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Stand: 01.10.2025 05:00 Uhr

Immer mehr Azubis aus Vietnam kommen trotz Sprachzertifikats mit großen Sprachproblemen nach Deutschland. Berufsschulen berichten von Überlastung, Gewerkschaften von Ausbeutung. Manche Azubis verschwinden spurlos vom Arbeitsmarkt.

Von Hannah Weber und Adrian Bartocha, rbb

An der Brillat-Savarin-Schule in Berlin-Weißensee taucht ein erheblicher Teil vietnamesischer Auszubildender nicht mehr zum Berufsschulunterricht auf. Etwa ein Drittel der ursprünglich angemeldeten Schüler fehlt inzwischen. „Niemand weiß, wo die abgeblieben sind“, sagt Sebastian Riesner von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), und Mitglied der Schulkonferenz.

„Günstigstenfalls“, so Riesner, landeten die jungen Menschen „in irgendwelchen Nagelstudios, schlimmstenfalls in der Prostitution, wo sie ihre Schulden abbezahlen.“

Die Schule zählt rund 5.000 Auszubildende im Gastgewerbe, etwa 700 von ihnen kommen aus Vietnam. Auffällig ist: Viele verfügen über ein offizielles B1-Sprachzertifikat, können aber kaum Deutsch sprechen. Ein solches Zertifikat ist Voraussetzung für ein Ausbildungsvisum.

„Regelbetrieb kaum möglich“

Gerrit Buchhorn, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands DEHOGA Berlin und ebenso Mitglied der Schulkonferenz, beschreibt die Lage als „sehr, sehr schwierig“. Vietnamesische Azubis könnten dem Unterricht nicht folgen, Lehrer seien überfordert, der Regelbetrieb kaum zu halten. „Dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, will ich nicht ausschließen“, so Buchhorn. Vergleichbare Probleme gibt es laut Gewerkschaft NGG in ganz Deutschland.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit absolvieren derzeit rund 16.000 junge Menschen aus Vietnam eine Ausbildung in Deutschland, davon fast 2.000 in Berlin. Exakte Zahlen sind nicht verfügbar. Unklar ist etwa, wie viele Vietnamesen mit Ausbildungsvisum tatsächlich einen Aufenthaltstitel beantragt haben oder wie viele ihre Ausbildung abbrachen und ausreisepflichtig wären. Sicher ist: Die Zahl der Azubis aus Vietnam steigt kontinuierlich, allein 2024 kamen rund 4.000 Auszubildende aus Vietnam nach Deutschland.

„Zwielichtiger Markt“

In Vietnam werben private Agenturen junge Menschen mit dem Versprechen an, alle Formalitäten für Vertrag, Sprachprüfung und Visum zu übernehmen. Dafür verlangen sie nach Informationen von rbb24-Recherche bis zu 20.000 Euro. Viele verschulden sich stark. „Den Leuten wird das Blaue vom Himmel versprochen“, sagt DEHOGA-Chef Buchhorn. Er selbst erhalte regelmäßig Angebote von Vermittlern.

Die Migrationsexpertin Mimi Vu spricht von einem „zwielichtigen Markt“, in dem private Vermittler Teil internationaler Netzwerke organisierter Kriminalität seien. Dazu gehöre auch der Handel mit gefälschten Sprachzertifikaten. Vor einem Jahr hatten vietnamesische Medien über Unregelmäßigkeiten bei Deutschprüfungen berichtet. Auch das Goethe-Institut warnt vor gefälschten Zertifikaten.

Hoch verschuldete Azubis ohne Sprachkenntnisse seien in Deutschland einem „extrem hohen Risiko der Ausbeutung“ ausgesetzt, so Expertin Vu. rbb24-Recherche liegen Dokumente vor, die widerrechtliche Verträge, Fotos vermüllter Unterkünfte und Aussagen Betroffener enthalten. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigt auf Nachfrage „vereinzelt Hinweise zur potenziellen Ausbeutung von vietnamesischen Auszubildenden“. Zu „laufenden Ermittlungsverfahren“ äußert sich die Behörde nicht. 

„Moderner Menschenhandel“

Für NGG-Vertreter Riesner handelt es sich bei vielen Vermittlungsagenturen um „Schlepperorganisationen, die billige Arbeitskräfte nach Deutschland bringen“. Er spricht von „Arbeitskräfteschleusung und modernem Menschenhandel“. Viele Azubis verschwänden am Ende ganz vom Ausbildungsmarkt und müssten Schulden „schwarz in irgendwelchen Küchen oder in Nagelstudios abarbeiten“.

Viele Azubis verschwänden am Ende ganz vom Ausbildungsmarkt und müssten Schulden „schwarz in irgendwelchen Küchen oder in Nagelstudios abarbeiten“.

Arbeitgeberverband und Gewerkschaft kritisieren einheitlich fehlende Kontrollen. Gerrit Buchhorn vom DEHOGA fordert eine offizielle Liste seriöser Anbieter und ein verbindliches Kontrollsystem. Sebastian Riesner von der NGG geht noch weiter: Die Vermittlung solle ausschließlich über die Bundesagentur für Arbeit laufen, unter klaren gesetzlichen Vorgaben. „Wenn Menschen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse geraten oder verschwinden, darf das einem Rechtsstaat nicht egal sein“, sagt er.