Marks/dpa
Das Bernhard-Nocht-Institut
für Tropenmedizin feiert heute sein 125-jähriges Bestehen. Nach der Gründung in der Kolonialzeit (Z+) hat sich das
Institut an den Landungsbrücken zu einem Zentrum für globale
Infektionsforschung entwickelt. Aktuelle thematische Schwerpunkte sind unter
anderem Malaria, Fieberviren, vernachlässigte Tropenkrankheiten, Immunologie
und Epidemiologie.
Die Grundschule an der
Burgweide in Wilhelmsburg ist für ihre herausragende Unterrichtsqualität als
eine von sechs Schulen mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet
worden. Mehr als 100 Schulen aus ganz Deutschland hatten sich beworben. Sie
gehört zu den wenigen Grundschulen in Hamburg, die Kinder sechs statt der
üblichen vier Jahre besuchen. Einen weiteren Preis erhielt sie für ihre
Demokratiebildung.
In aller Kürze
• Laut einer neuen Verfügung der Stadt ist der Betrieb
von Mährobotern nur noch in der Zeit von 30 Minuten nach Sonnenaufgang bis
30 Minuten vor Sonnenuntergang zulässig – so sollen Igel und andere kleine
Wildtiere geschützt werden • Auf einer neu eingerichteten Internetseite
namens „Erfolgskompass“ informiert die Hochbahn über die
Pünktlichkeitsquote, die Sauberkeit und die Sicherheit im öffentlichen
Nahverkehr der Stadt • Fahrgäste in Zügen des Verkehrsunternehmens Flix
müssen ab dem 14. Dezember auf dem Weg von Hamburg nach Stuttgart nicht mehr in
Berlin umsteigen, die Fahrt dauert dann noch 8,5 statt wie bisher 10 Stunden.
AUS DER HAMBURG-AUSGABE
© Michael Arning
Knall und Rauch
Schüsse,
Drogen, Mord: Was geht in den Shishabars dieser Stadt vor?
ZEIT:Hamburg-Redakteur Christoph Heinemann ist der Frage nachgegangen; lesen
Sie hier einen Auszug aus seinem Artikel.
Die Shishabar Blossom
liegt da, als wäre sie ganz eilig verlassen worden. Auf einem runden Tisch
stehen noch Gläser, Sofas mit grünem und lila Samt sind schief gestapelt. Vor
der gläsernen Fassade donnert sechsspuriger Verkehr vorbei. Bald erscheinen zwei
Polizistinnen an der Tür. „Gehen Sie bitte“, sagen sie, das hier sei ein
Tatort.
Vier Tage zuvor, am 31.
August, wurde in dem Lokal der 33 Jahre alte Aschot K. erschossen. In jener
Samstagnacht saßen laut Polizisten etwa noch ein Dutzend Menschen in dem
Kastenbau an der Lübecker Straße in Hamburg-Hohenfelde. In Shishabars wie
dieser finden sich meist kleine Gruppen zusammen, ziehen der Reihe nach an dem
Schlauch einer blubbernden Wasserpfeife, der Tabak, den sie rauchen, hat etwa
Doppelapfel- oder Minzgeschmack. Es gibt Musik und Getränke, das Blossom wirbt
mit verschiedenen Teesorten und alkoholfreien Cocktails.
Der Schütze muss
plötzlich die Pistole gezückt und auf Aschot K. gefeuert haben, um 4.38 Uhr.
Zeugen sagten aus, dass er 1,70 Meter groß war, vielleicht auch 1,80 Meter, und
einen Kapuzenpullover trug. Der Täter konnte fliehen, und nun diskutiert die
Stadt wieder über Fragen, die schon mehrmals aufkamen: Was geht da im Nebel vor
sich? Sind Shishabars gefährliche Orte?
In Hamburg gibt es 80
solche Lokale, und versucht man zu sammeln, was sich da allein in den
vergangenen drei Jahren abspielte, stößt man auf ein Horrorkabinett an
Schlagzeilen: „Tödliche Schüsse vor Shisha-Bar“, „Tödliche Stiche in Shisha-Bar“,
„Schüsse in Shisha-Bar in Altona“, „Mann stirbt in Shisha-Bar – Täter stellt
sich“, „Unbekannte schießen auf Shisha-Bar“, „Mann bedroht mit Maschinenpistole
Shishabar-Gäste“, „Shishabar-Betreiber handelte mit Drogen“ oder „18-Jähriger
nahe Shisha-Bar angeschossen“. Letzteres geschah im Juli in Bramfeld.
Warum das Blossom besonders aus dieser Nachrichtenlage heraussticht, lesen Sie weiter in der ungekürzten Fassung des Artikels auf
zeit.de.
DER SATZ
© Tyler Spangler/DIE ZEIT
„Die Idee einer findigen, vernunftbegabten Menschheit,
die sich und ihre Ressourcen in einer sanft regulierten Marktwirtschaft selbst
rettet – sie geht so nicht auf.“
Die Prognosen
der Experten bezüglich des Klimawandels sind düster. Zuletzt warnten renommierte Wissenschaftler vor einer möglichen Drei-Grad-Erderwärmung
bis 2050 (Z+). Tobias Bachmann und Johannes Schneider von der
ZEIT untersuchen die Gründe, warum der Impuls zur Verdrängung stärker ist als
der zum Umdenken – den ganzen Essay lesen Sie hier.
DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN
70 junge Cellistinnen und
Cellisten aus ganz Deutschland spielen anlässlich der Cellotage Hamburg am
kommenden Sonntag in der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg. In diesem Jahr
werden unter anderem das Allegretto aus Beethovens 7. Sinfonie und „Tico Tico“
aus Brasilien aufgeführt. Ein besonderes Highlight ist die Uraufführung „Katze“
des chinesischen Nachwuchs-Komponisten Zijing Shen.
„Cellotage Hamburg 2025“, Konzert am 5.10. um 16
Uhr; Miralles-Saal der Staatlichen Musikhochschule Hamburg, barrierefreie
Veranstaltung. Nähere Informationen und Tickets gibt es hier
MEINE STADT
Selbst die Sonne will Hamburg bunt sehen. © Varvara Herbst
HAMBURGER SCHNACK
Zwei Grundschulkinder gehen, sich unterhaltend, an
einer Straße entlang. Er (der Jüngere) verkündet fast vorfreudig: „Wenn ich
eine Milliarde habe, kaufe ich mir einen Bugatti.“ Sie entgegnet freundlich
verwundert: „Aber wozu brauchst du einen Bugatti, wenn du Bus fahren kannst?“
Gehört
von Ulrike Michaelis
Das war die Elbvertiefung, der tägliche
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