Hamburgs erster Antisemitismusbeauftragter, Stefan Hensel, tritt überraschend zurück. Er nennt massiven Hass und einen Angriff als Gründe. Der 45-Jährige hatte das Amt seit 2021 inne und prägte die Strategie gegen Antisemitismus in der Hansestadt.
Stefan Hensel, Hamburgs erster Antisemitismusbeauftragter, gibt sein Amt auf. Wie Gleichstellungssenatorin Maryam Blumenthal (Grüne) mitteilte, bleibt er bis zur Bestellung einer Nachfolge im Amt, längstens aber bis 31. Dezember. Der Rücktritt kommt überraschend: Erst im November 2024 hatte der rot-grüne Senat Hensel für eine zweite Amtszeit bestätigt.
„Der zeitliche Aufwand und die anhaltende Konfrontation mit Hass und persönlichen Übergriffen sind im Rahmen eines Ehrenamts für mich nicht mehr vereinbar“, erklärte der 45-Jährige. Im Mai dieses Jahres waren Hensel und seine Tochter im Hamburger Straßenverkehr im Auto von einem Mann aus Jordanien attackiert worden. Der 57-jährige Angreifer soll ihn beschimpft und beim Weiterfahren genötigt haben, bis die Polizei eingriff. Hintergrund soll gewesen sein, dass Hensel und seine Tochter im Auto ein hebräisches Lied spielten. Die Hamburger Landespolitik verurteilte die Tat.
Der Fall verdeutlicht die wachsende Bedrohung für Menschen, die sich gegen Antisemitismus engagieren. Bundesweit steigen die Zahlen antisemitischer Straftaten seit Jahren. Für Hamburg war Hensel seit 2021 zentrale Ansprechperson für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.
Doch in der jüdischen Community in Hamburg war er nicht unumstritten. Offenkundig wurde das bei seiner Wiederbestellung. Die Jüdische Gemeinde Hamburg, die die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung mit traditioneller und orthodoxer Ausrichtung vereint, schlug Hensel für eine zweite Amtszeit vor. Die liberale jüdische Gemeinde, der Israelitische Tempelverband, favorisierte einen anderen Kandidaten. Nach der Entscheidung für Hensel klagte der Tempelverband.
Das Verwaltungsgericht erklärte die Auswahl für rechtsfehlerhaft, ließ Hensel aber im Amt. Dass er nun selbst geht, werten Beobachter als Hinweis auf die Grenzen des Ehrenamts – und auf die Aggressivität, der Antisemitismusbeauftragte ausgesetzt sind.
Hensel übernahm das Amt 2021, als Hamburg als eines der letzten Bundesländer eine solche Stelle einrichtete. Er baute Strukturen auf, entwickelte eine Landesstrategie gegen Antisemitismus und initiierte eine Dunkelfeldstudie, die erstmals systematisch antisemitische Erfahrungen von Jüdinnen und Juden in Hamburg erfasste. Die Ergebnisse flossen in politische Handlungsempfehlungen ein.
Neben Konzeptarbeit setzte Hensel auf Dialog. Mit der Reihe „Wir müssen reden“ brachte er Menschen aus Politik, Kultur und Gesellschaft zusammen. Bildungsreisen nach Israel und Polen ergänzten das Programm. Sein Ziel: jüdisches Leben sichtbar machen – nicht nur im Schatten der Shoah, sondern als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft.
Wissenschaftssenatorin Blumenthal, in deren Behörde die Tätigkeit des Antisemitismusbeauftragten organisatorisch angegliedert ist, würdigte Hensels „engagierten Einsatz“: „Er hat die Sichtbarkeit jüdischen Lebens spürbar gestärkt. Umso bedauerlicher ist es, dass ihn Hass und Hetze zu diesem Schritt veranlasst haben.“ Das mache deutlich, wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus bleibe.
Als „empfindlichen Verlust und bedrückendes Signal“ bezeichnet Oppositionsführer Dennis Thering den Rückzug von Hensel. „Dass Hass und Hetze ihn zu diesem Schritt gezwungen haben, ist beschämend und zeigt, wie tief das Problem des Antisemitismus in Hamburg verwurzelt ist“, so der Christdemokrat, der Hensels Arbeit als „klug, beharrlich und menschlich beeindruckend“ bezeichnete.
Seine Nachfolge wird laut Thering eine große Aufgabe übernehmen müssen: „Denn die Realität ist: Antisemitismus hat in Hamburg leider viel zu viel Raum. Das sollte insbesondere dem rot-grünen Senat zu denken geben.“ Lippenbekenntnisse reichten nicht aus. Die Stadt brauche endlich eine konsequente, ressortübergreifende Strategie, die jüdisches Leben schützt und Antisemitismus entschieden bekämpft – im Alltag, in Schulen, im Netz und auf unseren Straßen, so Thering.
Ähnlich äußerte sich der Grünen-Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft, Michael Gwosdz: „Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir mit aller Kraft weiterverfolgen werden.“ Wie wichtig und aktuell diese Aufgabe leider auch heute sei, zeigten neben den allgemeinen Zahlen die direkten Angriffe, die Hensel immer wieder erfahren musste. „Dass diese völlig inakzeptablen Attacken mit zu seiner Rücktrittsentscheidung beigetragen haben, nehmen wir mit großem Bedauern auf“, so Gwosdz.
Wer Hensel nachfolgt, ist offen. Die Wissenschaftsbehörde kündigte eine schnelle Neubesetzung an. Hensel selbst möchte sich eigenen Angaben zufolge „zukünftig den positiven Seiten jüdischen Lebens widmen“.